Kopierschutz:Musikindustrie droht Forscher zu verklagen

Computerwissenschaftler Edward Felten hat seinen Forschungsbericht zum Thema Kopierschutz wider Erwarten zurückgehalten.

Martin Suter

Edward Felten hat vielleicht nicht den historischen Rang von Galileo Galilei. Doch vor kurzem muss sich der Computerwissenschaftler von der Princeton University wie das Renaissance-Genie vorgekommen sein. Der hatte 1633 vor dem Inquisitor wider besseres Wissen geleugnet, dass die Erde um die Sonne kreist. Auch Felten beugte sich einer Autorität - nicht jener der Kirche, aber der von Privatunternehmen.

Kopierschutz: Finanzminister Hans Eichel während der Vernissage zur Ausstellung "Wasserzeichen" im Bundesfinanzministerium in Berlin.

Finanzminister Hans Eichel während der Vernissage zur Ausstellung "Wasserzeichen" im Bundesfinanzministerium in Berlin.

(Foto: Foto: Jan Bauer/AP)

Unter dem Druck einer angedrohten Klage der Musikindustrie verzichtete Felten darauf, auf einer wissenschaftlichen Konferenz seinen Forschungsbericht zum Thema Kopierschutz zu präsentieren. "Es betrübt mich, aber ich muss ihnen mitteilen, dass wir unser Papier heute nicht vorlegen werden", sagte Felten beim "International Information Hiding Workshop" in Pittsburgh. "Als Autoren haben wir die kollektive Entscheidung getroffen, uns, unsere Arbeitgeber und die Organisatoren der Konferenz dem Risiko einer Gerichtsklage zu diesem Zeitpunkt nicht auszusetzen."

Felten und acht Kollegen hatten letztes Jahr herausgefunden, wie die Plattenkonzerne ihre Produkte künftig gegen illegale Vervielfältigung zu schützen beabsichtigen (SZ, 21.11.2000), und wollten jetzt darüber berichten. Dem Team gelang es, vier Typen von digitalen Wasserzeichen erfolgreich aus Musikdateien zu entfernen. Nach eigenen Angaben siegten die Forscher damit in einem Wettbewerb, mit dem ein Konsortium der Musikindustrie Kopierschutz-Technologien öffentlich austesten lassen wollte. Nach den Plänen der Secure Digital Music Initiative (SDMI) sollen Geräte nur noch Dateien abspielen, die sich mit einem digitalen Wasserzeichen legitimieren können.

Aber dann drohte ausgerechnet der SDMI-Sekretär Felten mit einer Klage. In einem Brief vom 9. April forderte Matthew Oppenheim - gleichzeitig Rechtsberater des Phono-Dachverbands RIAA - die Wissenschaftler auf, ihren Vortrag vom Workshop zurückzuziehen, "zu zerstören und ein öffentliche Diskussion darüber zu verhindern". Andernfalls würden die Forscher US- Urheberrechtsgesetze verletzen und "könnten gerichtlichen Schritten nach Bundesrecht unterworfen werden".

Hinter der unverhüllten Drohung verbergen sich komplizierte Rechtsfragen. Basis des Streits ist der Digital Millennium Copyright Act (DMCA), ein Gesetz, mit dem der US-Kongress 1998 nicht nur das Knacken von Verschlüsselungen verbot, sondern auch die Publikation entsprechender Rezepte. Viele Kritiker behaupten, der DMCA verletze die in der US-Verfassung festgeschriebene Freiheit der Rede. Vertreter der Musikkonzerne machen jedoch geltend, ohne das neue Urheberrechtsgesetz würde die Kreativ-Industrie von der Piraterie im Internet wirtschaftlich untergraben. Ähnlich argumentiert die Filmindustrie gegen die Software DeCSS, mit der sich der Kopierschutz von DVD-Filmen aushebeln lässt. Auch diese Branche geht mit Klagen und Drohungen gegen Magazine und Professoren vor, die den Programmcode verbreiten (SZ, 24.4.2001).

Der Geist ist aus der Flasche

Doch mit ihrer Drohung gegen Felten könnten die Plattenfirmen ein Eigentor geschossen haben. Das neue Urheberrechtsgesetz lege nicht nur Raubkopierern das Handwerk, können die Verteidiger in diversen Prozessen jetzt argumentieren, sondern beschneide sogar die Publikationsrechte ehrbarer Wissenschaftler. Die Forscher werden jedenfalls nicht locker lassen. Felten und seine Kollegen würden "an einem anderen Tag, in einer anderen Art für das Recht kämpfen, unser Papier zu veröffentlichen", sagte der Professor. Ein Princeton-Sprecher zeigte sich "sehr enttäuscht" und betonte, die Universität erwarte, auch künftig "öffentlich verfügbare Daten sammeln, erforschen und dann die Ergebnisse veröffentlichen zu können".

Und die Substanz von Feltens Arbeit? Dieser Geist ist, wie im Internet- Zeitalter nicht anders möglich, schon aus der Flasche. Ein Entwurf seines wissenschaftlich gehaltenen Vortrags lässt sich seit Ende April auf einer anonymen Website nachlesen.

Quelle: Süddeutsche Zeitung, Computer und Internet

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