Künstliche Intelligenz:Die Maschine und ihr Weg zur Übermenschlichkeit

  • Wer sich mit künstlicher Intelligenz (KI) beschäftigt, der hört immer wieder die eine Frage: Werden Maschinen dem Menschen bald überlegen sein?
  • Die meisten Forscher sind sich einig: Einen Grund zur Panik gibt es wegen KI noch nicht - zumindest nicht derzeit.
  • Einer der KI-Pioniere, Jürgen Schmidhuber, ist sich jedoch sicher: "Langfristig wird uns das entgleiten."

Von Helmut Martin-Jung

Er müsse jetzt mal ein Geständnis ablegen, sagt Jürgen Schmidhuber. In seiner Firma für künstliche Intelligenz und Robotik gebe es bereits die erste Version eines humanoiden Roboters, "und das bin ich". Schmidhuber, 54, Professor in der Schweiz und einer der Pioniere der künstlichen Intelligenz (KI), hat die Lacher im Konferenzsaal auf seiner Seite. Die Frage, die ihm eigentlich gestellt war beim SZ-Wirtschaftsgipfel, hat er mit seinem gelungenen Scherz allerdings elegant umschifft: Bis wann denn künstlich intelligente Maschinen dem Menschen tatsächlich in allen relevanten Belangen überlegen sein werden?

Wer an KI arbeitet, hört diese Frage immer wieder. Doch für die Praktiker steht sie nicht im Vordergrund. "Die Wahrnehmung von KI ist verzerrt", sagt etwa Markus Noga. Noga, der beim Software-Konzern SAP den Bereich maschinelles Lernen leitet, denkt viel eher daran, wie diese Technik Unternehmen helfen kann. 95 Prozent aller Daten in den Firmen seien bisher kaum für Computerauswertungen zugänglich gewesen, weil sie nicht in Zeilen und Spalten ablegt seien, sondern in E-Mails, in Textdokumenten oder Chats. "KI kann jetzt erstmals Fragen beantworten, die zwar Menschen leichtfallen, aber Computern bisher nicht."

Doch wenn Maschinen lernen, was bisher nur Menschen konnten, was passiert dann mit den Menschen? Sabine Bendiek, Chefin von Microsoft Deutschland, streitet nicht ab, dass intelligente Maschinen zu "Verwerfungen in der Arbeitswelt" führen könnten. "Aber noch geht es erst einmal darum, dem Menschen Freiraum dafür zu schaffen, was sie besser können, zum Beispiel Empathie." Und es sei auch keineswegs ausgemacht, dass KI automatisch die Arbeitslosigkeit steigert. Als die Computer Einzug in die Büros hielten, habe es auch geheißen, dadurch würden Arbeitsplätze vernichtet, "aber tatsächlich ist die Zahl der Beschäftigten gestiegen". Die Gesellschaft, ist Bendiek sicher, werde der größte Profiteur sein. Intelligente Technik könne die Zahl der Verkehrstoten verringern, Krebs früher erkennen und vieles mehr.

KI ist in den vergangenen Jahren zu einem viel genutzten Buzzword geworden - einem Begriff, den nur wenige wirklich erklären können, der aber viele beunruhigt. Die meisten Menschen sind sich allerdings gar nicht bewusst, dass diese Technik längst Einzug in ihren Alltag gehalten hat. Dass digitale Helfer wie Apples Siri, Googles Assistant oder Microsofts Cortana immer besser verstehen, was ihre Nutzer eigentlich wollen, dahinter steckt nichts anderes als eben künstliche Intelligenz. In den meisten Fällen geht es dabei darum, Muster zu erkennen - etwa in Bildern oder in akustischen Signalen. Und die Systeme sind auch in der Lage, durch Nachahmung zu lernen und aus ihren eigenen Fehlern.

Wesentliche Grundlagen dafür wurden in München und später in der Schweiz von Jürgen Schmidhuber und seinen Studenten entwickelt. Droht also ein weiteres Mal das, was schon mehrmals passiert ist: Dass deutsche Forscher unglaublich wertvolle Erkenntnisse gewinnen, die ökonomische Umsetzung aber andere übernehmen? "Da sind wir oft zu schwach", sagt Stefan Schaible, Chef der Unternehmensberatung Roland Berger in Deutschland und Zentraleuropa. Noch, glaubt er, sei dafür Zeit. Auch in Deutschland gebe es herausragende KI-Firmen wie etwa Arago aus Frankfurt. "Wir sollten jetzt nicht in den Panikmodus verfallen."

Sich zurückzulehnen, ist allerdings auch keine Option, denn die Konzerne in den Vereinigten Staaten oder auch in Asien mögen die KI nicht erfunden haben, aber sie setzen sie mehr und mehr ein. In Googles Rechenzentren nimmt die Berechnung von KI-Algorithmen bereits einen substanziellen Teil der gesamten Rechenleistung ein - und die ist gewaltig. Der US-Software-Konzern Salesforce machte auf seiner Hausmesse "Dreamforce" KI gar zum Hauptthema. Schon vor einem Jahr hatte das rasend wachsende Unternehmen aus San Francisco, Einstein vorgestellt, eine selbstlernende Software, die in der Hand von Experten in der Lage ist, geschäftsrelevante Erkenntnisse aus unstrukturierten Daten zu gewinnen. In diesem Jahr legten die Kalifornier noch einmal nach: MyEinstein erlaubt es auch gewöhnlichen Angestellten, KI-gestützte Auswertungen laufen zu lassen - ohne, dass man dazu eine Ausbildung als KI-Experte braucht.

Für viele Angestellte ist KI ein gefürchtetes Werkzeug

Wie man sich die Anwendung in der Praxis vorstellen kann, demonstriert ein Beispiel von Adidas. Der Sportartikelhersteller wirbt mittlerweile kaum noch im Fernsehen, denn der wichtigste Verkaufskanal ist inzwischen das Web. Eine Kundin, die auf der Adidas-Webseite nach Freizeit-Schuhen gesucht hat, wechselt danach auf die Facebook-Seite eines Musikers. Das nutzt der Sportartikler und schaltet - nur für diese Kundin sichtbar - bei Facebook Werbung für einen Schuh, den dieser Musiker trägt: erwischt! Die Frau bezahlt per Fingerabdruck auf ihrem Handy. Doch dann fällt ihr ein, sie würde doch lieber eine andere Farbe haben. Sie ruft ihre Bestellung erneut auf und erhält sofort die Option, die Farbe zu ändern. Denn das System hat gelernt, dass es relativ häufig vorkommt, dass sich Kunden umentscheiden. 475 Millionen solcher Vorhersagen errechnet die Einstein-Software schon heute - pro Tag.

Ist das nun gut oder schlecht für die Mitarbeiter? Für Bill Hoffman von der U. S. Bank, dem siebtgrößten Geldinstitut der USA, ist der Fall klar: "Das hilft den Kunden und den Mitarbeitern", sagt Hoffman, der für Datenauswertung und Kundenbeziehungen bei dem Geldhaus verantwortlich ist. "Es ist nichts Schlechtes daran, wenn unsere Mitarbeiter das machen können, was sie am besten beherrschen, und zwar ein gutes Verhältnis zu den Kunden aufzubauen."

Ein Selbstläufer sei das alles aber nicht. Die Mitarbeiter müssten überzeugt werden, das neue, teils gefürchtete Werkzeug auch einzusetzen. Schnell und beweglich zu agieren, gehöre ebenfalls dazu, und "der Mut, auch mal etwas Neues auszuprobieren", sagt Hoffman. Vor allem aber, sagt der frühere Militärgeheimdienstler, müsse die Qualität der Daten stimmen. Besser, man nutze weniger, dafür aber bessere Daten als viele unsaubere.

Wenn die Datenbasis nicht stimmt, führt das zu verzerrten Ergebnissen. Wie wichtig das ist, mussten auch die Googles und Microsofts erst lernen, als KI-Programme ungewollt Vorteile zum Beispiel gegen Minderheiten verstärkten. Ihr Problem: So ganz genau wissen sie selbst nicht, wie die KI zu ihren Ergebnissen gelangt. "Die Magie fängt da an, wo das neuronale Netzwerk generalisiert und zum Beispiel Katzen auf Fotos erkennt, obwohl es diese Fotos zuvor noch nie gesehen hat", sagt Emmanuel Mogenet. Er ist Leiter von Googles Forschung in Europa und leitet in Zürich ein 200 Mitarbeiter starkes Team von KI-Experten. Sie tragen unter anderem dazu bei, das Übersetzungsprogramm des Konzerns ständig zu verbessern. Das Spannende daran: "Dabei hat kein Ingenieur etwas gemacht", dem System wurden nur Millionen Texte und dazu bereits vorliegende, von Menschen gemachte Übersetzungen vorgesetzt.

Umso wichtiger ist es Mogenet und auch vielen anderen aus der Branche, die gewonnen Erkenntnisse zu teilen: "Wir wollen transparent sein", sagt der Forscher, und Sabine Bendiek von Microsoft sieht das ganz genauso: "KI braucht ethische Grundregeln", fordert sie, die verwendeten Algorithmen müssten durchschaubar sein und der Datenschutz eingehalten werden.

Werden die Maschinen die Menschen als Haustiere halten?

Eine Menge Aufgaben sind das für eine Gesellschaft, in der viele kaum ein konkretes Bild davon haben, was KI wirklich kann und was nicht. Und in der die Industrie und die Forschung der Allgemeinheit um Längen voraus sind, wenn es darum geht, das Potenzial dieser Technik einzuschätzen, die sich mit rasender Geschwindigkeit weiterentwickelt.

Aber warum ist so? "Es gibt ein Gesetz, das seit 1941 Bestand hat", sagt KI-Doyen Schmidhuber, "alle fünf Jahre wird Rechenleistung um den Faktor zehn billiger. Computer kämen heute schon auf ähnliche viele Verknüpfungen wie ein kleines Tierhirn. Wenn die Entwicklung sich fortsetze, sei man in 30 Jahren bei der Zahl von Verbindungen eines Menschenhirns. Und dann? Die physikalischen Grenzen bei der Entwicklung von Prozessoren seien noch viel weiter draußen, sagt Schmidhuber, lange bevor die erreicht seien, werde die KI "in jeder nennenswerten Hinsicht übermenschlich sein".

Und dann? Werden die Maschinen die Menschen als Haustiere halten? Es gibt auch KI-Experten, die gar nicht daran glauben, dass sich überhaupt so etwas wie eine übermenschliche Intelligenz entwickeln werde und wenn, dann erst in ferner Zukunft. Jürgen Schmidhuber jedenfalls fürchtet sich nicht davor, auch wenn er überzeugt ist: "Die künstliche Intelligenz wird sich irgendwann verselbständigen", sagt er, "langfristig wird uns das entgleiten."

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