Kontroverse um Vorratsdatenspeicherung:Staatliche Schnüffelei?

In Berlin diskutierten Strafverfolger, Bürgerrechtler und Internetexperten das geplante Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung. Darf der Staat wissen, wer, wann, wo mit wem telefoniert?

Mirjam Hauck

Werden Sie lieber von Google oder von der Frankfurter Staatsanwaltschaft überwacht? Mit dieser - dann doch rein rhetorischen Frage - brachte Michael Bruns, Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, seine Meinung zum geplanten Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung auf den Punkt. Die Bürgerrechtsbewegung Humanistische Union hatte am Montag in Berlin zu einer Tagung geladen, bei der Strafverfolger, Bürgerrechtler, Medienschaffende und Internetprovider über "das Ende des Informanten- und Datenschutzes" diskutierten.

Kontroverse um Vorratsdatenspeicherung: Sechs Monate sollen alle Kommunikationsdaten künftig gespeichert werden.

Sechs Monate sollen alle Kommunikationsdaten künftig gespeichert werden.

(Foto: Foto: iStockPhoto)

Das Gesetz der Bundesregierung zur Vorratsdatenspeicherung, das am 1.1. 2008 in Kraft treten soll, sieht vor, dass Diensteanbieter alle Verbindungsdaten, sei es über Telefon, Handy, E-Mail oder Internet sechs Monate lang speichern und für Strafverfolger bereithalten müssen.

Laut Michael Bruns schafft das Gesetz Rechtssicherheit: "Es schreibt den Ist-Zustand fest." Man könne die Zeit nicht zurückdrehen. "Wenn es keine körperlichen Spuren vor Ort wie Fußspuren oder Fingerabdrücke gibt, dann sei es notwendig auf naturwissenschaftlich exakte elektronische Verbindungsdaten zurückgreifen zu können: Verbrecher nutzen zehn bis zwölf Handys gleichzeitig, das müssen wir nachvollziehen können." Und überhaupt verstehe er die hysterische Debatte um das Ende des Datenschutzes nicht.

"Die Presse wird blind"

Widerspruch erntete Bruns unter anderem von Medienvertretern wie Christoph Fiedler vom Verband der deutschen Zeitschriftenverleger. "Das Gesetz schwächt die Pressefreieheit", erklärte Fiedler. Der Informanten- und Quellenschutz sei in Gefahr, wenn der Staat Zugriff auf alle Kommunikationsdaten erhalte: "Wenn die Presse blind wird, beschädigt das die Demokratie."

Constanze Kurz vom Chaos Computer Club kritisierte das monströse Gesamtkonzept der Vorratsdatenspeicherung: "Die geplante EU-weite Regelung führt dazu, dass eine halbe Milliarde Menschen in ihrem Kommunikationsverhalten beobachtet werden." Zudem wecke die Überwachungstechnologie immer neue Begehrlichkeiten. Anfragen aus der Musikindustrie, wer wann welches Musikstück aus dem Netz geladen habe, seien dann nur noch eine Frage der Zeit.

Staatliche Schnüffelei?

Zudem glaube sie nicht, dass, wie geplant, alle Betroffenen nach dem Ende der Überwachungsmaßnahme benachrichtigt werden. Bei den Gesprächs- überwachungen von Telefon und Handy oder der E-Mail-Überwachung geschehe das auch nicht. Bei 35.000 überwachten Handygesprächen pro Jahr bekomme nur ein Bruchteil der Betroffenen und der mitabgehörten Gesprächsteilnehmer überhaupt eine Benachrichtigung.

Die Internetprovider, vertreten durch Klaus Landefeld vom Verband der deutschen Internetwirtschaft eco, kritisierten, dass die Technik der Vorratsdatenspeicherung nicht so einfach vonstattengehe, wie sich der Gesetzgeber das vorstelle. Zudem gab er zu Bedenken, dass Endkunden ins Ausland abwandern werden, wenn sie nicht wollen, dass ihre E-Mail-Verbindungsdaten protokolliert werden.

Die juristischen Aspekte des geplanten neuen Gesetzes beleuchteten Prof. Marion Albers von der Universität Augsburg und Prof. Thomas Würtenberger von der Universität Freiburg. Nach Ansicht von Marion Albers verstößt die europäische Richtlinie, von der sich das geplante deutsche Gesetz ableitet, gegen die Gemeinschaftsgrundrechte. Das Gesetz sei insgesamt verfassungs- und grundrechtswidrig.

Thomas Würtenberger dagegen findet die Diskussion im Vorfeld der Verabschiedung des Gesetzes wenig zielführend: "Eine kritische Evaluation im Nachhinein soll klären, ob das Gesetz ein taugliches Instrument zur Strafverfolgung ist." Man müsse Vetrauen in den Rechtsstaat haben, dass ihm die Balance zwischen der freiheitlichen Grundordnung auf der einen Seite und den Maßnahmen zur inneren Sicherheit auf der anderen Seite gelinge.

"Wir delinquieren alle"

Die Strafrechtsprofessorin Petra Velten von der Universität Linz stellte in ihrem Referat die Frage, ob denn der Satz stimme: "Wer nichts verbrochen hat, der hat auch nichts zu befürchten." Velten betonte die Ubiquität von Kriminalität: "Seien Sie sicher, wir delinquieren alle." Die Vorratsdatenspeicherung sei eine echte Vorfeldmaßnahme, die die Strafverfolgung bis zum Bagatelldelikt erlaube. Zudem seien die Datenspuren keine Tat-, sondern Täterspuren. Dies führe dazu, dass es mit ihnen eine Tendenz zur Beweislastumkehr gebe. "Die Vorratsdatenspeicherung zwingt nicht zur Unterlassung von Straftaten, sie zwingt zur Anpassung."

Der Berliner Juraprofessor Klaus Rogall warnte dagegen die Gegner vor der Euphorie, das Gesetz zu Fall bringen zu können: "Das Gesetz ist eine grundsätzlich geeignete Maßnahme". Aus dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1983 lasse sich für die Vorratsdatenspeicherung keine Unzulässigkeit ableiten. Das sehen der Veranstalter, die Humanistische Union, und 40 weitere Organisationen anders: In einer gemeinsamen Erklärung lehnen sie den Gesetzentwurf der Großen Koalition ab. Bleibt abzuwarten, welche Seite sich im Bundestag und vor Gericht durchsetzen wird.

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