Süddeutsche Zeitung

Smart City Hamburg:"Vielleicht testen wir irgendwann fliegende Autos"

Hamburg entwirft ein neues Mobilitäts-Konzept - für Autos, Busse und den Schiffsverkehr. Ausgerechnet der Volkswagen-Konzern berät die Stadt dabei.

Von Angelika Slavik

Zwischen der Stadt Hamburg und dem VW-Konzern kann, wer danach sucht, erstaunliche Parallelen entdecken. Beide eint, dass sie nach eigenem Selbstverständnis für den Lauf der Welt von herausgehobener Bedeutung sind. Und beide hatten zuletzt das, was man freundlich eine schlechte Phase nennen könnte: Hamburg, das Tor zur Welt, kosmopolitisch, tolerant, elegant, schlägt sich rum mit Milliardenverlusten aus faulen Schiffskrediten, mit peinlichem Schimmelbefall in der sündteuren Elbphilharmonie und dem Imagedesaster, das das Chaos beim G20-Gipfel dieser Stadt beschert hat. Volkswagen, der Weltkonzern, der Inbegriff deutscher Ingenieurskunst, wurschtelt sich nur mühsam aus dem Diesel-Desaster, immer noch verstört von seinem neuen Status als nationaler Problemfall.

Bald aber sollen bessere Zeiten anbrechen: für Hamburg, für Volkswagen und deshalb irgendwie für alle. Der Konzern und die Stadt haben sich im vergangenen Jahr auf eine "Mobilitätspartnerschaft" geeinigt - und wie es sich für Kooperationen aller Art gehört, begann auch diese mit ambitioniert inszenierten Fotos. Vor dem Rathaus posierten also der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz, SPD, und VW-Vorstandschef Matthias Müller mit einem Elektro-Auto.

Ein großer Moment für Fahrer und Beifahrer

Natürlich setzten sie sich dann auch hinein. Müller überließ Scholz den Platz am Steuer, was sehr höflich ist und außerdem die einzig akzeptable Sitzverteilung für einen Politiker - schließlich muss der sich sonst im nächsten Wahlkampf anhören, wo's lang ginge, bestimme ja ohnehin nur die Industrie. So aber war es unzweifelhaft ein großer Moment für Fahrer und Beifahrer.

Drei Jahre soll die Partnerschaft laufen, und nach den schönen Fotos soll sie nicht weniger als die Ära der modernen, nachhaltigen Mobilität in der Großstadt einläuten. Tatsächlich hat die Stadt einen Entwicklungsschub in Sachen Verkehrsmanagement nötig. Wie in den meisten Großstädten gibt es auch in Hamburg, vor allem in der Innenstadt, viel zu wenig Parkplätze und der Verkehr fließt zäh.

In Hamburg kommen dazu aber noch die besonders schlechte Luftqualität. In der Hansestadt verpesten nicht nur die Autos die Luft, sondern auch die Schiffe. Hamburg liebt seinen Hafen und vermarktet die Seefahrer-Romantik mit Verve, aber von den unzähligen Tonnen Schadstoffen, die Kreuzfahrt- und Containerschiffe, Yachten und Bulker hier mitten in der Stadt ausstoßen, spricht man weniger gern.

Veränderung ist also angesagt und als eines der ersten Projekte soll in Hamburg von 2018 an ein elektrischer Shuttle-Service angeboten werden. Dazu kooperiert die VW-Tochter Moia, die der Konzern eigens zur Entwicklung neuer Mobilitätskonzepte gegründet hat, mit der Hamburger Hochbahn, dem Betreiber der öffentlichen Verkehrsmittel in der Stadt. Für den Shuttle-Service werden dann 200 Fahrzeuge mit E-Antrieb eingesetzt, in denen bis zu sechs Menschen mit ähnlichen Fahrzielen mitfahren können.

Bestellt werden die Autos via Smartphone-App, in der Standort und Ziel angegeben werden müssen. Abgeholt werden die Fahrgäste an "virtuellen Haltestellen", also festgelegten Sammelpunkten, die fußläufig, aber leicht erreichbar sein sollen. Eine Art urbanes Sammeltaxi also, das eine zusätzliche Option neben Bus und Bahn, Taxi, Carsharing und eigenem Auto darstellen soll. Den Shuttlebus für diesen Service muss Volkswagen allerdings erst entwickeln, dennoch soll es in der zweiten Jahreshälfte 2018 losgehen. Was der Dienst für Fahrgäste kosten wird, steht noch nicht fest. Das schmälert den Hamburger Stolz allerdings nicht: Die Stadt werde die weltweit erste sein, die "ein emissionsfreies E-Shuttle on demand" anbiete, heißt es - das sei doch eine attraktive Alternative zum eigenen Auto.

Die Kooperation mit Volkswagen war der Stadt dennoch nicht genug, auch mit Daimler und mit BMW wurden Abkommen geschlossen. Dabei geht es hauptsächlich um die Umgestaltung der Fahrzeugflotte, die für die Carsharing-Dienste Car2go (von Daimler) und Drive Now (von BMW) genutzt wird. So soll etwa bis Ende 2019 die Hälfte der 800 Car2go-Autos in Hamburg aus Fahrzeugen mit E-Antrieb bestehen. Zudem wird die Ladeinfrastruktur ausgebaut: Etwa 600 öffentlich zugängliche Ladestationen gibt es demnach bis Ende Oktober in Hamburg, bis Anfang 2019 soll diese Zahl auf 1000 gesteigert werden. Zudem plant der Senat, speziell für die Autos der Carsharing-Anbieter weitere 150 Ladestationen errichten zu lassen. In den kommenden drei Jahren sollen außerdem die Behörden ihre Flotten zur Hälfte auf E-Autos umgerüstet haben. Perspektivisch - also nach 2020 - soll zudem der Strom für den Hamburger Verkehr aus den Windkraftanlagen in Schleswig-Holstein kommen.

Dazu soll eifrig getestet werden. Von automatisierter Parkplatzsuche am Flughafen ist die Rede, von Autos, die immer mehr Funktionen selbständig steuern, bis hin zu autonomem Fahren. "Vielleicht testen wir irgendwann fliegende Autos", sagte der VW-Chef Müller bei der Verkündung der "Mobilitätspartnerschaft" - soll wohl heißen: Man forscht eifrig, und falls dabei irgendetwas rauskommt, wird es in Hamburg getestet.

Doch trotz all dieser Aussicht auf Innovationen begeistert Hamburgs Konzept für die Mobilität der Zukunft nicht alle in der Stadt. Die Pläne des Ersten Bürgermeisters Scholz seien viel zu sehr auf Autos konzentriert, finden Kritiker. Bei der Interessensvertretung der Radfahrer, dem ADFC, zum Beispiel moniert man, Hamburg achte bei der Mobilitätsplanung viel zu wenig auf Radler und Fußgänger, dabei wären das doch die mit Abstand umweltschonendsten Methoden der Fortbewegung. Insgesamt habe Hamburg "großen Nachholbedarf" in Sachen Bikerfreundlichkeit, sagt der ADFC und verweist auf seine Studie zum Thema. Im bundesweiten "Fahrradklima-Test" landete die Stadt mit Verweis auf schmale und ständig zugeparkte Radwege nur auf Platz 31 von 39 Städten seiner Kategorie.

Hier liebt man den Hafen-Kitsch

Und was ist mit dem Hafen, Hamburgs romantischster Dreckschleuder? Bei der HHLA, einem der Unternehmen, die in Hamburg die Abfertigung der Containerschiffe übernehmen, sollen Schwertransporter schrittweise auf Batteriebetrieb umgestellt werden, etwa beim Containerterminal Altenwerder. Zu dem Projekt mit VW gehört außerdem die Idee, irgendwann selbstfahrende Lastwagen im Hafen auszuprobieren. Erfahrung mit Fahrzeugen ohne Fahrer gibt es bereits. Schon jetzt wird bei einigen Containerbrücken mit autonom agierenden Fahrzeugen gearbeitet. Sie managen den Transport der Container vom Schiff zu Lkw oder Zug.

Weniger gut lief es mit der Landstrom-Anlage. Am Kreuzfahrtterminal in Hamburg-Altona mit großem Tamtam eröffnet, sollte die Landstromanlage dafür sorgen, dass die großen Urlaubsschiffe, während sie im Hafen liegen, elektrisch versorgt werden. Bislang verbrennen die meisten Kreuzfahrtschiffe auch während der Liegezeit Marine-Diesel. Allerdings nutzt nur ein einziges Schiff, die AidaSol, auch tatsächlich diese Möglichkeit der Energieversorgung. Die anderen Kreuzfahrtschiffe legen entweder auf anderen Terminals an, also dort, wo die Landstromanlage nicht ist, oder sie haben keine passende Ladevorrichtung, die zu der Anlage in Altona passt. Das brachte viel Spott in der lokalen Presse. Der Weg zur Nachhaltigkeit ist eben mitunter ein steiniger.

Bleibt noch die Hochbahn selbst, die seit Jahren Busse mit verschiedenen neuen Antriebstechnologien testet. Es gibt dieselelektrische Hybridantriebe, Fahrzeuge mit Wasserstoff-Brennstoffzellen, rein batteriebetriebene E-Busse und Fahrzeuge, für die Brennstoffzellen und Batterien kombiniert wurden. Auf der Buslinie 109 fährt etwa ein Vorserienmodell des polnischen Herstellers Solaris mit drei eingebauten Akkus. Die werden an den Endhaltestellen jeweils für etwa fünf Minuten an einem Lademast geladen - das reicht gerade für die zehn Kilometer lange Strecke. "Innovationslinie" nennt die Hochbahn den Bus 109. Zukunft zum Ausprobieren sozusagen.

Und Volkswagen? In den kommenden Wochen will der Konzern konkrete Projekte bekannt geben, wie Hamburgs Mobilität, neben dem Shuttle-Service, in den kommenden drei Jahren grundlegend verändert werden soll. Fliegende Autos werden wohl nicht dazu gehören, aber es wird ein Anfang sein. Fast möchte man sagen: Heiße Luft ist immer noch besser als dreckige.

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Quelle:
SZ vom 24.10.2017/mri
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