Digital-Agenda der EU:Geschwätz übers Netz

Während Asiaten und Amerikaner in der digitalen Welt Fakten schaffen, diskutiert Europa weiterhin seine nationalen Befindlichkeiten. Auch weil viele noch gar nicht begriffen haben, wie weit sie hinterherhinken.

Von Varinia Bernau

Politiker lieben es, sich als Macher in Szene zu setzen. Sie lieben es, zum Amtsantritt eine Agenda vorzulegen und später immer mal wieder eine mit pompösen Worten verzierte Initiative zu verkünden. Dies hat durchaus seine Berechtigung. Denn so machen sie deutlich, wo die Prioritäten ihrer Politik liegen. Und im besten Fall begeistern sie so auch all die Partner, die sie brauchen, um ihre Versprechen in die Tat umzusetzen. Heikel wird es erst dann, wenn der Ehrgeiz oder auch das Ego dieser Politiker allzu groß ist. Dann nämlich besteht die Gefahr, dass sie Dinge verkünden, die sie gar nicht halten können. Und dass sie in dem Versuch, auf alles eine Antwort zu geben, im Vagen bleiben.

Beobachten lässt sich dies derzeit in Brüssel: Die neue EU-Kommission unter ihrem Präsidenten Jean-Claude Juncker hat es als eines ihrer wichtigsten Ziele erklärt, Europa fit fürs digitale Zeitalter zu machen. Das ist ein gutes Signal. Und doch bleibt das fünfseitige Papier, das die beiden federführenden Kommissare Andrus Ansip und Günther Oettinger nun vorgelegt haben, hinter den Erwartungen zurück, die sie vor einigen Wochen selbst geweckt haben. Das ist umso ärgerlicher, da Europa schon viel zu lange tatenlos zugesehen hat, wie amerikanische und asiatische Technologiekonzerne das Feld erobern. Im Zuge der Digitalisierung immer weiterer Branchen setzen diese nun zunehmend auch andere europäische Unternehmen unter Druck.

Fachfragen, Interessengruppen, Rechtsregeln

Ein digitaler Binnenmarkt ist ein wesentlicher Baustein, damit Europa den Anschluss nicht verliert. Das Papier aber, das den Weg hin zu diesem einheitlichen digitalen Wirtschaftsraum skizziert, liest sich, als wolle sich die Kommission nur nicht vorwerfen lassen, einen Aspekt des vernetzten Lebens vergessen zu haben. Diesem Anspruch aber kann sie bei einem so vielfältigen Thema gar nicht gerecht werden. Die Fragen nämlich, wie man Investoren für den Ausbau schneller Netze gewinnt, Verbrauchern hilft, ein defekt ausgeliefertes E-Book zu reklamieren, oder die Verbreitung von Kinderpornografie verhindert - sind alle höchst dringlich, aber eben auch sehr unterschiedlich. Und man muss, um darauf ebenso ausgewogene wie wirkungsvolle Antworten zu finden, ganz unterschiedliche Fachfragen klären, mit ganz unterschiedlichen Interessengruppen verhandeln und ganz unterschiedliche rechtliche Regeln reformieren.

Zwar betonten die beiden Kommissare bei der Präsentation, dass sie ihre Agenda nicht als einen Neuanfang verstanden wissen wollen. Vielmehr gehe es darum, bereits angeschobene Initiativen zu beschleunigen. Doch warum bitte schön stecken sie dann so viel Energie in eine neue Agenda - statt jene Gesetzesvorhaben zum Abschluss zu führen, die an der einen oder anderen Stelle im Brüsseler Betrieb stecken geblieben sind?

Blockiert oder zurechtgestutzt

Seit zweieinhalb Jahren etwa ringt Europa um eine einheitliche Datenschutzgrundverordnung. Das sind zweieinhalb Jahre, in denen Apple, Google und Facebook die einzelnen Mitgliedsstaaten mit ihren unterschiedlichen Datenschutzstandards gegeneinander ausspielen, europäische Bürger veräppeln und europäische Unternehmen auf Abstand halten. Auch das Telekommunikationspaket, eine andere bereits angeschobene Gesetzesgrundlage für einen digitalen Binnenmarkt, wurde noch immer nicht verabschiedet - obwohl die darin zu regelnde Frage, ob gewisse Daten gegen Gebühr schneller durchs Netz geleitet werden dürfen, für die Zukunft der digitalen Wirtschaft entscheidend ist.

Der Grund dafür, dass es Brüssel noch immer nicht gelungen ist, so wichtige Regeln festzuschreiben, liegt im Wesen der Europäischen Union. Denn es sind zumeist die einzelnen Mitgliedsländer, die die von der vorangegangenen Kommission bereits vorgelegten Entwürfe im Rat blockieren oder auf windelweiche und damit wirkungslose Kompromisse zurechtstutzen. Manchmal handeln sie aus einer Art nationalem Egoismus heraus, manchmal auch nur aus Unverständnis.

Andrus Ansip, Kommissar für den digitalen Binnenmarkt und zudem Junckers Stellvertreter an der Spitze der Kommission, weiß wohl um dieses Dilemma. Europa müsse sich Zeit für Demokratie nehmen, betonte er. Soll heißen: klug verhandeln statt schnell verordnen. Darin liegt nun also die eigentliche Aufgabe der EU-Kommission: Sie muss bei den Mitgliedsländern um Verständnis dafür werben, dass der Kontinent zusammenhalten muss, um nicht noch weiter hinter Amerika und Asien zurückzufallen. Ohne ein europäisches Bewusstsein und Bekenntnis gibt es keinen Binnenmarkt. Auch nicht in digitalen Zeiten.

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