Konsequenzen aus der NSA-Affäre:Die Reparatur des Internets hat begonnen

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Ist die NSA-Affäre vielleicht der Beginn einer neuen Neugier, die zu größerem technischen Verständnis und letztlich zu einem sichereren Internet führt?

(Foto: REUTERS)

Gegen die NSA-Schockstarre: Politiker, IT-Unternehmer, Internet-Architekten und Intellektuelle kämpfen darum, die Online-Welt wieder privater und sicherer zu machen. Ihre Motive und Strategien sind dabei so unterschiedlich wie ihre Erfolge. Ein Austausch mit Vordenkern der großen Internet-Reparatur.

Von Pascal Paukner, San Francisco, Johannes Kuhn und Hakan Tanriverdi

Es gibt nichts zu sehen. Kein Computerabsturz, kein Warnhinweis deutet auf die Erkenntnis hin, mit der sich die Welt langsam abzufinden scheint. Die Überwachbarkeit digitaler menschlicher Kommunikation ist allumfassend; das Internet in seiner bisherigen Form ist, so lässt sich das sagen, defekt. Ziemlich defekt.

Die Enthüllungen des NSA-Whistleblowers Edward Snowden haben unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Empörung, Wut oder Resignation, oft Apathie. Doch es gibt auch einige, die Tatendrang verspüren. Im Netz-Kontext klingt das immer nach Gründerzeit, doch dieses Mal geht es um etwas anderes: die Rückeroberung der Freiheit, die sich lange als digitale Normalität verkleidet hatte.

Nirgends lässt sich Tatendrang so schwer ausleben wie in der Politik - und nirgends lässt er sich besser simulieren. So steht das "Ausspähen unter Freunden - das geht gar nicht" der Kanzlerin neben der Tatsache, dass keine Regierung, kein einziges nationales Parlament in Europa die NSA-Affäre wirklich aufgearbeitet hat.

Vergangene Woche fiel im LIBE-Ausschuss des Europaparlaments ein Satz, dessen Selbstverständlichkeit in der NSA-Affäre außergewöhnlich wirkt. "Wir wollen den Europäern zeigen, dass wir uns um sie kümmern. Denn dafür wurden wir gewählt."

LIBE steht für "bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres" und in guten Momenten für das schlechte Gewissen, das der westlichen Welt im Anti-Terror-Kampf verloren gegangen ist. Einer dieser guten Momente war der, in dem einige Abgeordnete ihren Berichtsentwurf zur Überwachungsaffäre vorlegten.

Auf 52 Seiten sind nicht nur Beweise für die Überwachungsprogramme gesammelt, dort steht auch in klaren Worten, wie stark die digitalen Spionageaktivitäten westlicher Geheimdienste die Gesellschaft beschädigt haben. "Erheblich gestört" sei eben nicht nur das Vertrauen der Menschen in ihre IT-Systeme, sondern auch das in ihre Regierungen. Es ist kein Fazit aus dem Nichts heraus, ihm gingen Befragungen zahlreicher Experten in Feldern wie Technologie, Internet-Sicherheit und Bürgerrechte voraus.

Frust der Machtlosen

Doch was sind die Konsequenzen aus dieser Analyse? Im Bericht finden sich viele kluge Vorschläge, von mehr Transparenz über die Aussetzung des transatlantischen Abkommens zum Datenaustausch (Safe Harbor). Sophie in 't Veld, die im LIBE-Ausschuss sitzt, gibt sich aber keiner Illusion hin: "Die Forderungen werden alle in der Schublade von EU-Kommission oder der nationalen Regierungen verschwinden." Wenn sie nicht vorher auf ihrem weiteren Weg durch das Europaparlament aufgeweicht werden. Die niederländische Bürgerrechtlerin von den Democraten 66 lacht, als sie ihre Prognose abgibt. So hört sich Machtlosigkeit an.

Parlamentarier wie in 't Veld, die das Ausmaß der Affäre erkannt haben, gibt es in ganz Europa. Nur finden sie keine Mehrheit, zu wichtig bleibt das Verhältnis zu den USA, zu groß ist häufig das Interesse der eigenen Geheimdienste an der schönen neuen Überwachungswelt. So sind sie davon abhängig, ob ein US-Präsident sich für oder gegen die Logik der NSA entscheidet. Und davon, ob die Bürger sich doch noch über den unsichtbaren Skandal aufregen. "Wenn die Polizei das Recht hätte, jeden Abend Ihr Haus zu durchsuchen, würden Sie sich doch auch empören", klagt in 't Veld. "Frustrierend" sei das alles manchmal. Politisch, so der Eindruck, ist die Normalität nicht wiederherzustellen.

NSA-Affäre als Chance für Geschäfte

Der Mann im fliederfarbenen Hemd klingt überhaupt nicht frustriert. Ethan Oberman ist einer jener Menschen, die nach der NSA-Affäre ihre Zeit gekommen sehen. Der 37-Jährige arbeitet in einer alten Fabrikhalle im Mission District, einem jener Stadteile von San Francisco, die gerade angesagt sind. Der Mann weiß, was es heißt, wenn er sagt: "Die Aufmerksamkeit für das Thema Privatsphäre war noch nie so hoch." Oberman verdient Geld mit dem Schutz von Daten im Internet. Er bietet verschlüsselte Online-Speicher an. Noch nie lief das Geschäft so gut wie jetzt.

Als Oberman sein Unternehmen vor sieben Jahren gründet, interessiert sich kaum jemand für Verschlüsselung. Wenig gesicherte Konkurrenten wie Dropbox starten durch. Spideroak? Kennen bis heute nur wenige. Er nahm das hin, machte sein Ding. Doch dann kam dieser Skandal ans Licht und plötzlich standen Anbieter wie er als die Guten da. Oberman weiß die Geschichte zu vermarkten: "Ich glaube nicht, dass das Internet kaputt ist. Es ist möglich das Netz zu nutzen und gleichzeitig Privatsphäre zu haben." Man müsse sich eben entscheiden: Wolle man ein kostenloses Internet, das auf der Vermarktung persönlicher Daten basiert? Oder ein verschlüsseltes Internet, dessen Betreiber von ihren Nutzern bezahlt werden müssen?

"Wir wissen nicht, was auf unseren Servern liegt", erklärt Oberman. Also könne er auch kein Geschäft auf Vermarktung aufbauen - und auch nicht mit Behörden kooperieren. Entschlüsseln könne alleine der Nutzer. Ein einfaches Prinzip, von dem immer mehr Menschen überzeugt seien. Seiner Firma sei im vergangenen halben Jahr stark gewachsen, sagt er.

Die Folgen des NSA-Skandals sind für Oberman das, was Amerikaner "business opportunity" nennen: die Chance, zu expandieren. Künftig soll sein Unternehmen nicht nur einen Speicherdienst anbieten, sondern seine Verschlüsselungstechnik flächendeckend zum Einsatz bringen. Software-Entwickler auf der ganzen Welt sollen sie nutzen können und davon ausgehend neue, sichere Programme schreiben. Die Reparatur des Internets, sie ist nun Sache der Kryptologen.

Daran haben auch die Konzerne ihren Anteil. Google, Facebook und Twitter nutzen schon jetzt eine Technik namens Perfect Forward Secrecy, welche es Außenstehenden erheblich erschwert, Daten abzugreifen. Microsoft will sie angeblich auch einsetzen. Um doch an die Daten zu kommen, müsste die NSA die Verschlüsselung knacken oder unentdeckte Sicherheitslücken ausnutzen. Das ist zwar möglich, erschwert die Arbeit aber erheblich für jeden Geheimdienst, der darauf setzt, möglichst große Datenmengen abzugreifen.

Auf die Art von kriminellen Organisationen

Die Arbeit der Geheimdienste komplizierter zu machen, das ist auch der Plan von Stephen Farrell. Er ist Mitglied der Internet Engineering Task Force (IETF), er leitet die Abteilung Sicherheit mit. Die IETF kümmert sich um die technische Weiterentwicklung des Internets. In jahrzehntelanger Arbeit hat sie die Grundlagen dafür gelegt, wie es heute funktioniert. Seit Beginn des NSA-Skandals wiederholt Farrell zwei Sätze: "Was die NSA getan hat, das ist eine Attacke und als solche sollten wir sie auch behandeln. Das ist rein von der Art her genau das, was auch kriminelle Organisationen bereits machen oder machen wollen."

Die Netz-Techniker wissen sehr genau, dass die aktuelle Arbeitsweise der NSA ein Problem darstellt. Die Frage ist: Können sie das Problem lösen?

Das diskutieren die Mitglieder der IETF seit Beginn der Snowden-Enthüllungen in Mailinglisten und bei persönlichen Treffen in Berlin, Vancouver oder bald wieder in London. Knapp 1100 Menschen tauschen untereinander Vorschläge aus. Farrells Antwort lautet: Die Community muss vor allem darüber reden. Sie muss, jetzt, wo das Thema aktuell ist, nach außen hin klar demonstrieren, dass sie tätig wird. Dass sie ihre Standards neu definiert und anpasst. Denn vor zehn, 20 Jahren, als die Standards definiert wurden, habe niemand mit so einem Szenario rechnen können.

"100 Prozent Sicherheit zu erreichen ist wahrscheinlich unmöglich", sagt Farrell, "aber es wäre schon viel gewonnen, wenn wir die Massenüberwachung der NSA eindämmen könnten." Um das zu tun, müsse man unter anderem mehr Verschlüsselung einsetzen und Wege finden, dafür zu sorgen, dass sie auch korrekt eingesetzt werde. Das verhindere, dass die NSA mal eben im Vorbeigehen immense Datenmengen abfischen könne. Farrell rechnet damit, dass dieser Prozess Jahre dauern wird. "Wir haben es ihnen bisher zu einfach gemacht", sagt er. Ob das Internet nun vor Geheimdiensten oder Kriminellen geschützt werde, sei egal - wichtig sei, dass die Architektur den Bedrohungen der Privatsphäre angepasst werde.

Wird das Internet der Zukunft also so sein können, wie wir uns das alte einbildeten - sicher und privat? Es könnte ein Wettrennen werden, eine ständige Aufgabe, deren Bewältigung maßgeblich von der technischen Befähigung der Zivilgesellschaft abhängen wird. Die Diskussion darüber, ob Menschen IT-Fähigkeiten lernen müssen, war bislang eine über Karrierechancen. Nun geht es um mehr.

E-Mail-Konversation mit Sherry Turkle. Die Professorin vom MIT in Boston gilt als Technikkritikerin, doch ihre Warnungen treffen einen Nerv. Die intransparente Blackbox-Kultur der Gadget-Welt, so analysierte sie einst, mache die meisten Menschen zu passiven und damit machtlosen Konsumenten. Wer einen Computer, ein Smartphone, einen Cloud-Dienst verwendet, weiß in der Regel nicht, was im Hintergrund mit seinen Daten passiert.

Ist die NSA-Affäre vielleicht der Beginn einer neuen Neugier, die zu größerem technischen Verständnis und letztlich zu einem sichereren Internet führt? "Ich will nicht naiv sein und von einer neuen Ära sprechen, aber ich habe Hoffnung." schreibt Turkle. "Die Menschen haben nun einen Grund, in die Blackbox zu schauen. Die Intransparenz technischer Geräte war einmal eine Annehmlichkeit, jetzt wird sie zum Risiko." Das Internet mag reparaturbedürfig sein. Verloren ist es noch lange nicht.

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