Kommunikation im Internet:Das Echo der Geschwätzigkeit

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Like-Kultur: Ein Großteil der Postings auf Twitter und Facebook sind Verweise und Zitate. (Foto: AFP)

Jeder checkt und updated mittlerweile seinen Online-Status, um mit seinem Umfeld in Verbindung zu bleiben. Dabei lässt die Aufmerksamkeit für die analoge Gegenwart immer mehr nach, weil der Mensch nur noch digital um sich kreist. Doch der verlorenen guten alten Zeit muss man deswegen nicht nachtrauern.

Von Bernd Graff

Wer nach dem Abitur Mitte der Achtzigerjahre für eine längere Zeit nach Amerika ging, war weg. Richtig weg: physisch wie kommunikationstechnisch. Damals waren transkontinentale Ferngespräche von der Dauer einer halben Stunde so teuer wie eine Monatsmiete im Wohnheim. So blieb, um in Kontakt zu bleiben, nur der Brief, der per Post verschickt wurde. Snail Mail, Schneckenpost, nennt man sie heute, weil sie lange unterwegs war. Wurde in dem Brief eine Frage gestellt, so durfte mit der Antwort erst einen Monat später gerechnet werden: 14 Tage reiste die Frage hin, 14 Tage die Antwort zurück. Das Wegsein war fühlbar.

Heute sind Abiturienten nicht mehr weg, wenn sie ins Ausland reisen. Kommunikationstechnisch sind sie nie weg. Sie verabreden sich mit ihren Freunden zu einer bestimmten Zeit - das ist noch nötig wegen der unterschiedlichen Zeitzonen -, um aus Melbourne, Kapstadt, München und New Orleans zum Kaffeeklatsch zusammenzukommen, per Video-Chat. Das ist eine Gruppen-Live-Schaltung, an der jeder teilnehmen kann, egal wo er sich auf diesem Planeten befindet. Nur ein Internetanschluss ist nötig. Kostenlos ist diese Schaltung auch noch.

Beim Plausch ist dann alles wie auf dem heimischen Pausenhof - mit dem einzigen Unterschied, dass sich die Hintergrundtapeten der Sprechenden jeweils kontinentaltypisch gestalten. Dass man sich zwischen diesen Video-Konferenzen jederzeit frische Fotos auf die Facebook-Walls stellt, um sie gegenseitig zu "liken" und lobend zu kommentieren, ist ohnehin klar. Die größte Sorge dieser jungen Menschen in fremden Ländern ist darum weniger, dass sie mit der dortigen Fremdheit nicht zurechtkommen könnten, sondern dass ihren Online-Geräten der Strom ausgeht.

Online sein, heißt kommunizieren

Jeder, und das ist natürlich längst kein Privileg der Jugend mehr, checkt und updated mittlerweile seinen Online-Status, um dauerhaft in Verbindung zu bleiben, auch wenn man weit auseinander lebt. Verbindung meint hier nicht nur den zeitlich begrenzten Kontakt, sondern die Online-Nabelschnur zur jeweiligen Peer Group, die beständig ein digitales Echolot sendet: Wir sind da und zusammen.

Wichtige Fragen sind daher: Lebt man in den fernen Welten, um lustige Bilder davon mit Freunden zu teilen? Erlebt man die ferne Welt überhaupt noch direkt - oder nur noch über die "Likes" der Freunde? Das ist mittlerweile das Problem nahezu aller Menschen in hochzivilisierten Ländern: Immer online zu sein, also über Mail, SMS, Chat und Soziale Netzwerke ständig miteinander zu kommunizieren, heißt ja nicht, dass man an ein Gerät angeschlossen ist wie an einen Hirnscanner. Es heißt, dass man ohne Unterlass mit anderen Menschen kommuniziert.

Das hat Auswirkungen auf die Aufmerksamkeit, die man der analogen Gegenwart schenkt, in der man sich faktisch befindet. Denn es verändert sich zunehmend das Gefühl von Anwesenheit. Wo ist Hier, wenn überall Jetzt ist? An welchem Ort befindet sich jemand, der sich wie von einem Gummiband gezogen immer wieder an den auf grundlose Heiterkeit angelegten Nicht-Ort Facebook begibt und transkontinental Kaffee trinkt?

Man muss nicht der verlorenen guten alten Zeit des Analogen nachtrauern. Man muss nur wissen, dass es so ist: Die neuen Medien suggerieren den Kick des Außergewöhnlichen, des Besonderen, der Bestätigung eigener Ansichten und eigener Bedeutung als Lebensnormalität. Festzustellen ist daher, dass das, was Soziologen die Effekte der "Computervermittelten Kommunikation" (CVK) nennen, einen nennenswerten Einfluss auf die Kommunikation von Menschen hat. Der Einfluss zeigt sich in Formen des Umgangs miteinander - doch zuallererst im Wandel der Sprache.

Dieser Wandel vollzieht sich auf verschiedenen Ebenen. In der Sprachwissenschaft weiß man seit Wittgenstein, Austin und Searle, dass Sprechen Handeln ist. Nun wird man diese Sprechhandlung für die computervermittelte Kommunikation um einen wesentlichen Aspekt erweitern müssen: Kommunikation im Netz ist Sprach- Performance. Dass man für die neue Netzsprache Theater und Darstellung hinzudenken muss, hat zwei Gründe.

Zum einen: Die vor allem textbasierte Internet-Kommunikation läuft synchron wie in Echtzeit ab, sie ist aber medial vermittelt. Das macht sie anfällig für Missverständnisse. Die Netzsprache musste daher zuerst einen Ersatz für den Verlust aller nonverbalen Aspekte der Kommunikation finden. So haben sich "Emoticons" ( :- ) wie Sound- und Aktionswörter ( lol, *hihi*) als sehr hilfreich erwiesen, die den Sätzen die gemeinte Bedeutung beilegen und sie bekleiden wie Theaterkostüme.

Verweisen ist einfach, kluge Gedanken nicht

Zum anderen: Die Sprache wird flacher. Ein Großteil der Postings auf Twitter und Facebook sind Verweise und Zitate. Man "verlinkt" ins Netz und macht darauf aufmerksam, dass etwas anderes da ist. Dieses Zeigen ist nur auf den ersten Blick reines Hinweisen. Tatsächlich belegt hier der Fund den Finder. Dieser untermauert damit, dass er originelle Informationen für seine Gruppenfreunde heranzuschaffen vermag - und somit selbst originell ist. Verweisen ist einfacher, als selbst kluge Gedanken zu entwickeln.

Der niederländische Netzkritiker Geert Loovink hat in einem Zeit-Interview gesagt: "Das Entscheidende im Netz von heute sind nicht Nachrichten und Meinungen, sondern Selbstdarstellung und Selbstreflexion." Seiner Ansicht nach schauen die Menschen "in einen neuen technischen Spiegel, der ihnen Auskunft darüber gibt, in welchem Maß sie lebendig sind." Sie kreisen - jeder für sich - um sich selbst.

Am schärfsten diagnostiziert hat diese Selbstsucht im Netz der Evolutionsbiologe Mark Pagel von der University of Reading. Durch das spracharme Verweisen komme man "einfach nicht mehr auf neue Ideen. Muss man ja auch nicht. Je mehr wir vernetzt sind, umso mehr können wir kopieren. Wir müssen nichts mehr erfinden, denn Google und Facebook lehren uns, dass neue Ideen leicht zu haben sind. Es könnte sogar sein, dass fügsame, gelehrige Kopisten jetzt erfolgreicher sind als diejenigen, die innovativ sind. Das hat es in der Menschheitsgeschichte noch nie gegeben."

Diesen Verdacht hegte schon vor Jahren Zachary "Spokker Jones" Gutierrez, der Autor der Comedy-Website Something Awful. Er schrieb: "In vierzig Jahren, wenn das Netz in einer gigantischen Implosion von Dummheit zusammengebrochen sein wird, möchte ich sagen können: ,Ja, ich bin dabei gewesen!'"

© SZ vom 22.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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