Lootboxen in Videospielen:Taschengeld für Pixelmüll

Overwatch Lootbox

Virtuelle Überraschung für reales Geld: Wie in „Overwatch“ können in vielen Computerspielen sogenannte Lootboxes gekauft werden.

(Foto: Blizzard Entertainment)
  • 866 Millionen Euro gaben deutsche Gamer im ersten Halbjahr 2018 für In-Game-Käufe aus. Ein guter Teil davon dürfte für sogenannte Lootboxen ausgegeben worden sein.
  • Die - oft jugendlichen - Spieler kaufen sich damit die Chance auf einen wertvollen Gegenstand, können aber auch nur wertlosen Kram in der virtuellen Kiste finden.
  • Experten halten den Kauf von Lootboxen für vergleichbar mit Glücksspiel, staatliche Regeln gibt es dafür aber noch nicht.

Von Jan Willeken, Berlin

Der Junge aus Texas hatte eine glückliche Kindheit, bis er im Alter von 13 Jahren einen folgenschweren Fehler beging. Für 30 Dollar kaufte er Upgrades in einem Handy-Spiel, um beim Bau seiner virtuellen Stadt mit Freunden mithalten zu können. Es war der Beginn eines Teufelskreises, denn bei dem einen Upgrade blieb es nicht, und bei dem einen Spiel auch nicht. Er kaufte ein Upgrade ums andere. Später muss der Spieler eine bittere Bilanz ziehen: "Ich kämpfe mit Glücksspielsucht", gestand er unter dem Pseudonym Kensgold auf der Plattform Reddit.

Gut 13 500 Dollar, umgerechnet 11 900 Euro, gab er innerhalb von nur drei Jahren aus, um in Videospielen die besten Ausrüstungsgegenstände zu bekommen. Für das viele Geld kaufte er sogenannte Lootboxen, "Beutekisten", deren Inhalt er nicht kannte. Ob sich darin die ersehnte Lackierung, das beste Gewehr befand, oder nur wertloser Pixelmüll: Zufall, Glück - oder eben Pech.

Kensgolds Geschichte ist die extreme Form eines Problems, das immer größer wird. Allein im ersten Halbjahr 2018 haben deutsche Gamer 866 Millionen Euro für "Mikrotransaktionen" ausgegeben, zeigen Zahlen des Verbands der deutschen Games-Branche. Das ist ein Zuwachs von fast 40 Prozent im Vergleich zur Vorjahreshälfte. Und viele der Kunden sind noch nicht einmal volljährig: Mehr als ein Viertel der zwölf- bis 17-jährigen Gamer, so ergab eine Studie der Krankenkasse DAK und des Deutschen Zentrums für Suchtfragen, zahlte im vergangenen Halbjahr Geld für Extras in Spielen.

Psychologische Tricks motivieren Jugendliche zum Glücksspiel

"Durch die Tricks der Industrie finden viele Jugendliche kein Ende und verzocken Zeit und Geld", sagt DAK-Chef Andreas Storm. Durch zwischengeschaltete Online-Währungen und oft niedrige Kaufpreise pro Transaktion verlören besonders jugendliche Spieler leicht den Überblick darüber, wie viel sie eigentlich ausgeben, warnen Experten. Für Ilona Füchtenschnieder, Chefin des Fachverbands Glücksspielsucht ist es eine "absolute Schweinerei", dass mit verwundbaren jungen Menschen durch Lootboxen Geld gemacht werde.

Die Politik hat sich in Deutschland bisher nicht besonders für das Thema interessiert. Lootboxen seien ein Risiko, das "bislang noch nicht hinreichend vom gesetzlichen Kinder- und Jugendmedienschutz erfasst wird", sagt ein Sprecher des Bundesministeriums für Familie und Jugend auf Anfrage. Studien zufolge betrifft das in Deutschland 8,5 Millionen Kinder und Jugendliche im Alter von bis zu 19 Jahren, die Videospiele spielen. "Loot Boxes ermöglichen Interaktion und entfalten Anreizwirkungen gerade auch für Kinder und Jugendliche zu Käufen innerhalb eines Spiels", teilt das Ministerium mit. Diese Käufe könnten "schnell außer Kontrolle geraten". Viele der Käufe geschehen im Verborgenen, oft erfahren auch die Eltern nichts davon. Sozialpädagogen berichten von Fällen, in denen etwa Eltern ihrem Sohn Geld für ein Auto gegeben hatten - und dann feststellten, dass der das meiste, einen fünfstelligen Betrag, innerhalb weniger Wochen in ein Videospiel gesteckt hatte. Das erinnert stark an die Geschichte von Kensgold.

In Belgien und den Niederlanden gelten Lootboxen als illegales Glückspiel

Aus psychologischer Sicht kommen viele Fachleute und Studien zu dem Schluss, dass Lootboxen mit ihrer Sogwirkung zumindest eine starke Ähnlichkeit zu Glücksspiel aufweisen - so auch die DAK-Studie. Eine zentrale Glücksspielaufsicht, die eine solche Einschätzung aus rechtlicher Sicht vornehmen könnte, gibt es in Deutschland nicht. Markus Ruttig ist Anwalt und Experte für Glücksspielrecht. Er hält es für wahrscheinlich, dass Lootboxen Glücksspiel sind. Man zahle einen echten Einsatz und riskiere einen totalen Verlust dieses Einsatzes: "Es kann sein, dass das völlig für die Katz ist, weil man das, was man bekommt, nicht gebrauchen kann", sagt Ruttig.

Doch die Sache ist juristisch diffizil. Anders als andere Glücksspiele verwenden viele der Spiele virtuelle Währungen, für die man Euro und Cent ausgeben muss - die sich aber auf legalem Wege nicht in Euro und Cent zurückverwandeln lassen. "Es ist Glück, was Sie in der Box erwartet", sagt Anwalt Wulf Hambach, der sich auf Glücksspielrecht spezialisiert hat. "Aber Glücksspiel im rechtlichen Sinne ist es nur, wenn Sie etwas bekommen können, was man unmittelbar in Geld umwandeln kann."

Belgien und die Niederlande haben Lootboxen als illegales Glücksspiel eingestuft, in Deutschland könnte bald zumindest für Minderjährige Schluss sein. "Jugendschutz geht vor Profitgier", schrieb Familienministerin Franziska Giffey (SPD) unlängst auf Facebook. Anbieter müssten "mehr Verantwortung übernehmen", zum Beispiel kennzeichnen, dass Lootboxen in einem Game enthalten sind, und die Gewinnchancen offenlegen. Außerdem sollten Lootboxen einen Einfluss auf die Altersfreigabe von Spielen haben.

Ein generelles Verbot werde derzeit jedoch nicht geprüft, teilt das Ministerium mit. Man arbeite aber daran, das aktuelle Jugendmedienschutzgesetz "aus der Zeit von CD-ROMs und Videokassetten" zu reformieren. Besonders für Mobilgeräte, deren Nutzung Eltern kaum kontrollieren können, gebe es "bisher keine effektiven gesetzlichen Schutzstandards", sagt ein Sprecher.

Eine Einstufung als Glücksspiel hätte gravierende Konsequenzen, denn damit wären die Lootboxen illegal - schließlich braucht man für Online-Casinos hierzulande eine Lizenz. Erfahrungsgemäß werden solche Generalverbote aber schlicht missachtet. Umso mehr begrüßt Anwalt Ruttig eine Jugendschutzregelung, die er für weitaus effektiver hält: "Egal, ob Lootboxen Glücksspiel sind oder nicht: Es ist so nah dran, dass man das bei Minderjährigen nicht will."

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