Süddeutsche Zeitung

Neue Technologien:EU-Kommission will künstliche Intelligenz regulieren

  • Ursula von der Leyen will "Rechtsvorschriften" mit einem Konzept für die "menschlichen und ethischen Aspekte der künstlichen Intelligenz" vorschlagen.
  • Die neuen Regeln sollen umso strenger sein, je größer der potenzielle Schaden ist, den solche Anwendungen anrichten können.
  • Auch der Chef der Google-Mutter Alphabet, Sundar Pichai, wünscht sich solche Gesetze.

Von Karoline Meta Beisel, Brüssel

Ob selbstfahrende Autos, Gesichtserkennung an öffentlichen Orten oder das "intelligente" Einspeisen von Energie aus erneuerbaren Quellen in die Stromnetze - die Chancen, aber auch die Gefahren, die der Einsatz von künstlicher Intelligenz mit sich bringt, gehören zu jenen Anliegen, die Ursula von der Leyen so wichtig sind, dass sie sich gleich in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit als Präsidentin der EU-Kommission darum kümmern will. Sie werde "Rechtsvorschriften" mit einem Konzept für die "menschlichen und ethischen Aspekte der künstlichen Intelligenz" vorschlagen, kündigte sie in ihren politischen Leitlinien an.

Auch wenn solche Regulierung aus Brüssel die Möglichkeiten von Technologieunternehmen eher einschränken dürfte, solche Anwendungen zu entwickeln und mit ihnen Geld zu verdienen: Zumindest der Chef der Google-Mutter Alphabet jedenfalls wünscht sich solche Gesetze. "Ich habe keinen Zweifel daran, dass künstliche Intelligenz reguliert werden muss", schrieb Sundar Pichai am Montag in einem Gastbeitrag für die Financial Times. Denn die Vorteile dieser Technologie seien keineswegs garantiert, und man müsse sich ebenso vor Augen führen, was alles schief gehen könne. "Firmen wie unsere können nicht einfach vielversprechende Technologien entwickeln und die Entscheidung, wie sie eingesetzt werden, dem Markt überlassen." Am Nachmittag präsentierte Pichai seine Vorstellungen auch bei einem Vortrag in Brüssel - das zeigt, wie ernst er die Ankündigung von der Leyens nimmt.

Bei der Frage, wie genau solche Gesetze aussehen sollten, wurde Pichai noch nicht sehr konkret. Die Vorschriften müssten "verhältnismäßig" sein, und die möglichen Gefahren und Möglichkeiten miteinander abwägen. "Gesetze können Grundregeln aufstellen, die in verschiedenen Sektoren verschieden umgesetzt werden können."

Expertengruppe nicht vorgreifen

Damit dürfte Pichai den Vorstellungen der EU-Kommission schon recht nahe kommen. Das geht aus einem frühen Entwurf für jenes "Weißbuch" hervor, das die EU-Behörde Mitte Februar vorstellen will, und der der Süddeutschen Zeitung vorliegt - von dem Plan, bereits jetzt konkrete Gesetzesvorschläge zu machen, ist von der Leyen offenbar wieder abgekommen; auch deswegen, weil man der Arbeit einer Expertengruppe nicht vorgreifen will, die die vorherige Kommission unter Jean-Claude Juncker bereits eingesetzt hatte. Demnach tendiert die EU-Kommission zu einem zweigleisigen Ansatz - einer Kombination aus sogenannten "horizontalen" Vorschriften, die für alle Anwendungen der künstlichen Intelligenz gelten sollen, etwa wo es um Haftungsfragen oder die Transparenz solcher Anwendungen geht und "zielgerichteten Änderungen" bestehender EU-Gesetze. Dabei sollen die Regeln umso strenger sein, je größer der potenzielle Schaden ist, den solche Anwendungen anrichten können.

Bei seinem Vortrag in Brüssel nannte Sundar Pichai als konkretes Beispiel die dieser Tage heftig diskutierte automatische Gesichtserkennung. Es sei wichtig, dass sich der Gesetzgeber um dieses Thema eher früher als später kümmere, sagte er. Auch das Kommissionspapier benennt diese Technologie als besonders risikoträchtig. Die Behörde erwägt sogar ein Moratorium für diese Technologie. "Das würde bedeuten, dass der Einsatz von Gesichtserkennung im öffentlichen Raum durch öffentliche oder private Akteure für einen festgelegten Zeitraum (drei bis fünf Jahre) verboten werden könnte", währenddessen die möglichen Wirkungen dieser Technologie untersucht werden sollen.

Im EU-Parlament fordert man die EU-Kommission auf, beim Thema künstliche Intelligenz zu "liefern". Die EU müsse eine Balance zwischen robusten Regeln und Offenheit für Innovation finden, sagt der Europaabgeordnete Markus Ferber (CSU). Er warnt aber auch: "Der europäische Rahmen für künstliche Intelligenz darf am Ende nicht in einem Verbotskatalog enden."

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SZ vom 21.01.2020/mri
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