Jugend und Technik:Eltern lassen sich von dramatischen Warnungen verführen

Die gerade erschienene deutsche "Kinder-Medien-Studie" gibt auch bezüglich des Medienkonsums Entwarnung: Kinder sind immer noch am liebsten direkt mit ihren Freunden zusammen und genauso gerne, wie sie etwas mit dem Smartphone machen, lesen sie auch oder spielen Fußball. Nur lesen solche Studien wahrscheinlich deutlich weniger Eltern als dramatische Essays ehrlich besorgt wirkender Wissenschaftler in Medien mit weiter öffentlicher Verbreitung.

Das Dramatische an Warnungen solch charismatischer Wissenschaftler ist, dass sie so verführerisch sind, weil sich viele Eltern in ihren anekdotischen Erzählungen sofort wiedererkennen. Denn natürlich wissen die meisten Eltern, was passiert, wenn man einem Kind ein Smartphone in die Hand drückt und es uneingeschränkt damit daddeln lässt: Es macht immer weiter, wird irgendwann reizbar und will das Ding nicht mehr hergeben. Das ist zweifelsohne besorgniserregend. Aber es ist ein Fehler, die Schuld daran der Technologie zu geben. Sie ist vor allem in den gesellschaftlichen Umständen zu suchen, die das Verhalten der Kinder (und vieler Erwachsener) begünstigen und wahrscheinlich sogar mitverursachen.

Generationen überbesorgter Eltern sind herangewachsen

Getrieben von einer unendlichen Flut an Ratgebern, sind Generationen überbesorgter Eltern herangewachsen, die ihre Kinder vor allen Gefahren des Lebens schützen wollen, weil sie Angst haben, durch Versäumnisse schuld zu sein an deren zukünftigem Scheitern. Doch das führt fatalerweise zum Gegenteil, weil den Kindern durch das ständige Abschirmen die Möglichkeit genommen wird, echte Herausforderungen zu meistern und durch diese Erfahrung das Gefühl zu entwickeln, den Herausforderungen der sie umgebenden Welt gewachsen zu sein. Einer Welt, die sie häufig durch permanenten Nachrichtenkonsum in ihrem Umfeld schon früh als schrecklich und bedrohlich wahrnehmen.

Das Resultat dieser Erziehung sind Kinder, die wie gemacht sind dafür, sich hinter einem Smartphone zu verkriechen. Weil es dort für sie zunächst keine spürbaren Gefahren gibt, aber eine Befriedigung ihrer sozialen Bedürfnisse und ihres Spieltriebs. Was ihnen jenseits des Smartphones aufgrund der Angst ihrer Eltern vor Misserfolgen, Zecken und Alkoholvergiftungen kaum noch unbefangen möglich ist.

Es steht völlig außer Frage, dass man ein Kind nicht stundenlang allein mit einem Smartphone versacken lassen sollte. Man muss ihm beibringen, warum es wichtig ist, Contenance bewahren zu können und nicht impulshaft auf jeden Reiz zu reagieren. Weil es nur dann zu einem autonomen Wesen werden kann, das die Möglichkeit hat, aus sich selbst heraus zu entscheiden, wie es leben und sich verhalten will. Wann es zum Beispiel die Möglichkeiten des Internets nutzen und wann das Smartphone weglegen will, um etwas anderes zu tun.

Medienverzicht führt nicht unbedingt zu besserem Sozialverhalten

Man muss ihm, bevor man es mit den sozialen Medien und Messengerdiensten allein lässt, vermitteln, dass geschriebene Nachrichten möglicherweise anders beim Empfänger ankommen als gesprochene Worte. Und dass Privatsphäre nicht primär heißt, dass Mama und Papa nicht mitlesen dürfen, sondern dass man seine Daten nicht ominösen Datenhändlern im Internet überlassen darf und sich gegen staatliche Überwachung wehren muss, weil man sonst irgendwann die Möglichkeit zur informationellen Selbstbestimmung aufgibt, die grundlegend ist für eine psychisch gesunde Gesellschaft.

Die Mahner und Warner, die von der Angst anderer Menschen vor den Herausforderungen der Moderne profitieren, entlarven sich mitunter selbst. 2007, als das iPhone gerade auf den Markt gekommen war und kaum einem Jugendlichen zur Verfügung stand, erschien von Jean Twenge bereits das Buch "Generation Me", in der sie auch schon davor warnte, wie schlecht es um die nachfolgende Generation steht. In Deutschland beweist der als Medienkritiker bekannte Ulmer Psychiater Manfred Spitzer in Talkshows mitunter am eigenen Beispiel, dass Medienverzicht nicht unbedingt zu besserem Sozialverhalten führt.

Statt sich von Apokalyptikern verführen zu lassen, sollte man Smartphones lieber als das betrachten, was sie sind: eine neue Technologie mit enormem Potenzial. Und sich die Zeit nehmen, Kindern beizubringen, wie sie damit umgehen müssen. Damit sie als Erwachsene Smartphones dafür nutzen können, ein zufriedenes Leben zu führen und mithilfe dieser Technologie den Herausforderungen der Zukunft noch besser gewachsen zu sein.

Der Autor ist Psychiater und Autor. Zuletzt erschien von ihm "Digitale Paranoia - Online bleiben, ohne den Verstand zu verlieren" (C. H. Beck).

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