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Magic Leap:Google und Co. pumpen 542 Millionen Dollar in Kopfkino-Start-up

Über Nacht wird Magic Leap zum vielleicht mysteriösesten Start-up der Welt: Ein Investoren-Konglomerat mit Google an der Spitze steigt mit einer gigantischen Summe in die Firma ein. Doch an was genau arbeitet das Unternehmen?

Von Johannes Kuhn, San Francisco

Am Montag noch war Magic Leap nur Insidern bekannt; wenig später fragt sich die Tech-Branche, welches mysteriöse Produkt das Start-up aus Florida der Welt wohl vorenthält.

Was ist passiert? Geld ist passiert: 542 Millionen Dollar pumpt Google gemeinsam mit einigen potenten Investment-Partnern (unter anderem Kleiner Perkins und Andreessen Horowitz) in die Firma. Magic Leap ist damit auf einen Schlag - wenn auch nur auf dem Papier - zwei Milliarden Dollar wert. Ohne Produkt auf dem Markt und ohne Umsätze.

"Cinematische Realität" nennt Gründer Rony Abovitz sein Konzept, das zunächst an die Datenbrille von Oculus erinnert: Auch Magic Leap möchte Menschen über eine digitale Brille in die virtuelle Realität katapultieren.

Wie genau das geschehen soll, ist unklar - Abovitz, der in Hollywood sehr aktiv ist, hat den entsprechenden Prototypen neben Investoren nur Akteuren der Film- und Musikbranche vorgeführt. Angeblich projiziert die Brille von Magic Leap Bilder direkt ins Auge, um virtuelle Objekte in die reale Welt einzublenden, statt wie die Oculus Rift eine komplett digitale Umgebung zu erschaffen.

Blumige Visionen und eine furchtbare Marketing-Abteilung

"Du bist in einem Raum und ein Drache fliegt um dich herum", erzählte Thomas Tull, der in Magic Leap investiert hat, dem Wall Street Journal. "Dir fällt die Kinnlade herunter und ich konnte nicht aufhören zu lächeln", schwärmt der Chef der Filmproduktionsgesellschaft Legendary Pictures, die ebenfalls zu den Financiers gehört. Und Bing Gordon von Kleiner Perkins stellt sich vor, "mit weißen Haien zu schwimmen oder den Everest ohne Sauerstoff zu erklimmen". Und Abovitz selber schwebt eine Welt vor, in der Kinder "tun können, was Harry Potter gemacht hat. Ihn nicht gucken oder lesen, sondern es zu tun."

Bei so vielen blumigen Visionen wundert es nicht, dass das Team des Start-ups laut Homepage aus einer "ausgewählten Gruppe von Visionären, Raketenforschern, Magiern und Gurus" besteht (in Wahrheit stammt ein Teil der mehr als 100 Mitarbeiter aus Firmen wie Blackberry oder Motorola).

In diesen phantastischen Kontext passt auch ein bizarrer Auftritt Abovitzs bei einem Ted-Talk, in einen Raumanzug gepresst und umgeben von psychedelischen Monstern. Womöglich aber hat Magic Leap einfach eine furchtbare Marketing-Abteilung.

Ob das Team oder die Investoren den Verstand verloren haben, ist schwer zu beurteilen, aber der Erfahrung nach eher unwahrscheinlich. Immerhin hat Facebook mit seiner zwei Milliarden Dollar teuren Übernahme von Oculus signalisiert, das Feld künftig besetzen zu wollen - nun ist Google nachgezogen. Allerdings bleiben die Summen für solche Frühphasen-Start-ups selbst dann gewaltig, wenn man die gigantischen Aufschläge herausrechnet, die im überhitzten Klima des Silicon Valley derzeit gezahlt werden.

Der Durchbruch der virtuellen Realität gehört zu den großen Versprechen, die sich aus der wachsenden Rechenkraft von Computern ergeben; Science-Fiction-Szenarien wie das Holodeck in "Star Trek: The Next Generation", das sämtliche Umgebungen auf Knopfdruck erscheinen ließ, befeuerten den Wunsch nach einem Eintauchen in eine andere Welt. Dass sich auch Hollywood-Akteure an Magic Leap beteiligen, zeigt, dass auch Teile der Entertainment-Industrie auf ein Ende der Trennung zwischen Leinwand und Publikum hoffen. Allerdings merken Kritiker an, dass das Versprechen bislang vor allem eines ist: ein Versprechen.

Für Kulturpessimisten gehört die virtuelle Realität wahrscheinlich zu den größeren der Digitalisierungs-Gefahren, vernetzen sie Mensch und Maschine doch noch tiefer als bislang. "Ich glaube, dass unsere Gesellschaft in seltsame neue Gefilde driftet", heißt es in einem prophetisch intonierten Blogeintrag. "Was wird aus uns vernetzten, bloggenden, iPod-nutzenden, drahtlosen, mit Bluetooth verbundenen, my-gespacten, gegoogelten Freaks werden?" Die Sätze stammen aus dem Jahr 2005, geschrieben hat sie der spätere Magic-Leap-Gründer Rony Abovitz.

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