Online-Kartendienste:Es geht nicht mehr nur um den kürzesten Weg

Online-Kartendienste: Eine Schicht aus Daten überlagert die reale Welt und lädt digitale Karten mit einer Vielzahl an Informationen auf.

Eine Schicht aus Daten überlagert die reale Welt und lädt digitale Karten mit einer Vielzahl an Informationen auf.

(Foto: Here)
  • Im Markt um die Online-Kartendienste geht es nicht mehr allein darum, elektronischer Wegweiser zu sein, sondern um riesige Datenmengen.
  • Nur drei große Firmen haben sich noch im Geschäft gehalten: Here, Google und Tomtom.
  • Die Unternehmen setzen auf Live-Daten zur Verkehrslage. Es genügt nicht mehr, alle paar Jahre die Daten per DVD zu aktualisieren.

Von Helmut Martin-Jung

Das Navi piepst. "Aufgrund der aktuellen Verkehrslage erreichen Sie das Ziel über eine alternative Route um 15 Minuten schneller", steht auf dem Bildschirm, "wollen Sie die alternative Route wählen?" Seit digitale Navigationsgeräte mit dem Internet verbunden sind oder als Apps auf internetfähigen Handys laufen, führen die elektronischen Wegweiser nicht mehr bloß auf unbekanntem Terrain von A nach B. Sie wollen ein ständiger Begleiter sein, auch auf bekannten Strecken. Ein Begleiter, auf den moderne Autos nicht mehr verzichten können. Dass sich die deutschen Autohersteller BMW, Audi und Daimler-Benz mit dem Kauf von Nokias Kartendienst Here ein Stück Zukunft gesichert haben, ist daher nur konsequent.

Aber auch die intelligente Navigation ist längst nur mehr ein kleiner Teil der Leistungen, die mit digitalen Karten erbracht werden. Was einst damit begann, dass sich die Menschen mit handgezeichneten Karten ein abstrahiertes Bild ihrer Umgebung schufen, ist heute ein Wettlauf darum geworden, gewaltige Datensammlungen aufzubauen und diese mit raffinierten Algorithmen auszuwerten.

Pro Straße werden durchschnittlich 400 Einzeldaten erfasst

Wenn die Mitarbeiter von Here eine neue Straße in ihre Datenbank aufnehmen, erfassen sie dabei im Durchschnitt etwa 400 Einzeldaten - pro Straße. Auf dem Bildschirm eines Navis tauchen nur die wenigsten davon auf. Aber es wird wichtig werden, wenn Autos allmählich lernen sollen, selbständig ihren Weg durch den Stadtdschungel zu finden. Die ortsbasierten Daten interessieren aber auch Städteplaner, Versandhändler und viele andere.

Die Daten zu erheben und aktuell zu halten, ist sehr teuer. Nur noch drei Firmen haben sich daher in dem Geschäft gehalten: Die Nokia-Tochter Here hat die größte Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Autoherstellern. Der Internetkonzern Google arbeitet nicht nur an einem selbstfahrenden Auto, sondern braucht die Kartendienste auch, um seine Angebote mit Geo-Daten zu unterfüttern. Der Dritte ist der niederländische Navigations-Pionier Tom Tom. Auch Tom Tom, das mit Navis für die Windschutzscheibe groß geworden war, befindet sich mittlerweile in der Transformation zu einem Daten-Unternehmen, finanziell erleichtert wurde der Firma das durch Kooperationen mit Apple und jüngst auch mit dem Automobilzulieferer Bosch.

In Zukunft werden Karten zum zentralen Interaktionsmedium im Auto

Allen diesen Firmen ist klar, dass sich die Datenbasis, aber auch das Wissen um Algorithmen, die sich die Kartenfirmen in den vergangenen Jahren erworben haben, nicht in kurzer Zeit und nur zu horrenden Kosten würden aufbauen lassen. Deshalb investierten die deutschen Autohersteller Milliarden, stützen Apple und Bosch den Konkurrenten Tom Tom.

Was die Kartendienstleister heute anbieten können, ist bereits beeindruckend. Aus historischen Daten wird errechnet, wann es sich wo gerne staut, zusammen mit aktuell dazukommenden Informationen können sie immer bessere Empfehlungen abgeben, welchen Weg man am besten einschlägt. Eigentlich aber steckt vieles noch in den Kinderschuhen. Künftig, sagt Martin Birkner von Here, würden Karten zum "zentralen Interaktionsmedium" im Auto. "Die richtige Information muss zum richtigen Zeitpunkt auf dem Bildschirm erscheinen."

So könnte beispielsweise das Navigationssystem von sich aus einen alternativen Weg zur Arbeit vorschlagen, weil es weiß, dass eine bestimmte Straße gesperrt ist. Oder Smartphone und Navigationsgerät könnten kooperieren. Man diktiert dem Handy auf dem Weg zum Auto, wohin man gleich fahren will. Via Internet gibt das Smartphone diese Information ans Navi im Auto weiter. Und am Ziel übernimmt wieder das Handy die Navigation auf den letzten Metern.

Die Autos der Zukunft brauchen eine bessere Datenverbindung

All das setzt voraus, dass die Umwelt von einer Datenschicht überlagert ist, die in Rechenzentren gespeichert und ausgewertet wird. Die Autos, die sich mehr und mehr zu Computern wandeln, brauchen zwingend eine stabile, verzögerungsarme und schnelle Internetverbindung. Nur so können sie die immense Menge an Daten übermitteln, die ihre Sensoren erfassen, und Informationen beziehen. Und nur so lassen sich die hochfliegenden Pläne realisieren, smarte Städte zu schaffen, bei denen alle Verkehrsströme als Ganzes betrachtet werden und das Navi auch mal empfiehlt, lieber die U-Bahn zu nehmen.

Die Macht der Masse steckt auch hinter Firmen wie Waze. In Israel gegründet, gehört das Unternehmen inzwischen zum Internetkonzern Google und liefert diesem sehr präzise Informationen über die Verkehrslage. Das Prinzip dahinter: Die Nutzer des Dienstes melden, wenn es irgendwo eine Baustelle gibt, einen Unfall oder andere Verkehrsbehinderungen. Mit einem abgestuften System an Kontrollen und Verantwortlichkeiten werden dabei Falschmeldungen minimiert und meist schnell korrigiert. Nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert auch der in Frankreich und Spanien sehr erfolgreiche Dienst Coyote. Beim Community-Projekt Open Street Map werden alle Daten von Freiwilligen erfasst, die Daten darf jeder frei nutzen.

Die Daten alle paar Jahre in der Werkstatt einzuspielen, reicht nicht mehr

Auch die traditionellen Anbieter Here und Tom Tom haben längst erkannt, dass neben der Qualität der Daten auch die Geschwindigkeit ihrer Verarbeitung wichtiger wird. Wollen sie wirklich zuverlässig Routen empfehlen, brauchen sie Informationen darüber so schnell wie möglich - und sie müssen sie auch viel schneller als bisher zu den Kunden bringen. Alle paar Jahre mal in der Werkstatt die Daten von einer DVD einzuspielen, das reicht schon lange nicht mehr. Und es wird erst recht völlig obsolet, wenn einmal selbstfahrende Autos kommen. Wer öfter mit Navis unterwegs ist, wird schnell bemerken, dass es hier noch viel Nachholbedarf gibt.

Mit den neuen Möglichkeiten und Chancen gehen aber auch Risiken einher. Bei der Pkw-Maut etwa wird derzeit noch gefordert, die erfassten Kennzeichendaten müssten so bald wie möglich gelöscht werden. Doch die Daten, die vernetzte Autos produzieren, sind um ein Vielfaches genauer. Schon wollen die Versicherer Tarife anbieten, die auch das Fahrverhalten berücksichtigen, und sie werden nicht die einzigen sein. Sind die Daten erst einmal da, werden Begehrlichkeiten geweckt, zum Beispiel bei den Ermittlungsbehörden. Zwischen offensichtlichem Nutzen und eher diffusen Gefahren abzuwägen, wird keine leichte Entscheidung sein.

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