Neue Technologien:Warum Deutschland bei künstlicher Intelligenz abgehängt werden könnte

Biometric facial map Biometric facial map Human face with markers of facial recognition software T

So sieht Software ein Gesicht. Mithilfe künstlicher Intelligenz macht Bilderkennung große Fortschritte - das lässt sich für Hilfsprojekte einsetzen, aber wie in China auch zur Überwachung der Bevölkerung.

(Foto: imago/Science Photo Library)
  • Experten und Politiker diskutierten auf einer Veranstaltung von Microsoft, wie der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) hierzulande verbessert werden kann.
  • Andreas Dengel, Leiter am Deutschen Forschungszentrum für künstliche Intelligenz (DFKI) forderte einen grundlegenden Wandel. KI könnte unsere Gesellschaft zum Besseren verändern.
  • Unterdessen wird vor allem in China der Einsatz von KI hemmungslos vorangetrieben.

Von Helmut Martin-Jung

Dorothee Bär ahnt schon, was jetzt kommt. Wer die Digitalpolitik der Bundesregierung gut finde, solle doch einmal kurz aufstehen. Darum hat die Staatsministerin für Digitales im Kanzleramt bei einer Veranstaltung des Software-Konzerns Microsoft in Berlin vor Hunderten Besuchern gebeten. Es erhebt sich nicht einmal eine Handvoll.

Aber womöglich klappt es ja auch ohne die Zögerer und Zauderer von der Regierungsbank?

Die Zahl der Start-ups, die hierzulande künstliche Intelligenz (KI) anwenden, ist im Vergleich zum Vorjahr um 62 Prozent gestiegen. Und seit 2009 haben Investoren immerhin 1,2 Milliarden Euro in deutsche KI-Start-ups gesteckt, berichtete vor Kurzem erst die Initiative AppliedAI, die zum Münchner Zentrum für Gründung und Innovation UnternehmerTUM gehört. Und das trotz einer Koalition, die außer unverbindlichen Agenden und Arbeitskreisen bisher kaum etwas zustande gebracht hat. Endlich mal gute Nachrichten. KI gilt schließlich als eine der wichtigsten Zukunftstechnologien.

Die Frage ist, reicht das? Allein das chinesische Start-up Sensetime hat von Investoren mehr als 2,2 Milliarden Euro erhalten - in den vergangenen zwei Jahren. Im innerchinesischen Wettbewerb der Regionen stellen einige Städte mehr Fördermilliarden bereit als die deutsche Regierung fürs ganze Land ausgeben will - für dieses Jahr sind es gerade einmal 500 Millionen Euro.

1000 KI-Professoren statt der geplanten 100?

Auch Doro Bär findet, dass ihre Regierung nicht gerade mit atemberaubender Geschwindigkeit vorankommt. Sie findet aber auch, dass das vielleicht auch nicht zwingend sein muss. Würden 33 statt der drei für die nächsten Jahre geplanten Fördermilliarden wirklich helfen? Oder 1000 KI-Professoren statt der geplanten 100? Das sind natürlich rhetorische Fragen.

Bärs Antwort richtet sich an die Kollegen in der Regierung, aber auch an die Unternehmen und an die Bürger. Deutschland müsse stattdessen endlich seine Angst vor Veränderung ablegen, nicht immer nur versuchen, den Status quo zu erhalten. "Wir sollten nicht jeden Tag aufstehen und denken, hoffentlich wird es nicht schlechter", sagt sie. Vor allem die künstliche Intelligenz werde viel zu oft mit Untergangsszenarien in Verbindung gebracht.

Das treibt auch Andreas Dengel um. Er ist Leiter des Forschungsbereichs Smarte Daten und Wissensdienste am Deutschen Forschungszentrum für künstliche Intelligenz (DFKI). Künstliche Intelligenz sei weit davon entfernt, die des Menschen zu ersetzen, sagt er. Das Gehirn funktioniere bei jedem Menschen anders, und dann gebe es ja auch noch Hormone und Enzyme. "Wir brauchen einen grundlegenden Wandel", fordert der Wissenschaftler daher, "künstliche Intelligenz könnte unsere Gesellschaft zum Besseren verändern". Doch negative Szenarien wie die von intelligenten Maschinen, die die Menschheit unterjochen, verkauften sich eben besser.

Sabine Bendiek, die Chefin von Microsoft Deutschland, kennt sie auch, die verbreitete, diffuse Angst vor der unheimlichen Intelligenz der Maschinen. Sie setzt ihr positive Beispiele entgegen: Bei dem von Microsoft geförderten Projekt WildMe etwa werden Exemplare bedrohter Tierarten wie Walhaie mithilfe von Bilderkennung erfasst und können so besser verfolgt werden als mit elektronischen Markern, die man erst mühsam anbringen muss und die nur eine Zeit lang funktionieren. Bei einem anderen Projekt wurde die Erkennung mangelernährter Kinder von 20 auf 80 Prozent gesteigert, ebenfalls durch Bilderkennungs-Algorithmen.

Nun ist aber Microsoft in erster Linie ein Wirtschaftsunternehmen, ein sehr erfolgreiches dazu. Gerade noch rechtzeitig hat der neue Chef Satya Nadella den vom Kurs abgekommenen Supertanker wieder umgesteuert. KI ist für den Konzern von großer Bedeutung, "die Zeit der Chancen ist jetzt", sagt Nadellas deutsche Statthalterin Bendiek. "Wir würden uns viel vergeben, wenn wir diese Chance nicht nutzen würden." Deutschland habe die besten Voraussetzungen, doch es müsse sich auch einiges ändern. Forschung und Wirtschaft sollten besser zusammenarbeiten, fordert sie, und: "90 Prozent der Bildungsausgaben für die ersten 25 Lebensjahre vorzusehen, das kann so nicht bleiben." Denn, das ist längst eine Binsenweisheit: Wenn KI viele Jobs überflüssig macht oder verändert, ist lebenslanges Lernen unabdingbar.

China pampert KI-Unternehmen mit Milliarden

Und mehr noch: Wer die neuen Technologien wie KI nur einsetze, um inkrementelle Verbesserungen zu erreichen, ein bisschen mehr Produktivität hier, etwas mehr Effizienz da, der verkenne ihr wahres Potenzial, warnt Frank Riemensperger, Deutschland-Chef des Beratungs- und Technologie-Dienstleisters Accenture. Deutschland nutze den selbstgeprägten Begriff Industrie 4.0 nicht, um wirklich disruptiv zu sein, also grundlegend Neues zu wagen. "Wir müssen progressiver denken", fordert er, "wir müssen Produkte digital umbauen, damit wir ein neues Leistungsversprechen abgeben können."

Was er damit meint, erläutert Riemensperger an einem Beispiel. Siemens habe die Ausschreibung für den Schnellzug, der die beiden spanischen Metropolen Barcelona und Madrid verbindet, mit einem Leistungsversprechen gewonnen. Das Unternehmen habe also nicht Züge verkauft, sondern das Versprechen, eine zuverlässige Verbindung bereitzustellen, die dem Flugzeug Konkurrenz machen kann - mit Erfolg. Ähnliches würde Riemensperger gerne auch von anderen Unternehmen sehen, "wir müssen unser Ambitionsniveau eins nach oben setzen", sagt er. Stattdessen verliere man sich in der Diskussion etwa um den Breitbandausbau und diskutiere gar nicht mehr darüber, was dahinter kommt.

Unterdessen wird vor allem in China der Einsatz von KI hemmungslos vorangetrieben. Das mit Milliarden gepamperte Start-up Sensetime zum Beispiel, das bei der Gesichtserkennung als führend gilt, wird auch deshalb so besonders großzügig unterstützt, weil es der Staatsführung Technologie liefert, die jene zur Kontrolle der Bevölkerung haben will. Das Unternehmen erhält, was es ganz besonders braucht: Daten von Überwachungskameras, jede Menge davon. Die Regierung erhält ein System, das vor allem wegen der Massen an Daten immer besser darin wird, Menschen anhand von Kamerabildern zu identifizieren.

"Man muss priorisieren, was heute Kerntechnologie ist"

Der frühere Forscher und heutige Risikokapitalgeber Kai-Fu Lee sieht China sogar schon in wenigen Jahren ganz vorne bei der Anwendung künstlicher Intelligenz. Lee hat im Silicon Valley geforscht und gearbeitet, heute lebt er wieder in seiner Heimat China. In seinem Buch "AI Superpowers" (KI-Weltmächte) beschreibt er die Start-up-Kultur in China, in der ein gnadenloser Konkurrenzkampf herrsche. Eine Idee kopieren? Das gilt in China nicht als verboten. Weil die chinesischen Start-ups sich gegen so viele Konkurrenten behaupten müssen und Zugriff auf viele Daten hätten, seien sie im Vorteil gegenüber der Konkurrenz aus dem Silicon Valley.

Europa kommt in dem Buch kaum vor. Das macht Expertinnen wie Katrin Suder Sorge. Die promovierte Physikerin ist Vorsitzende des Digitalrates, der die Bundesregierung in Sachen Digitalisierung berät. "Künstliche Intelligenz", sagt sie bei einer Konferenz des Branchenverbandes Bitkom in Berlin, "hat transformatorisches Potenzial." Daten seien für KI wie Erde für Pflanzen. "Wir müssen sie nutzbar machen, gemäß unseren Grundwerten." Dabei aber müsse gelten: "Weniger Angst, mehr verstehen." Daten müssten zugänglicher sein, auch die von Privatunternehmen, nötig sei mehr Europa, nicht weniger. Vor allem aber: "Man muss priorisieren, was heute Kerntechnologie ist", sagt die eloquente frühere Verteidigungs-Staatssekretärin, "heute sind das die Cloud und KI. Da muss die ganze Power der Regierung dahinter."

Bisher war davon allerdings nur sehr wenig zu spüren.

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