Let's Play:Wie ich einmal versuchte, Youtube-Promi zu werden

Hnik Yannic Hannebohn

Um erfolgreicher Let's Player zu werden, legte sich Yannic Hannebohn eine Online-Persönlichkeit zu: den stets gut gelaunten "Hnik".

(Foto: Wolfgang Maria Weber)

Unser Autor wollte sein wie die Let's Play-Stars, denen Millionen beim Computerspielen zusehen. Aber wenn er Tetris zockte, machte er seine Zuschauer nur zornig.

Von Yannic Hannebohn und Dorothea Wagner (Konzept)

Dieser Artikel erscheint auch in Vegas, dem Abschlussmagazin der Klasse 53B der Deutschen Journalistenschule in München.

Ich brauche vier Tassen Espresso und ein Video von Taylor Swift. Dann bin ich in Stimmung und schalte die Kamera ein. Eigentlich wollte ich das vor drei Stunden machen. Aber erst musste ich ein Stativ aufbauen, die Kamera in den richtigen Winkel drehen und das Mikro einrichten. Jetzt ist es Mitternacht. Irgendwie soll ich jetzt einen gutgelaunten YouTuber mimen. Jemanden, der seine Zuschauer reinzieht, witzige Sprüche bringt und beim Zocken nicht völlig versagt. Ich bin so müde.

Was ich da machen will, nennt sich "Let's Play" und ich bin nicht allein. Hunderttausende Jugendliche setzen sich jeden Tag nach der Schule oder Uni vor den PC, öffnen ein Computerspiel und filmen sich beim Spielen. Sie wollen so sein wie Unge, Gronkh oder Dner: Die haben auf YouTube Millionen Abonnenten - treue Anhänger, die jeden Tag ihre Videos schauen. Und sie verdienen viel Geld durch Klicks, Kooperationen und Fanprodukte. Wie viel, weiß niemand genau, weil die Let's Player nicht darüber reden. Branchenkenner schätzen, dass es mehrere hunderttausend Euro pro Jahr sind.

Ist es möglich, vom unbekannten Spieler zum bekannten Let's Player zu werden? Und wenn ja, zu welchem Preis? Wenn der Alltag daraus besteht, Videos zu schneiden und Computerspiele zu kommentieren? Ich will Let's Player werden und es herausfinden. Für ein paar Wochen, wenn es gut läuft auch gerne Jahre.

Ich beginne mit einer Analyse und klicke mich durch die Kanäle einiger Let's Player auf YouTube. Viele der Videos sind mit schnellen Jumpcuts geschnitten, die Protagonisten sind laut und quasseln viel. Ich nicht. Und ich will auch nicht so werden wie sie. Mein Ausweg hat vier Buchstaben: Hnik, sprich Hanik.

Hnik ist eine Kunstfigur. Eine Rolle, in die ich schlüpfen kann, wenn ich die Kamera einschalte. Außer einem guten Namen und einem aufgedrehten Wesen brauche ich aber noch eine ganze Menge mehr: Webcam, den richtigen Hintergrund, ein passendes Outfit, ein gutes Mikro, Spiele, Recording-Software.

Leider sucht mich niemand

Das erste Video ist dank Espresso und Taylor um ein Uhr morgens fertig. Ich spiele darin Tetris. Lieber was Einfaches zu Beginn, denke ich. Meine Performance ist, freundlich gesagt, kläglich. Aber egal. Ich schneide das Ergebnis und lade es hoch. Um 1.33 Uhr steht das erste Video auf meinem Kanal. Als ich es am nächsten Morgen aufrufe, hat es bereits einen Klick. Also meinen. Guter Start, finde ich. Zu meiner YouTube-Präsenz kommen Facebook-Seite und ein Twitterkanal, die Leute sollen mich ja finden können. Leider sucht mich niemand. Ein paar meiner Freunde, die in das Projekt eingeweiht sind, klicken auf "Gefällt mir" und schauen sich das erste Video an. Das ist alles.

Etwas anderes hatte ich allerdings gar nicht erwartet. Dner hat in einem Video erzählt, dass sein erster Clip zehn Klicks hatte. Heute schauen zwischen 200.000 und 400.000 Menschen seine Videos - manche sind noch viel erfolgreicher. Ein Video, das mehr als drei Millionen Mal geklickt wurde, heißt: "FANS VERFOLGEN UNS IM SCHWIMMBAD.." Doch um Fans zu bekommen, die einen im Schwimmbad verfolgen, muss man viel Arbeit investieren. Dner lädt jeden Tag mehrere Videos hoch. Er selbst erzählt in einem Video, dass er sein Studium abgebrochen hat, weil sein Kanal so viel Zeit in Anspruch nimmt. Unter seinen 2,4 Millionen Abonnenten sind ein paar, die ihm auch mal in Köln auflauern. Dner belastet das, erzählt er in einem seiner Videos. Wird es mir in ein paar Jahren auch so gehen? Drehe ich dann auch so ein Video, in dem ich von der Last des Ruhms berichte?

Ein paar Tage nach meinem ersten Upload bin ich nicht weitergekommen. Eine graue "2" steht neben meinen Kanalnamen. So viele Abonnenten habe ich. Zwei. Let's Player, die wie ich ganz am Anfang stehen, drehen oft Videos gemeinsam mit anderen YouTubern, um schneller mehr Zuschauer zu bekommen. Also schreibe ich erfolgreiche Let's Player an.

Niemand antwortet.

Ich spiele da eine fiktive Figur, das bin nicht ich

Wahrscheinlich liegt es an mir. Deswegen frage ich meine Freunde, wie sie die bisherigen Videos finden. Die Antworten sind nicht sehr motivierend. Einige sagen mir, die Videos machen sie wütend. Weil ich bei Tetris die Steine falsch platziere. Weil es weh tue, mir beim Verlieren zuzusehen. Sie haben ja keine Ahnung, wie schwer es ist, Mund und Hand zu koordinieren. Natürlich spiele ich normalerweise besser, aber wenn man das Gefühl hat, dass einem - potenziell - das gesamte Internet beim Spielen zusieht und auf witzige Sprüche wartet, dann hat man zwei, drei Dinge mehr im Kopf, als die Frage, wohin der nächste Stein gesetzt werden soll.

Eine Freundin sagt mir, dass sie das Projekt interessant finde. Aber sie merke, dass dieser Hnik, den ich da spiele, nicht ich sei. Dass die Figur vielleicht nicht so ganz zu mir passe. Ich weiß nicht, ob ich enttäuscht oder erleichtert sein soll. Natürlich stimmt es. Der Gedanke, dass jemand diese Videos von mir findet, geistert in meinem Kopf umher. "Ich spiele da eine fiktive Figur, das bin nicht ich" wird meine Lieblingserklärung, wenn ich mit guten Freunden über mein neues Hobby spreche. Dabei habe ich schon früher gerne gezockt. Fifa, zu zweit an einem PC, nach fünf Minuten wurde gewechselt, Ehrensache. Nur gab es damals keine Kamera und es war erlaubt zu schweigen.

Obwohl sich wirklich niemand für mich interessiert, versuche ich immer wieder, in die Rolle des Let's Players zu wachsen. Trinke einen Espresso mehr. Aber ehrlich gesagt: Die Videos werden nicht besser. Als letztes Aufbäumen will ich es nochmal mit beliebteren Spielen probieren. Ich installiere das Spiel "Half-Life" und richte mir ein Konto auf der Streaming-Plattform Twitch ein. Auf Twitch trifft sich die Let's-Play-Community, hier wird rund um die Uhr live gestreamt und kommentiert. 2014 zählte die Plattform 60 Millionen ständige Zuschauer. Wenn sie wollen, können sie den Let's Playern dort Geld spenden. Normalerweise sind es 5 Dollar, eine Grenze nach oben gibt es nicht. Ein Let's Player mit dem Namen "Azael" bekam im vergangenen Jahr bei einem Stream eine Spende in Höhe von 30.000 Dollar von einem Unbekannten.

"LOL, was machst du da?"

Vielleicht habe ich ja auch so viel Glück. Wieder schalte ich die Kamera an und starte das Spiel. Live zu streamen ist das Schwierigste, nachträglich schneiden geht auf Twitch nicht. Aber irgendwann vergesse ich das und versinke im Spiel. Nach ein paar Minuten wage ich einen Blick auf die Kommentarspalte."LOL, was machst du da" steht am rechten Bildrand. "Eine Reaktion", denke ich und will antworten.

Aber der Zuschauer ist schon wieder weg.

Unter dem Suchbegriff "Let's Play" findet man heute mehr als 39 Millionen Videos auf YouTube. Zehn davon zeigen Hnik, einen unbekannten Let's Player, mit einem großen Plan. Hätte ich mehr machen können? Sicherlich, aber nur mit mehr Zeit. Denn wenn ich eine Sache gemerkt habe, dann, dass sich der Alltag eines Let's Players nicht mit einem normalen Leben verbinden lässt. Wer erfolgreich werden möchte, muss sich entscheiden - einen Kanal zu füllen und gleichzeitig ein Leben fern der Kamera zu führen, ist unmöglich. Zuletzt braucht es auch eine Menge Glück, um in der Masse aufzufallen.

In Hnik habe ich mehr als hundert Stunden investiert. Mein letztes Video hat vier Aufrufe. Sie sind alle von mir.

Meinen Kanal lösche ich trotzdem nicht. Irgendwann, wenn ich viel Zeit habe, wird es Hnik noch einmal versuchen. Schließlich sagt mir auch Minesweeper am Ende eines Spiels: "Leider verloren. Spielen Sie noch einmal."

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