Kabel, Satellit, DVB-T oder IP-TV?:Wer nicht sehen kann, muss wühlen

Transistorfernseher von 1963

Transistorfernseher von 1963

(Foto: dpa)

Früher war Fernsehen eine einfache Sache: ein Kasten, drei Sender. Heute herrscht die große Verwirrung bei Empfangswegen, Zusatzboxen und Tausenden Kanälen.

Von Helmut Martin-Jung

Wenn es so weitergeht, wird es in unseren Wohnzimmern in nicht allzu langer Zeit aussehen wie im Labor der amerikanischen Serie "CSI Miami". Es werden sich per Gedankenübertragung Riesenbildschirme in der Luft auftun, auf denen wir herumwischen und tippen, während wir nach einem Hollywoodfilm suchen. Zu weit hergeholt? Wenn es nach der britischen TV-Technikfirma NDS geht, können wir schon in ein paar Jahren auf Wohnzimmerwandgroßen Fernsehern Castingshows sehen, und daneben in einem Fenster die Kommentare unserer Facebook-Freunde lesen. Oder gleichzeitig Termine in den Familienkalender eintragen - der natürlich noch nicht per Gedankenübertragung geführt wird, sondern online.

Dass seit Jahren auf Messen wie der Consumer Electronics Show in Las Vegas, die am kommenden Dienstag beginnt, immer größere Bildschirme präsentiert werden, die größten davon mit fast vier Meter Diagonale, ist keine Neuheit; dass sich Menschen tatsächlich solche Flachbildmonster ins Wohnzimmer stellen, dagegen schon. 1,20 Meter Diagonale sind bereits Standard. Auf Handys und Tablet-Computern werden nebenher Dienste wie Twitter und Facebook genutzt. Normales Fernsehen gucken viele bloß, wenn ein Königskind heiratet oder Tornados mal wieder ganze Metropolen lahmlegen. Warum auch sollte man sein Leben nach den Sendezeiten ausrichten, wenn sich das Gesendete doch heutzutage längst danach richtet, wann man selber es empfangen will?

Sieben Fernbedienungen

Auf dem Empfänger mit eingebauter Festplatte warten dann die aufgenommenen Filme darauf, dass man sie sich endlich reinzieht. Doch nichts dabei für heute? Kein Problem: Die Xbox-Spielkonsole der Kinder ist das Tor zur Online-Videowelt und einer Online-Musikwelt mit Millionen Stücken. Ähnliche Optionen bietet auch das Abspielgerät für Bluray-Discs, das daneben steht. Doch die potenziellen Kunden sind zuerst einmal damit beschäftigt, aus den sieben Fernbedienungen auf dem Wohnzimmertisch die richtige herauszusuchen.

All die vielen neuen Möglichkeiten zu nutzen, die Fernsehen und damit verwandte Unterhaltungselektronik heute schon anbieten, ist nämlich trotz gegenteiliger Beteuerungen aus der Industrie, trotz wohlklingender Initiativen wie der Digital Living Network Alliance und anderer Zusammenschlüsse unendlich kompliziert geworden. Was zum Teufel ist da passiert? Fernsehen war doch auch deshalb so erfolgreich, weil es so einfach war. Einschalten, zurücklehnen, entspannen.

Die Unterhaltungselektronik, das wäre die Kurzfassung, ist in Geiselhaft genommen worden von der schieren Masse an Möglichkeiten und von konkurrierenden Interessen. Ein Beispiel: Wer einer der vielen Millionen Kunden bei Kabel Deutschland ist, braucht, damit er die privaten Sender wie RTL oder Pro7 empfangen kann, eine Entschlüsselungskarte. Diese steckt man in einen Empfängerkasten. Dieser ist nun der eigentliche Empfänger, das Fernsehgerät, von denen die meisten auch einen Empfänger eingebaut hätten, dient bloß noch als Bildschirm.

Der Bildschirm bleibt schwarz

Das aber hat wiederum zur Folge, dass man zum Auswählen der Programme die Fernbedienung des Empfangskästchens nehmen muss, zum Ein- und Ausschalten des Fernsehers aber eben die des Fernsehers. Und natürlich muss beim Fernseher derjenige von den vielen verschiedenen Eingängen gewählt werden, an dem das Empfangskästchen angeschlossen ist. Sonst bleibt der Bildschirm schwarz.

Gesetzt nun den Fall, jemand möchte - etwa weil er Fußballfan ist - auch noch den Bezahlsender Sky abonnieren. Auch dieser sendet über Kabel und Satellit an alle, verschlüsselt die Programme aber, sodass man ebenfalls eine Karte braucht. Doch die arbeitet mit einer anderen Verschlüsselungstechnik als die der Kabelanbieter. Oft endet das dann damit, dass neben dem Fernseher ein zweiter Empfängerkasten landet und auf dem Tisch eine weitere Fernbedienung. Sind Sie noch dabei, werter Leser, oder haben Sie schon abgeschaltet? Das alles ist jedenfalls nicht bloß ökologisch geballter Unsinn, es macht alles auch unnötig kompliziert.

Noch mehr Kabelsalat

Dabei ist noch gar nichts gesagt zum Beispiel darüber, wie die Verschlüsselungstechnik es den Privatsendern ermöglicht zu verhindern, dass die TV-Zuschauer bei aufgenommenen oder zeitversetzt angesehenen Sendungen im schnellen Vorlauf über die Werbepausen hinwegspringen können. Oder wie man es schafft, den Ton eines Fernsehers, der nur digitale Ausgänge hat, über eine analoge Stereoanlage auszugeben. Das geht nur - man ahnt es schon - mit einem weiteren Kästchen und noch mehr Kabelsalat.

Die Verwirrung fängt für die meisten aber schon viel früher an. Nämlich damit, wie Bild und Ton überhaupt ins Haus kommen. Fünf verschiedene Wege gibt es allein dafür (siehe unten). Viele Kabelkunden haben zwar gar nicht die Wahl - in Mehrfamilienhäusern ist der Anschluss oft Bestandteil des Mietvertrages -, stehen aber trotzdem ratlos vor dieser neuen Vielfalt. Obwohl sie einen hypermodernen Fernseher haben und Fernsehen digital empfangen könnten, läuft analoges Grießel-Fernsehen, weil die Nutzer gar nichts von den neuen Möglichkeiten wissen. Zwar bombardieren einen alle möglichen Anbieter mit Werbepost, doch die dort verwendeten Begriffe wie HD ready, Flatrate, Full HD, Video on demand und dergleichen schrecken eher ab, und die Tarife sind ähnlich kompliziert wie die bei Handyverträgen.

Wann kommt Apple-TV?

Und dann soll auch noch das Internet in den Fernseher. Schon Geräte für 500 Euro kommen heute mit Netzwerkanschluss, nennen sich dann Smart TV und bringen eine Menge an vorinstallierten Apps mit. Kleine Symbole sind das, die man mit der Fernbedienung auswählt und die zum Angebot zum Beispiel einer Online-Videothek führen oder zu einer Nachrichten-Seite. Wem das noch nicht reicht, der stellt sich Sonys Google-Box neben den Fernseher und kann nun dank einer Fernbedienung mit Touchpad (wie auf einem Laptop) noch besser im Web surfen oder die Mails lesen.

Genutzt werden die Online-Funktionen der Fernseher aber nur wenig. Zudem gibt es noch ein Wortungetüm namens HbbTV (für Hybrid Broadcast Broadband TV), wohinter sich ein multimedial aufgemotzter Videotext verbirgt, der seine Informationen sowohl aus dem TV-Signal bezieht wie auch aus dem Internet. Auch darauf hat wohl kaum jemand gewartet. Und während Nichttechniker bei diesem Wirrwarr schon längst den Überblick verloren haben, sind auf Messen schon erste Fernseher mit noch schärferem Bildschirm zu bewundern. Nur Inhalte dafür gibt es noch weniger als für 3D-Geräte.

Gewaltige Aufgabe

Es muss daher niemand wundern, wenn alle diejenigen, die sich nicht mit Technik herumschlagen, sondern Inhalte genießen wollen, sich einen Apple-Fernseher herbeiwünschen. Und zwar mit ähnlicher Inbrunst wie vor fünf Jahren das iPhone herbeigesehnt worden war. Und warum war das so? Weil Telefone auch vor dem iPhone zwar vieles konnten, nur ahnte man kaum etwas davon. Und wenn, dann war es umständlich zu benutzen.

Und Apple war auch klar gewesen, dass nicht bloß Technik und Software stimmen müssen, sondern dass zum Erfolg auch Inhalte gehören. Das für die Fernsehwelt zu schaffen, ist eine gewaltige Aufgabe. Was auch erklärt, warum sich von den anderen Herstellern ganz offenbar niemand ernsthaft bemüht, einen solchen Fernseher selber zu bauen. Schöne neue, komplizierte Technikwelt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: