Jubiläum:Zehn Jahre Youtube - erklärt in zehn Videos

South Korean pop star Psy; psy gangdam style

Gangnam-Style-Video-Youtube-Held Psy

(Foto: picture alliance / dpa)

Gangnam Style, weggetretene Kleinkinder und Flugzeugabstürze: Youtube ist innerhalb eines Jahrzehnts zu einem Fernsehsender geworden, den alle sehen. Zeit für die stilprägendsten Videos.

Von Dirk von Gehlen und Hakan Tanriverdi

Youtube wird zehn Jahre alt. Mit dem Motto "Broadcast Yourself" wurden Menschen dazu aufgefordert, mitzumachen - und die haben das millionenfach getan. Über die Jahre hinweg ist Youtube zu einem Fernsehsender geworden, den sich alle anschauen. Das soziale Netzwerk hat eine eigene Ästhetik etabliert, die so gut funktioniert, das sogar Popstars lieber auf Hochglanz verzichten. Wir haben die zehn bekanntesten Phänomene gesammelt und in Genres zusammengefasst - und zeigen, wieso einem das alles irgendwie bekannt vorkommen könnte.

1. Genre: One-Hit-Wonder

Bekannte Beispiele: Chocolate Rain, Star Wars Kid

War früher: 15 Minuten Ruhm

Idee: Menschen machen Quatsch und filmen sich dabei. Die Versuchung war so groß, dass wir für ein kleines Zeitfenster aufgehört haben miteinander zu reden. Stattdessen haben wir unsere Smartphones aus der Tasche gezogen und unsere Freunde gefragt: "Kennst du schon das Video, in dem...?" Und egal, ob die Person ja oder nein gesagt hat: Wir haben es uns anschließend gemeinsam angeschaut und gelacht. So vergingen ganze Abende und Monate, in denen wir Leuten einfach nur zuschauten. Auch heute gucken wir aus Nostalgie-Gründen manchmal noch diese Videos, zum Beispiel mit dem Jungen und seinem Lichtschwert (das in der Zeit vor Youtube enstanden ist) - wohlwissend, dass ihn all das Gelächter in eine Depression gestürzt hat.

Führt zu: Einem Geschäftsmodell. Songs, die 100 Millionen Mal angeklickt werden, lassen sich zu Geld machen. Von Kinderstars wie Charlie (siehe nächstes Genre) gibt es Tassen zu kaufen.

2. Genre: Kinderfilme/Babyfilme

Bekannte Beispiele: "Charlie bit my finger", David

War früher: Das Fotoalbum der Familie

Idee: Eltern halten drauf. Egal ob aus Stolz, Glück oder Dummheit - immer mehr Mamas und Papas wollen dem Web ihren Nachwuchs zeigen. YouTube befriedigt dieses Bedürfnis mit Speicherplatz - und interessiertem Publikum, das sich an betäubten Kindern nach dem Zahnarztbesuch ebenso erfreut wie an zwei Brüdern, die sich auf den Finger beißen.

Führt zu: einer tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderung. Heute denken wir noch, es sei merkwürdig, auffällig oder gar peinlich, wenn derartig intime Kinderbilder im Netz auftauchen. In nur einer Generation wird man vielleicht fragen: "Warum lacht eigentlich niemand im Netz über dich?"

Fail- und Musikvideos

3 Genre: Fail-Videos

Bekannte Beispiele: sämtliche Fail-Compilations

War früher: Pausenhof in der Schule

Idee: Ausrutschen, hinfallen, sich wehtun - und alle Welt schaut zu. Die Fail-Compilations sind Sadismus. Sehen, wie andere leiden, verzweifeln und scheitern. Mit dem Klick auf das Video beginnt der Countdown. Wann genau wird die Person denn nun hinfallen? Wer sich die Zusammenstellungen anguckt, muss den Eindruck bekommen, dass die Menschheit alles in allem ein eher unfähiger Haufen ist.

Führt zu: dem leise gemurmelten Satz: "Ich hoffe, er hat sich nicht weh getan. Hast du gehören, wie er geschrien hat?" Und natürlich zu diesem Video von Jimmy Kimmel. Eine perfekte Parodie.

4 Genre: Musikvideos

Bekannte Beispiele: Happy von Pharrell, PSY und Gangnam, OkGo

War früher: MTV

Idee: Ein kurzer Werbeclip, mit dessen Hilfe eine Band auf einen neuen Song hinweist. Im Zeitalter der Kurz- und Kürzestkultur ist der Videoclip zum kleinen Kino geworden. Große Filme brauchen nicht länger als die Dauer eines Popsongs. Auch wenn alternende Poptheoretiker den Tod des Musikvideos beständig herbei schreiben: in der Liste der 20 populärsten YouTube-Clips ist einzig "Charlie bite my Finger" kein Musikvideo.

Führt zu: der Tatsache, dass YouTube eines der größten Musikportale der Welt ist. Denn selbst die Künstler, die klassische Streamingdienste nicht mögen, sind auf YouTube zu finden.

Amateur- und Augenzeugenvideos

5 Genre: Amateurvideos

Bekannte Beispiele: Numa-Numa-Guy (ausführliche Würdigung hier)

War früher: Die Dusche, der Badezimmerspiegel

Idee: Die Grundidee von Youtube: "Broadcast yourself". Menschen bekommen die Möglichkeit, sich und ihre Welt zu zeigen. Deswegen wissen wir auch sehr genau, wie die Zimmer von Menschen vor allem in Amerika aussehen. In einem unendlichen Strom aus Selbstaufnahmen haben sie beiläufig - und erst in der Masse als solches sichtbar - ein Muster erkennen lassen.

Führt zu: einer neuen Ästhetik. Popstars wie Beyoncé wirken in ihren Videos plötzlich amateurhaft. Das ist natürlich Kalkül. Sie wissen, dass sie dadurch künstliche Nähe herstellen können.

6. Genre: Augenzeugen-Clips

Bekannte Beispiele: Dashcam-Videos, Go-Pro-Aufnahmen

War früher: Augenzeugenbericht

Idee: POIDH. Internetslang für "Zeig' Bilder oder wir glauben dir nicht, was du sagst" (Pics or it didn't happen). Das ist der Leitspruch, an dem wir unser Verhalten im Netz ausrichten. Kommt es zu einem Meteoritenschauer über Russland oder stürzt ein Flugzeug ab, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass ein Mensch sein Smartphone aus der Tasche geholt und den Vorfall gefilmt hat. Während der Umbrüche im arabischen Raum haben die Menschen dort sehr schnell gemerkt, dass sie ihre Aufnahmen leichter verifizierbar machen müssen. Also wurde zuerst eine aktuelle Zeitung (Datum) und ein Straßenschild (Ort) abgefilmt. Erst dann wurde die Szene gezeigt.

Führt zu: Einer ethischen Diskussion. Der Mann, der gefilmt hat, wie die Charlie-Hebdo-Terroristen einen Polizisten erschießen, bereut mittlerweile, die Sequenz ins Netz gestellt zu haben.

Sport und Werbespots

7. Genre: Sportvideos Leistungsshow, Let's Play Videos

Bekannte Beispiele: Go-Pro-Aufnahmen, Letsplays

War früher: Dia-Abend

Idee: Die Go-Pro-Kamera wurde erfunden, weil ein Surfer Fotos von sich selbst haben wollte, wie er auf dem Brett steht. Seither gehört eine Go-Pro zum Urlaub dazu. Dadurch ist es möglich, Situationen nachzuerleben - und mit unserem Wingsuit-liebenden Freund durch Berglandschaften zu fliegen - mittendurch! Auch Letsplay-Videos befriedigen dieses Bedürfnis. Anstatt sich erzählen zu lassen, wieso ein Spiel so gut ist, kann man es sich einfach angucken - und anschließend selber kaufen.

Führt zu: Waghalsigen Stunts - von denen einige schief gehen (siehe Fail-Videos)

8. Genre: Werbung

Bekannte Beispiele: First Kiss, Supergeil

War früher: Jener Teil zwischen Filmen, den Festplattenrekorder heute überspringen

Idee: Ein Unternehmen dreht kurze Filme, in denen auf erzählerische Weise die Vorzüge eines Produkts dargestellt werden. Früher zeigte man diese Clips einzig in Umfeldern, in denen der erwünschte Konsument nicht wegkonnte (Kino, zwischen Filmen). Seit der Konsument immer aktiver wird, werden Werbeclips immer kreativer - und sehen häufig nicht mal mehr wie Werbung aus.

Führt zu: dem Werbertraum, dass Menschen Werbung nicht nur anschauen, sondern auch Freunden empfehlen. Manchmal.

Coversongs und Hochzeitsanträge

9. Genre: Die Cover-Version

Bekannte Beispiele: Superfruit als Beyonce und im Prinzip alle (Gotye-)Cover

War früher: Der Karaoke-Abend

Idee: Öffentliches Nachsingen bekannter Songs. Immer noch populär im privaten Rahmen unter der Dusche (siehe oben), immer häufiger aber auch im öffentlichen Rahmen des Web. Menschen singen nach, was bekanntere Menschen schon gesungen haben. Gerne dabei: Kinder, die talentiert oder mindestens sehr rührselig tanzen, mitsingen oder einfach nur dabei sind.

Führt zu: Parodie-Versionen von Songs, bei denen digitale Witzemacher bekannte Songs veralbern, wie hier Y-Titty.

10. Genre: Der Hochzeits-Antrag, Intim-Kram

Bekannte Beispiele: US-Soldaten, die ihre Freundinnen überraschen

War früher: die TV-Show "Nur die Liebe zählt"

Idee: Eine sehr private Sache fühlt sich für manchen offenbar noch toller an, wenn sie mit vielen Menschen öffentlich geteilt wird. Deshalb hupen Hochzeitsautos in der Stadt und deshalb filmen Menschen ihren Hochzeitsantrag und laden ihn ins Netz. Weil das romantisch ist und voller Liebe - und weil es alle wissen sollen.

Führt zu: Kinderfilmen im Web (siehe 2.)

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