Leben im Netz:Was Jugendliche vom Internet halten

Eitelkeit oder Isolation, Abstinenz oder Zwang - wir fragten Jugendliche, ob und wie die Technik sie beherrscht. Die Antworten sind differenziert.

Gabriela Herpell

Welche Rolle spielt das Internet in deinem Alltag?

Leben im Netz: Jugendliche sind mit dem Internet groß geworden. Doch wie denken sie über das Leben mit dem Netz?

Jugendliche sind mit dem Internet groß geworden. Doch wie denken sie über das Leben mit dem Netz?

(Foto: Matt Harnack/AFP)

Lena, 17: Eine große Rolle, allein schon wegen der Verständigung untereinander. Ich schreibe mit meinem Handy SMS und telefoniere, aber viele meiner Freunde antworten nicht per SMS, weil die kostenpflichtig sind. Also kommunizieren wir viel über Facebook. Ich habe auch immer noch einen Account bei Schüler VZ, aber da gucke ich gar nicht mehr rein. Keiner ist da mehr drin. E-Mails schreibe ich eher, wenn es was zu organisieren gibt: Wer von meinen Freundinnen wann reitet oder die Pferde auf die Wiese stellt. Auch die Lehrer schicken uns viele Aufgaben per Mail. Die posten wiederum nichts auf Facebook; bei uns in Köln nehmen die meisten Lehrer Schüler gar nicht erst als Freunde an.

Was ich so poste? Manchmal Fotos, oder was Witziges. Aber ich teile nicht mit, ob ich gerade Kaffee trinke. Nur wenn ich einen Abend mit Freunden verbracht habe, markiere ich die und schreibe: Das war ein schöner Abend. Dann sehen das zwar alle, aber die, die gemeint sind, werden extra benachrichtigt.

Man hört immer wieder, dass man vorsichtig sein soll, damit einem später, wenn man sich einen Job sucht, nicht etwas zum Nachteil wird, das man mal auf Facebook gepostet hat. Ein späterer Arbeitgeber kann einen aber gar nicht erkennen auf einem Foto, wenn man nicht markiert ist. Das kann, bei bestimmten Einstellungen, niemand sehen außer den Leuten, die gemeint sind. Aber ich passe trotzdem auf, was ich auf Facebook mache. Ich würde nie idiotische Sachen oder sehr private Bilder reinstellen, ich bin sowieso nicht der extrovertierte Typ.

Gerade war ich eine Woche im Urlaub, ohne Internet, das finde ich nicht schlimm. Ich habe es allerdings auch nicht als Erholung empfunden; Facebook stresst mich ja nicht. Wenn ich mich nach einer Woche wieder einlogge, kann ich 50 Benachrichtigungen haben oder auch nur eine. Weil manchmal einfach nix passiert.

Wie nutze ich das Internet sonst noch? Ich recherchiere viel, mittlerweile braucht man das Internet für 50 Prozent der Hausaufgaben. Ich gucke gern Videos auf YouTube. Viele stellen da auch selbstgemachte Videos ein. Hab' ich auch schon gemacht, zum Geburtstag für eine Freundin, aus Fotos, die ganz schnell hintereinander ablaufen, dazu Musik und Schrift.

Was mir an mir selber aufgefallen ist: Ich bin nie nur im Internet. Entweder sehe ich dabei fern. Oder ich esse.

Bist du süchtig nach Technik?

Paul, 16: Ehrlich gesagt schon. Ich habe beispielsweise mein Smartphone ziemlich neu. Davor hatte ich ein altes Handy, damit konnte man nur telefonieren und SMS schreiben. Der Akku war ständig leer, so wenig hat mich das interessiert.

Seit ich das neue habe, ist es wie ein Sog, ich kann das Gefühl nicht mehr haben, nicht erreichbar zu sein. Ich glaube, das hat nicht mal was mit meinem Alter zu tun, sondern mit dem Gerät selbst. Und mit seinen vielen Funktionen.

Die große Revolution aber ist für mich Whatsapp. Da kann man sich Videos und Fotos schicken und Gruppenchats organisieren, alles umsonst.

Ich habe noch keinen eigenen Laptop, ich benutze den von meiner Mutter mit. Also gehe ich meistens erst abends rein, wenn sie fertig ist mit der Arbeit. Und viel von meiner Online-Zeit verbringe ich dann auf YouTube. Ich stelle beispielsweise Musikvideos ein, die ich mit Freunden zusammen gemacht habe: Wir parodieren superbekannte Songs, die wir nicht mehr ertragen können, mit Klavier, Gitarre, manchmal auch mit einer Geige, und nehmen das mit mehreren Kameras aus verschiedenen Perspektiven auf. Und hinterher schneide ich das Material zusammen.

Die Anleitungen findet man allesamt im Internet. Man kann die Videos auch nachbearbeiten. Das sieht zwar nicht besonders professionell aus, aber das gab es vor zwei Jahren noch nicht, und YouTube verbessert das Angebot ständig.

Manchmal veralbern wir auch Filme: Wir synchronisieren einen Trailer um, zum Spaß. Um so ein Video auf YouTube stellen zu können, braucht man einen Kanal. Und wenn man seinen eigenen Kanal hat, kann man andere Kanäle abonnieren und Videos anschauen, die rausgebracht werden. Ich habe viele solche Kanäle abonniert, Musikvideos, auch Filmkritik-TV. Abends gucke ich vor allem meine Abonnements durch.

Facebook ist mir gar nicht so wichtig. Wenn jemand geschrieben hat, antworte ich, gehe dann aber meistens wieder raus, weil es doch Aufmerksamkeit fordert; mittlerweile wird ja fast erwartet, dass man auf Facebook ist. Selbst unsere Lehrer posten, dass wir bitte das und das Buch mitbringen sollen.

Kannst du dir ein Leben ohne Facebook denken?

Mira, 15: Mittlerweile wieder. Aber lange nicht. Ich hatte mal einen ganz großen Facebook-Account, mit 5000 Freunden. Natürlich kannte ich die nicht alle. Das waren Leute, die vom Aussehen her irgendwie passten. Angefangen hat es damit, dass ich ungefähr hundert Leuten Freundschaftsanfragen geschickt habe, dann ging es weiter und weiter. Ich wurde geadded, und ich habe jeden angenommen. Wir haben uns meistens nur über Klamotten unterhalten. Aber irgendwann haben mich dann Leute auf der Straße erkannt und angesprochen, die ich nicht kannte. Da habe ich den Account geschlossen. Mein Vater hatte es mitgekriegt und drauf bestanden.

Bis dahin war meinen Eltern nicht ganz klar gewesen, wie viel Zeit ich auf Facebook verbrachte. Ich habe ja auch andere Sachen am Computer gemacht, Hausaufgaben zum Beispiel, und alles Mögliche nachgelesen. Man kann sich kaum noch vorstellen, dass Leute dafür früher in Bibliotheken gehen mussten.

Ich muss im Nachhinein schon sagen, dass mir das entglitten ist. Irgendwann hat es mich richtig aus der Bahn geworfen. Ich traf zwar noch Freunde, war also nicht nur in einer Ersatzwelt, aber wenn ich zu Hause war, war ich immer online und über Facebook erreichbar. Ich habe kein Buch mehr gelesen, nie mehr im Gras gelegen. Und ich war abhängig von den "Likes", also Komplimenten, die ich bekommen habe. Für mein Aussehen, für Fotos, die ich reinstellte, für meinen Status. Das ist der Stoff, der süchtig macht. Ich bin auf die Art auch mit schrägen Menschen in Kontakt gekommen. "Möchtest du die Frau sein, die mich zerstört?" hat mir einer mal geschrieben, es war als Angebot gemeint. Ein komisches Gefühl. Und dann gibt es auch Leute, die fertiggemacht werden, ohne darum zu bitten. Das wurde mir alles zu viel.

Es war schwer, davon wegzukommen. Meine Mutter hat mir die Internet-Flatrate auf dem Handy gesperrt, damit ich nicht in Versuchung komme. Zu Hause wird mein Konsum limitiert. Aber es geht mir viel besser heute. Jetzt habe ich 105 Freunde. Ich kenne sie alle. Ich gehe dreimal in der Woche auf Facebook, aber ich liege wieder im Gras. Und ich stelle fest, wie viel Kraft mir Facebook geraubt hat.

Erleichtert das Internet dein Leben?

Andrea, 18: Je nachdem. Früher gab es ziemlich strenge Regeln, was meinen Medienkonsum betraf. Wenn ich übertrieben habe, bekam ich Ärger. Einmal hat meine Mutter alle Kabel rausgerissen. Und abends, wenn ich im Bett lag, ist sie noch reingekommen und hat mir das Handy weggenommen, weil ich schlafen sollte.

Jetzt bin ich 18 und habe Abitur und mehr Freiheiten. Ich nutze alles, Facebook, YouTube, Whatsapp. Im Moment bin ich allerdings nur mit dem Handy online, und auch nur da, wo Wlan ist, ich habe keine Flatrate. Und meinen Computer kann ich nicht benutzen gerade, er hat ein Virus.

Für die Schule habe ich viel im Internet recherchiert. Wir durften bei Aufsätzen in Fremdsprachen auch Übersetzerhilfen benutzen, die App von leo.org zum Beispiel. Es gibt schon sinnvolle Apps. Ich liebe die Wetter-App. Wenn wir mit Freunden über irgendwas reden und nach einem Namen suchen, einem Filmtitel, einem Begriff oder auch was im Kino läuft, googlen wir schnell. Und wenn wir den Weg nicht wissen, gucken wir auf Google Maps nach.

Meine Startseite ist Spiegel.de. Mein Vater hat mir das eingerichtet, und mittlerweile finde ich es super. Andere Nachrichten lese ich nicht im Internet, bei uns liegt die Tageszeitung auf dem Küchentisch, da blättere ich lieber drin als im Internet zu suchen.

Über Facebook kann man mit den Leuten kommunizieren, die kein Handy haben. Ich kenne niemanden, der nicht entweder ein Handy mit Whatsapp hat oder auf Facebook ist. Irgendwie muss man ja Verbindung halten können. Auf die Idee, über das Festnetz jemanden zu Hause anzurufen, kommt jedenfalls keiner mehr.

Willst du dich der Welt ständig mitteilen?

Carla, 17: Nein, im Gegenteil. Ich will viel erfahren. In meiner Clique haben wir früh mit Twitter angefangen. Das war unser Spezialding, weil alle anderen auf Facebook waren. Außerdem sind wir musikinteressiert und wollten wissen, was es Neues gibt von den Bands, die wir gut finden. Auf Twitter erfährt man nicht nur, wann die nächste Tour beginnt, sondern Persönliches. Wenn man jemandem folgt, sagen wir mal meiner Lieblingsband Say Anything, dann sieht man auch, wie die untereinander kommunizieren. Falls sie das zulassen. Und wenn man sie anschreibt, kommt manchmal tatsächlich was zurück. Es gibt Aktionen, da antworten sie zehn Minuten lang auf Fragen, zum Beispiel. Da kann man Glück haben.

Da ich keine Person des öffentlichen Lebens bin, kann ich mit meinen Freundinnen über Twitter hin und her schreiben, ohne dass das jemand anschaut. Das fanden wir geschützter als Facebook. Außerdem beschränkt sich ein Tweet auf 140 Zeichen, keine Fotos, keine Listen, keine Likes, keine Wertung. Man kann zwar sehen, wer wem folgt, aber daraus wird man nicht unbedingt schlauer.

Das Internet ist immer da, wenn man mal fünf Minuten nichts zu tun hat. Es nervt mich nur abends, wenn ich eigentlich müde bin und schlafen sollte und ich mich irgendwie darin verliere, ohne dass etwas wirklich Spannendes dabei hängenbleibt. Was nicht immer so ist. Ich bewege mich nämlich auch viel im amerikanischen und englischen Netz, gucke die Philip-DeFranco-Show und erfahre wichtige Dinge über Politik und Popkultur.

Über Twitter haben sich bei mir auch beziehungsmäßig entscheidende Sachen abgespielt. Ich habe mal jemandem etwas geschrieben, was ich ihm nicht sagen konnte. Weil ich mich nicht getraut habe. Ich schätze, früher hat man da einen Brief geschrieben. Für uns ist es halt normal, so was über Twitter zu machen. Aber es ist natürlich schöner, sich mit Leuten zu treffen, als mit ihnen zu twittern. Es ist definitiv kein Ersatz dafür. Das war es für mich auch nie.

Empfindest du manchmal so was wie Gruppenzwang?

Louis,17: Den gibt es, ganz klar. Ich wollte aus diesem Grund noch nie einen Facebook-Account. Facebook kommt mir vor wie eine andere Welt. Die anderen sind ständig mit ihren Handys da drinnen, wenn sie zusammensitzen. Das geht für mich nicht. Viele sammeln möglichst viele Freunde, hat man das Gefühl. Oder posten Fotos und kontrollieren dann, wer wie darauf reagiert. Dabei zeigen diese Fotos oft gar nicht die Seite der Leute, wie ich sie kenne.

Anfangs haben viele versucht, mich mitzuziehen. Aber in meiner Familie ist Facebook auch nicht angesagt. Das hat mir sicher dabei geholfen, gegen den Strom zu schwimmen. Weil ich nie das Gefühl hatte, etwas zu verpassen. Und weil ich sah, wie viel Zeit verloren geht, wenn man drin ist.

Jetzt finden die anderen es schon wieder cool, dass ich nicht dabei bin.

Ich twittere nicht, war nie bei den Lokalisten oder SchülerVZ. Aber natürlich nutze ich das Internet ganz normal. Ich schaue Sachen nach, die ich nicht weiß, lade mir Musik über Itunes runter, höre auch viel Musik, gucke Videos und Serien.

Ich habe ein Smartphone, das hat mir mein Vater vererbt. Damit nutze ich Whatsapp, das nutzen jetzt viele; und da muss man sich auch nicht selbst darstellen. Mein Handy brauche ich natürlich, damit verabrede mich ja. Aber ich würde auch mit einem alten Handy leben können.

Kann man online Freundschaften pflegen?

Johannes, 17: Ja. Das ist ja der Punkt an beispielsweise Facebook. So halte ich mit Freunden, die ich von einem Schüleraustausch kenne, Kontakt. Freunde aus dem Ausland, aber auch Deutsche aus anderen Städten. Wir chatten, wir skypen auch, und ich merke, dass das Interesse an den anderen wacher bleibt, wenn man ab und zu sieht, was sie posten; ein neues Foto aus dem Urlaub oder von der Graduation-Party. Dann kommt man auf die Idee, sie anzuschreiben.

Manchmal passiert allerdings auch das genaue Gegenteil; man bleibt stundenlang alleine vor dem Schirm hängen. Ich hatte bis vor Kurzem eine Phase, da habe ich viele Stunden am Tag Serien geguckt. Das fing so an, dass ich von der Schule nach Hause kam und ein bisschen runterkommen wollte. Auf Fernsehen hatte ich keine Lust, wegen der Werbung. Also habe ich die Serien, die mich interessiert haben, im Internet gestreamt. Erst "O.C. California" und "Die Simpsons", später dann "Two and a half Men" und "How I Met your Mother", immer häufiger auch im Original.

Meine Mutter war oft sauer, wenn sie das gesehen hat. Aber das war wie eine Sucht. Sobald eine neue Staffel draußen war, wollte ich sie so früh wie möglich gesehen haben. Dann kommt eine Serie zur anderen, "Weeds", "Californication", "Breaking Bad". Du sagst dir, ach, eine letzte Folge noch, und dann hängst du davor und kannst nicht mehr aufhören. Wenn du so viele Serien guckst, kommt immer irgendwo gerade eine neue Staffel raus. Sogar nach der Silvesterfeier habe ich den Laptop aufgeklappt und versucht, eine Folge anzuschauen. Ich war natürlich viel zu müde, aber ich hatte mich so dran gewöhnt.

Da muss man sich irgendwann selbst rausziehen. Im Sommer geht das ganz gut. Da fährt man in die Ferien, ohne Internet, und ist draußen. Mit den anderen.

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