Jeff Jarvis:"Ich habe nichts gegen Bücher"

Blogger-Treffen 're:publica'

Mit seinem Buch "Was würde Google tun?" ist Jeff Jarvis bekannt geworden.

(Foto: dpa)

Jeff Jarvis verdient sein Geld damit, dass er den gedruckten Journalismus für tot erklärt. Sein Buch "Was würde Google tun?" hat ihn berühmt gemacht. Als Reporter, Blogger und professioneller Twitterer schreibt er über die Kapitulation der Verlage und unfähige Journalisten. Eine Begegnung.

Von Johannes Boie

Er sagt ihnen, was sie falsch machen. Darum haben sie ihn gebeten, und deshalb ist er angereist. Das macht er vom Podium aus, im Licht der Scheinwerfer, die grell leuchten und hell genug sind für Fernsehaufnahmen. Das Publikum darunter verschwimmt im Halbdunkeln. Oben er, unten die Ahnungslosen, das ist seine Paradekonstellation. Sie funktioniert offline wie online, das ist das Wichtigste für ihn.

Sie funktioniert auf Twitter, wo Jeff Jarvis mit jeder seiner kurzen Botschaften 120.000 Follower erreicht. Sie funktioniert in Vortragssälen in Delhi, New York, London, München, Berlin und auch in diesem dunklen Kellersaal in Hilversum, einem hübschen, reichen, verschlafenen Kaff in der Nähe von Amsterdam. Hier ist die Zentrale des niederländischen Senders KRO, öffentlich-rechtlich, katholisch. Der Sender hat Journalisten eingeladen und junge Menschen, die Journalisten werden wollen. Wahrscheinlich wussten sie bei ihrer Berufswahl noch nicht, was sie gleich zu hören bekommen.

Jeff Jarvis ist Amerikaner, und deshalb kann er einen Anzug mit einer Art Trainingsjacke kombinieren. Alles schwarz, Jarvis trägt überhaupt immer Schwarz, wenn man den Bildern im Netz glauben darf. Selbst seine Tasche ist schwarz, nur die Hemden sind mal schwarz, mal weiß, mal blau. Es ist die Uniform des Intellektuellen oder des Totengräbers. Jarvis ist mindestens eines von beidem.

Unfähigkeit der Journalisten

Er beerdigt eine ganze Branche. Der 58-Jährige ist der Autor des Buches "Was würde Google tun?". Es erschien vor drei Jahren und hat ihn berühmt gemacht. Jarvis ist Blogger, er ist, das kann man schon so nennen, bei jemandem, der in drei Tagen 40 Nachrichten abfeuert, professioneller Twitterer, und er ist Vortragsreisender. Und Professor für Journalismus. Und, natürlich, Guru.

Guru, was für ein Wort. Er wird so vorgestellt, auch in Hilversum: Jeff Jarvis, der Internet-Guru. Er macht eine Handbewegung, wischt das Wort beiseite ohne Koketterie. Das muss man sich erstmal leisten können, Guru genannt zu werden und das Wort einfach wegzuwischen.

Jeff Jarvis begann als Journalist, als Reporter. Er arbeitete für die Tribune und macht bei den New York Daily News Karriere. Irgendwie ist er auch heute noch Reporter. Er ist Reporter mit einem einzigen Thema, und er berichtet aus einem Krisengebiet, das kein Land ist. Er schreibt über den Niedergang des gedruckten Journalismus. Über die Kapitulation der Verlage vor dem, was er die digitale Welt nennt. Über die vermeintliche Unfähigkeit vieler Journalisten, sich auf die neue, schöne, digitale Welt einzustellen.

"Ich habe keine goldene Antwort"

Er erzählt von gemütlichen Redaktionen, von der alten Art, Geschichten zu erzählen, von den Arbeitsabläufen der Zeitungen und Sender. Und dass kaum etwas davon bestehen bleibt. Aber was kommt? Da bleibt er vage. "Ich habe keine goldene Antwort", sagt er dann. Manchmal sitzt auch er im Halbdunkeln.

Jarvis nimmt einen Schluck Wasser, in dem schmucklosen Raum bei KRO, in dem er vor seinem Vortrag Interviews gibt. Und der hell beleuchtet ist. Sein Gesicht ist schmal, er war schwerkrank, Prostatakrebs. Kurze Pause jetzt, irgendwelche Terminpläne müssen abgestimmt werden, ein paar KRO-Mitarbeiter hasten in den Raum und wieder heraus. Dem Amerikaner schräg gegenüber sitzt ein Mitarbeiter des Senders. Unklar, was der Mann da hinten macht, aber es kann kaum seine Aufgabe sein, darüber zu wachen, dass Jarvis nichts zu Privates gefragt wird.

Der Professor hat über den Krebs getwittert, und darüber geschrieben, dass er Pornos anschaut. Er sei ein Free-Speech-Absolutist, sagt er, wenn man ihn fragt, wo er politisch steht. Er verteidigt das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht nur absolut, er verwendet es auch absolut. Seine Kritiker finden das nervig. Unter ihnen sind Theoretiker wie der Autor Evgeny Morozov, aber auch reihenweise Journalisten in leitender Funktion, die sehen, dass Jarvis mit der Tatsache, dass ihnen das Geld ausgeht, Geld verdient.

Jarvis profitiert von dieser Kritik, weil er in ihrer Widerlegung glänzen kann. Auf dem Podium, eine Stunde später, muss er kaum nachdenken. Er spielt mit den Zuhörern. Die machen es ihm einfach. Viele seiner Kritiker verwechseln ihr Staunen darüber, dass jemand über die eigene Krankheit twittert mit dem Recht, Jarvis dafür zu verurteilen.

Jarvis liebt die Zerstörung

Auch in Hilversum dringt die alte Leier aus dem Halbdunkel auf das Podium: Er verdiene sein Geld mit gedruckten Büchern, verkünde aber das Ende des gedruckten Buches. Jarvis: "Ich habe nichts gegen Bücher, aber Print als einziges Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr." Sein großes Ego und sein Drang zur Selbstdarstellung? Jarvis: "Ja, ich checke die Anzahl meiner Follower auf Twitter mehrmals täglich." Tonfall, amerikanisch, so what? Wieder eine Frage pariert, so geht das in einem fort. In der vergangenen Woche war er mit Eric Schmidt, dem Chef von Google, in Delhi, mit dem hat er genau dieselben Themen durchgehechelt. Man wüsste gerne, ob ihn das insgeheim langweilt, aber die Zeit läuft ab und Jarvis muss noch anderes loswerden.

"Rethink", setzt er an. "Rethink", das ist dann aber schnell klar, ist eine Art Zwei-Wort-Joker. Jarvis kann das Wort beliebig kombinieren. "Rethink journalism", "rethink operations", "rethink themselves". Rethinking kann viel bedeuten, am schönsten ist es in der Kombination mit "everything." Jarvis nämlich liebt nur eines mehr als das Internet an sich: die Zerstörung, die das Netz für viele bestehende Branchen, Institutionen und Geschäftsmodelle mit sich bringt. Er nennt sie "disruption".

Der Begriff ist in den endlos langen Debatten über das Internet als Kulturwandler längst zu einem Schlagwort geworden. Bedroht seien neben den Medien vor allem die Regierungen, sagt Jarvis. Deshalb misstraut er ihnen, wenn sie Gesetze erlassen, die das Internet betreffen. Er glaubt, Politiker könnten von der Furcht vor der freien Rede getrieben sein, wenn sie das Netz regulieren. Es folgt ein kurzer Exkurs über die Frage, warum die Deutschen, wenn es ums Datensammeln und neue Geschäftsmodelle geht, Unternehmen misstrauen, die Amerikaner aber Regierungen. Wo doch die Amerikaner oft die bessere Regierung hatten, in den vergangenen hundert Jahren. Vielleicht, sagt Jarvis, seien die besseren Regierungen ja ein Resultat davon gewesen, dass sie, die Amerikaner, ihrer Regierung immer misstraut hätten. Er liebt solche Schleifen. Rethink history. Mann, das ist ja einfach.

Jarvis hat auch Fehler gemacht

Jarvis redet schnell, er erzählt gerne in Anekdoten und scheut große Vergleiche nicht. Wenn es sein muss, denkt er, während er redet, aber er denkt selten vorab. Zur Not schindet er Zeit, charmant. "Das ist eine wundervolle Frage", sagt er. "Ich sage das, denn ich benötige Zeit, um nachzudenken, was wiederum beweist, dass es wirklich eine wundervolle Frage ist." Offen, ehrlich, freundlich. Oder wenigstens so getan als ob. So etwas würde auch auf Twitter funktionieren.

Die Zeit drängt jetzt wirklich, der Vortrag beginnt gleich. Jarvis nimmt sein Handy, ein Google-Handy, natürlich, in die Hand, er fuchtelt damit herum. Rumfuchteln mit dem Google-Handy, das ist offenbar das Zeichen für: ernstes Thema. "Don't kill the messenger", sagt er. Er lächelt, legt das Handy auf den Tisch. So simpel ist das, er überbringt die Nachricht nur, er macht sie nicht. Die Position ist bequem, aber es ist natürlich sein Recht, sie einzunehmen.

Allerdings hat er in den vergangenen Jahren dabei Fehler gemacht. Zum Beispiel hat Jarvis die Paywalls der Verlage nicht nur nicht kommen sehen, er hat sie nicht für sinnvoll gehalten. Heute aber verlangen immer mehr Zeitungen und Zeitschriften Geld für ihre Artikel, auch online, bei einigen funktioniert das gut. Er holt aus, erklärt, warum er dennoch richtig lag, als er das noch anders sah, und warum zum Beispiel der Erfolg der New York Times mit ihren bezahlten Artikeln für kleinere Zeitungen unerreichbar sei. Und Jarvis preist noch immer den Arabischen Frühling als "Revolution tapferer Menschen mit digitalen Werkzeugen", als seien all die Zweifel, ob der Frühling nicht eher ein Herbst ist, unbegründet.

Jarvis pfeift drauf

Jarvis, Freund des Wandels, wird gerne gebucht von denen, die zeigen wollen, dass auch sie wandlungsfähig sind. Bereit für die Zukunft. Alle, die sagen wollen: Seht her, ich fürchte mich nicht vor dem Umbruch im Mediengeschäft, in der Politik, in der Welt. Ich treffe mich mit seinem größten Advokaten. So wie die Menschen bei KRO. Oder wie der deutsche Chefredakteur, von dem Jarvis erzählt. Der ließ zum Relaunch seines Magazins per Pressemitteilung verlauten, er habe Jarvis für mehrere Monate als Experten verpflichtet. Der New Yorker erinnert sich an eine eher entspannte Zusammenarbeit. "Das war eine Klitzekleinigkeit", sagt er über den Beratungsjob in Deutschland, "wir haben nur ein paar Mal kurz auf Skype gesprochen."

Andere sind noch näher dran. Kai Diekmann, Bild-Chef, sei nach New York geflogen, erzählt Jarvis, um ihm das Bild-Buch zu überbringen. Das Bild-Buch ist eine dem Boulevardblatt angemessene Mega-Giga-Ausgabe der Bildzeitung in Buchform. Sich mit Diekmann zu treffen, macht aber nicht einmal Jeff Jarvis ungestraft: "Einer meiner deutschen Freunde, ich sage Ihnen nicht, welcher, sagte, mit Diekmann Umgang zu haben, sei wie mit Roger Ailes rumzuhängen." Ailes war Medienberater von Nixon und Reagan und ist der Chef von Fox News. Jarvis pfeift drauf.

Worauf er sonst noch pfeift, ist die Vergangenheit, klar, und zwar auch seine eigene berufliche. "Ich hatte eine Schreibmaschine", sagt er, und anders als bei vielen in der Zunft klingt kein bisschen Melancholie an. Vermisst er das nicht, rauszugehen, Geschichten zu machen? "Nein, eigentlich nicht." Warum auch? Neugierde verbinde alle Journalisten. Jarvis trägt sie weiterhin in sich. Tatsächlich ist er neugieriger als viele von denen, die unten sitzen, im Halbdunkeln. Es ist Neugierde auf die Zukunft und den Wandel und die Zerstörung.

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