Künstliche Intelligenz:Ohne Furcht vor der Technik-Apokalypse

FILE PHOTO: ISS photographed by Expedition 56 crew members from a Soyuz spacecraft after undocking

Auch in der internationalen Raumstation ISS steckt Technik, die Eng Lim Goh mit entwickelt hat.

(Foto: REUTERS)

Eng Lim Goh baute einen Computer, der besser bluffen kann als Pokerprofis, und einen für die internationale Raumstation ISS. Angst vor technologischem Fortschritt sei unbegründet, sagt er.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Jeder, der schon mal irgendwo im Internet angemeldet hat, kennt vermutlich diesen nervigen Test: Der Mensch soll beweisen, dass er wirklich ein Mensch ist und keine Maschine. Also soll er bitteschön auf einem Foto die Abschnitte anklicken, auf denen Ampeln oder Stoppschilder zu sehen sind. Eine Maschine überprüft, ob der Mensch die richtigen Quadrate gewählt hat. Mittlerweile aber gibt es Maschinen, die Bilder erkennen. Könnte eine solche Maschine nicht so tun, als sei sie ein Mensch?

Eng Lim Goh lacht, als er diese Geschichte hört. Er ist Technikchef von Hewlett Packard Enterprise (HPE), leitet beim Technikkonzern die Bereiche "High-Performance Computing" und "Artificial Intelligence", manche finden es nicht übertrieben zu sagen, dass er einer der intelligentesten Menschen auf diesem Planeten ist. Die US-Raumfahrtbehörde Nasa hat ihm kürzlich die Medaille für außerordentliche technische Leistungen verliehen. Er ist am Spaceborne-Projekt beteiligt, das einen Computer auf der internationalen Raumstation ISS installiert hat. Er hat einen Rechner konstruiert, der beim Pokern bluffen kann und einige der besten Spieler der Welt besiegt hat.

Derzeit beschäftigt sich Goh mit neuronalen Netzwerken, maschinellem Lernen und Blockchain - also jenen Aspekten der Digitalisierung, die entscheidend prägen dürften, wie der Mensch künftig leben wird und welche Rolle dabei Maschinen spielen werden. Das wirklich Faszinierende an dieser Begegnung ist, dass Goh seine Forschung nicht so erklärt, dass der Zuhörer die eine Hälfte kaum versteht und die andere Hälfte überhaupt nicht. "Es ist eigentlich ganz einfach", sagt er grinsend, weil er weiß, dass das eine gewaltige Untertreibung ist: "Der Mensch nutzt beim Lernen seine Erfahrungen, das tut eine Maschine letztlich auch. Er ist Versuch und Irrtum."

Zurück zu dem Bild mit den Stoppschildern darauf. Der Mensch weiß ja nicht von Geburt an, was so ein Schild ist und was es bedeutet. Er hat das gelernt, und er weiß deshalb auch, dass ein Foto von einem Stoppschild auf einem T-Shirt nicht bedeutet, dass man anhalten muss. Ein Computer kann das lernen, indem er zum Beispiel die Falten auf dem Hemd erkennt oder die möglicherweise verwaschenen Farben auf dem Hemd.

Was aber, wenn ein Spaßvogel ein Stoppschild abmontiert, es sich auf den Rücken schnallt und dann auf dem Fahrrad durch die Stadt fährt? Forscher der Cornell University berichteten davon, dass Autos mit Fahrassistent hinter einem Radler mit Stoppschild auf dem Rücken angehalten hätten. "Das ist ein gutes Beispiel", sagt Goh. Ein Mensch, der mit dieser Situation nicht vertraut sei, dürfte ebenfalls erst einmal stoppen, bei näherer Betrachtung jedoch bemerken: Aha, Typ mit Stoppschild auf dem Rücken, weiterfahren.

"Der Computer wird ebenfalls lernen, weil wir bei jedem Fehler die Anhaltspunkte neu justieren. Beim nächsten Mal sollte die Maschine den Fehler nicht mehr machen. Das tun wir immer wieder, millionenfach", sagt Goh: "Das menschliche Gehirn verfügt über 100 Trillionen Verbindungen, die sehr komplex sind und deshalb den Kontext von Situationen viel schneller erkennen können. Das derzeit komplexeste künstliche neuronale Netzwerk hat nur 100 Milliarden Verbindungen, es braucht daher mehr Informationen, um lernen zu können."

Ob etwas funktioniert, weiß man erst, wenn man es wirklich ausprobiert

Autos mit Fahrassistent zum Beispiel hätten deshalb nicht so sehr Probleme im urbanen Verkehr, sondern eher auf einer kaum befahrenen Landstraße, von der es nur wenige Informationen gibt - diese Situationen müssten dann in einem Simulator nachgestellt werden. Allerdings, und das hat Goh bei der Arbeit mit dem Bluff-Computer und dem Rechner auf der ISS gelernt: "Wir ahnen, wie etwas funktionieren könnte - aber wir wissen es erst, wenn wir es wirklich ausprobieren."

Das führt freilich zu einem gesellschaftlichen Problem: Nicht nur durch soziale Netzwerke wie Facebook ist das Sammeln und Auswerten von Daten so beliebt wie eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt. Das vor kurzem ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs hat gezeigt, wie schwer das ist mit dem Vergessenwerden im digitalen Bereich. Goh bietet deshalb eine andere Lösung an: Blockchain. Es gibt etwa in Krankenhäusern strikte Richtlinien, was Privatsphäre der Patienten und Umgang mit persönlichen Daten betrifft. "Wenn Krankenhaus A viele Tuberkulose-Fälle und Krankenhaus B viele Lungenentzündungen hatte, dann müssen sie nicht unbedingt die Daten selbst untereinander tauschen, sondern lediglich die Erkenntnisse", sagt Goh. Also: was die Maschine beim millionenfachen Ausprobieren gelernt hat und nicht die Bilder selbst.

Er malt Punkte und Striche auf ein Blatt Papier, dann blättert er um und zeichnet nur die Linien auf ein neues Blatt: "Das wird weitergegeben, aufgrund des kryptographischen Verfahrens kann es nicht manipuliert werden, ohne dass sich die Identifikation ändert und das gesamte System beschädigt wird." Das liegt an der Blockchain. Die Daten seien also sicher, und angesichts der gestiegenen Rechenleistung, verbesserter Software und der Möglichkeit zur immer schnelleren Übertragung von Daten glaubt er daran, dass es zu immensen Verbesserungen kommen wird, nicht nur im medizinischen Bereich.

"Meine Leidenschaft sind Spiele mit imperfekter Information", sagt Goh. Das kann zum Beispiel Pokern sein, bei dem der Spieler nur die eigenen Karten kennt: "Man kann dieses Spiel nie perfekt meistern. Würden alle Computer der Welt 100 Jahre lang arbeiten, würden sie in diesem Zimmer einen Tisch beherrschen." Wohlgemerkt: Goh sitzt in einem 500 Quadratmeter großen Ballsaal in einem Hotel in Las Vegas. "Man muss aber nicht das komplette Spiel beherrschen, um zu gewinnen", sagt er: "Man muss es nur besser können als der Gegner." Das gilt nicht nur fürs Pokern, sondern zum Beispiel auch bei Verhandlungen mit Geschäftspartnern.

Der Computer für die Mission zum Mars ist vermutlich ein schlechter Pokerspieler

Wenn man nun diese drei Aspekte neuronale Netzwerke, maschinelles Lernen und Blockchain miteinander kombiniert, dann wird klar, warum HPE vier Milliarden Dollar in das so genannte "Intelligent Edge" investiert, Rechenleistung am Ort des Geschehens also. Die Reaktion auf den berühmten Satz der Apollo-13-Besatzung ("Houston, wir haben ein Problem.") war nämlich: "Hier ist Houston. Sagen Sie das noch einmal, bitte!" Sollte diese Hilferuf vom Mars kommen, könnte es bis zu 48 Minuten dauern, ehe die Astronauten eine Antwort von der Erde hören. "Der Computer muss selbst eine Lösung finden", sagt Goh: "Sie muss im Raumschiff dabei sein." Sie kann aber auch im Straßenverkehr dabei sein, wenn die Sensoren in einem modernen Fahrzeug eine gefährliche Situation identifizieren und die Erkenntnisse dann - ohne Weitergabe persönlicher Daten - an andere Fahrzeuge übermitteln, die dann ebenfalls rasch reagieren und Zusammenstöße vermeiden können.

Goh wirbt dafür, bei aller Vorsicht freilich, dem technologischen Fortschritt hoffnungsfroh und ohne allzu große Furcht vor der Apokalypse zu begegnen: "Je spezifischer eine Maschine trainiert ist, desto besser wird sie - das bedeutet aber nicht, dass sie in allen Bereichen funktioniert oder dass mehrere Maschinen zu einer neuen Entität werden müssen." Heißt: Der Computer, der die Astronauten auf dem Mars durch eine Krise begleiten soll, ist zum einen ein gar miserabler Pokerspieler, und er würde wohl auch vor einem auf den Rücken geschnallten Stoppschild anhalten.

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