20 Jahre Web - von A bis Zett:Welt der WWWunder

Sie können nicht ohne? Ohne Web? Dann haben wir etwas für Sie: Tops und Flops aus 20 Jahren WWW.

Johannes Kuhn und Mirjam Hauck

Vor 20 Jahren, im November 1990, legte Tim Berners-Lee am Schweizer Kernforschungszentrum Cern mit einem Projektantrag den Grundstein für das World Wide Web - und damit für unsere heutigen Jobs, um nicht zu sagen für unsere heutige Existenz. Feiern Sie mit uns - und für alle Nachgeborenen haben wir das folgende Glossar erstellt. Auf die nächsten 20 Jahre, liebes WWW.

www Jubiläum
(Foto: Grafik: S.Kaiser)

A - Anfangsfehler Unzählige Stunden haben wir im Web verbracht, viele davon verschwendet. Nicht etwa durch planloses Surfen - sondern wegen zweier Zeichen. Der "Doubleslash" in der Adresszeile, also das "//" hinter "http:", war nämlich nach Angaben von Berners-Lee überhaupt nicht notwendig, wie der WWW-Erfinder im Jahr 2009 zerknirscht zugab. Wie viele Stunden wir wohl mit dem Eintippen dieser Zeichen vergeudet haben? Ein Trost: Nun haben wir endlich jemandem, dem wir das Vorbeiziehen der Lebensjahre ankreiden können.

B - Bombenbau-Anleitungen Wenn es Anfang des Jahrtausends um die dunklen Seiten des Netzes ging, durfte ein Hinweis auf die dort zu findenden Bombenbau-Anleitungen nicht fehlen. Jahre vor der Zensursula-Debatte wurde über mögliche Filter für Seiten für Sprengstoff-Fetischisten diskutiert, inzwischen herrscht zumindest für Hobby-Sprengmeister Rechtssicherheit: Seit 2009 ist der Download von Bombenbastel-Handbüchern in Deutschland nun verboten, soweit er der Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat dient. "Wer es hinter dem Haus mal richtig krachen lassen will, ist kein Terrorist", erklärte die damalige Justizministerin Brigitte Zypries in der taz.

C - Cookie Cookies helfen dem Browser, Internetseiten wiederzuerkennen. Doch warum heißen sie "Kekse"? Oftmals wird angenommen, dass der Begriff aus den sechziger Jahren kommt, wo er als Synonym für LSD verwendet wurde - und er den kalifornischen IT-Pionieren so gut gefiel, dass sie ihn übernahmen. Tatsächlich aber, so erzählte einmal Lou Montulli, der für den Netscape-Browser das Cookie-Script entwickelte, sei die Bezeichnung ohne solche Hintergedanken entstanden.

D - Dauerklicker Der Dauerklicker ist der Traum aller Werbevermarkter: Er surft durch das Web und muss sich einfach alles ansehen, was er findet - Artikel, Blogbeiträge, Videos oder auch Werbebanner. Das Gerücht, dass manche Internetseite ganze Klick-Armeen in Asien engagiert hat, um die Reichweite künstlich nach oben zu treiben, konnte bislang allerdings nicht bestätigt werden.

E - Enemybook Enemybook ist eine Facebook-Anwendung, durch die Nutzer der Seite dem Netzwerk auch ihre schlimmsten Feinde hinzufügen können, inklusive Begründung ("Georg hat mein Haustier umgebracht", "Franz und ich wurden zufällig Feinde"). Der Dienst steht damit stellvertretend für viele andere Parodien, die sich unter dem Oberbegriff "Antisoziale Netzwerke" zusammenfassen lassen: Auf Lonerbook finden sich Einzelgänger wie wie J. D. Salinger oder Axl Rose, über Snubster können Facebook-Freunde auf Listen wie "ist für mich gestorben" gesetzt werden.

F - Flamewars Ähnlich wie Bierzelt-Schlägereien beim Oktoberfest haben verbale Handgemenge im Web Tradition. Schon im Usenet, den Diskussionsforen der Neunziger, gingen die anonymen Teilnehmer teilweise heftig aufeinander los, ohne über die Sache zu diskutieren. Inzwischen gelten solche "Flamewars" als Albtraum jedes Foren-Moderators, werden von Web-Veteranen aber gerne mit einem nostalgischen "1995, da wurde noch richtig geflamed" quitiert.

Von Geocities bis Meme

G - Geocities Blinkiblinki, dumdumdum. So oder so ähnlich könnte man die Optik von Geocities beschreiben, einem Dienst, der in den neunziger Jahren mit einer kostenlosen Homepage und einem Webbaukasten lockte. Das Prinzip von "Kraut und Rüben" wurde dabei maßstabsgetreu auf das Internet übertragen. Doch weil zum neuen Jahrtausend niemand mehr Lust auf Kraut und Rüben hatte, verschwand der Dienst in der Versenkung und wurde schließlich 2009 eingestellt. Wer nun nostalgisch wird, dem kann geholfen werden: Der Geocitiesizer zeigt aktuelle Webseiten im Geocities-Look an.

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(Foto: Grafik: S.Kaiser)

H - Homepage-Editor Lange vor Dreamweaver oder anderen Webdesign-Programmen boten Provider wie T-Online ihren Kunden eigene Homepage-Editoren an. Diese hatten weniger Funktionen als ein heutiges Textverarbeitungs-Programm - und entsprechend ähnelte manche Webseite damals frappierend einem Word-Dokument.

I - Intranet Schon der Name verheißt nichts Gutes: Intranet statt Internet, das zeugt von Abgeschlossenheit, Mauern, Geheimnissen. Tatsächlich sollten wir froh sein, dass die internen Webseiten von Unternehmen und Organisationen der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind: Würde das Intranet zum Internet, die virtuelle Welt würde aus Kantinenplänen und veralteten Telefonlisten bestehen.

J - Java // Outputs "Hello, world!" and then exits public class HelloWorld { public static void main(String[] args) { System.out.println("Hello, world!"); } }

K - Kostenlos Im Web nach Aussage einiger Verleger (leider, leider) allgegenwärtig: Kostenlos-Kultur alias Gratis-Wahn alias Digitaler Maoismus.

L - Liebe im Internet Ob Chat, Facebook oder Single-Portal: Die Chancen, Mann oder Frau des Lebens im Web zu begegnen, sind heute größer als je zuvor (was kein Wunder ist, in den Achtzigern gab es das Web ja noch nicht). Vor allem spart es Zeit: Einer Statistik zufolge kennen sich Paare, die sich im echten Leben getroffen haben, zum Zeitpunkt der Hochzeit durchschnittlich 42 Monate. Bei Paaren, die sich im Internet kennengelernt, dauert diese Phase nur 18,5 Monate.

M - Meme Sollten Zeitreisende aus der Vergangenheit einmal im Jahr 2010 landen und sich wundern, was das Web ist, sollten sie sofort die Meme-Database ansteuern. http://knowyourmeme.com/ - in dieser Datenbank sind Menschen, Videos und Fotos aufgelistet, die durch das Web zum Phänomen wurden. Was wäre die Welt ohne den Schulterkeks, den coolen Hund oder die Untertitel-Parodien zum Film Der Untergang? Vielleicht sollten wir diese Frage besser nicht beantworten und hoffen, dass Zeitreisende aus der Vergangenheit uns niemals besuchen werden.

Von Netzwerken bis Sex

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(Foto: Grafik: S.Kaiser)

N - Netzwerken Im Verein, um neue Freunde oder einen neuen Job zu finden? Völlig uncool, um nicht zu sagen old school. Im Web wird genetzwerkt, was die Bandbreite hergibt, bei Xing, Facebook oder den schon etwas angezählten Communitys Myspace oder StudiVZ. Und das Netzwerken ist nicht nur was für Menschen jenseits der Datumsgrenze. Zwei von drei über 65-Jährigen konnten im Netz Freundschaften auffrischen und jeder vierte Senior hat im Netz eine neue Liebe gefunden. Hach.

O - Offline Der Albtraum jedes Internetanschlussinhabers. Ist Offline nicht die Folge eines serverseitigen Systemabsturzes infolge eines Hackerangriffs aus Nordkorea, nennt der User diesen Zustand religiös verklärt "Digitales Fasten". Ist er zudem noch Journalist, schreibt er darüber Bücher wie Ohne Netz: Mein halbes Jahr offline oder Ich bin dann mal offline. Und Bücher sind nun mal richtig offline.

P - Photoshop-Kultur "Was ist Wahrheit?" fragte seinerzeit Pontius Pilatus Jesus kurz vor seiner Kreuzigung. 2000 Jahre später ist die Frage noch immer nicht beantwortet, angesichts vieler Pixelfälschungen im Web. Da steht ein Tourist auf der Aussichtsplattform des World Trade Centers, während von hinten ein Flugzeug ins Bild kommt. Es muss aber nicht immer um Leben und Tod gehen, wie Angela Merkels retuschierter Schweißfleck oder das Handgelenk ohne Rolex von Ex-Siemens-Chef Klaus Kleinfeld beweisen. Photoshop macht's möglich, das Web verbreitet - und das ist die Wahrheit, enttarnt die Fälschungen auch gleich wieder.

Q - Quelle Die Quelle oder auch "Meine Quelle" war ein großes deutsches Versandhaus. Es hat den Aufstieg des Online-Shoppens noch erleben dürfen. Doch als es im Jahr 2009 auf eine Bestellung auf der Website immer noch eine Postkarte als Eingangsbestätigung verschickte, war klar, dass es bald vorbei sein werde - online und offline.

R - Rick Astley Das Phänomen des "Rickrolling" gehört zum Standard-Repertoire jedes Web-Scherzbolds. Dabei werden ahnungslose Internetnutzer unter einem Vorwand (peinliche Bilder über jemanden im Netz gefunden, Video von Osama bin Ladens Rede vor der UN-Vollversammlung) auf ein YouTube-Video des Schmusesängers Rick Astley (Never gonna give you up) geleitet. Der Trick ist so beliebt, dass inzwischen sogar das Erklärvideo auf YouTube Millionen von Aufrufen zählt.

S - Sex Angeblich das meistgesuchte Wort im Web, allerdings nur bis ins Jahr 2008, wie ein Webanalyseunternehmen herausgefunden haben will. Schuld ist die Jugend, die weder Facebook noch Youtube in die Adresszeile des Browsers eingeben kann und deshalb diese Begriffe googelt - und so zu den Top-Suchbegriffen gemacht hat. Von wegen Generation Porno, eher Generation Legasthenie.

Von Troll bis Zeitmaschine

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(Foto: Grafik: S.Kaiser)

T - Troll Dicke Nase, Knopfaugen, struppige Haare, süß ist er ja, der Troll, der bevorzugt durch die schwedische Mythologie geistert. Geistert er allerdings durchs Web und bleibt in Foren hängen, kommen seine dunklen Seiten zum Vorschein: sinnlose Fragen, langatmige Beiträge. Und da nützt das beste Aussehen auch nichts mehr.

U - U2 8ung, dieser txt ist 3st, lidumi trotzdem? Na dann, gute N8 - eine Katastrophe, die Sprache im Web-Zeitalter.

V - Verschwörungen Das Web ist kein Hort für Verschwörungstheoretiker, hier finden diese nur schneller als im echten Leben Gleichgesinnte. Michael Jackson und Prinzessin Diana leben noch oder wurden von der CIA aus dem Weg geräumt, die Mondlandung fand in Wirklichkeit in einem Fernsehstudio statt. Und weil in den Weiten des Webs alles möglich ist, gibt es sogar zahlreiche Fotos und Videos, die solche Theorien stützen (siehe P wie Photoshop-Kultur). Wussten Sie zum Beispiel, dass Bert von der Sesamstraße in das Kennedy-Attentat verwickelt war?

W - Wiki Wiki Waka-Waka: der Sommerhit des Jahres von Shakira, super Lied, super Stimmung in Südafrika, super Ergebnisse von Jogis Jungs. Ooops, jetzt hat der Autor den Vokal verwechselt. Macht nichts, zu Wikipedia und Wikileaks kann man eben nun mal nicht tanzen.

X X -)

Y - Youtube-Panne Wer früher am Dienstagabend Max Schautzer an den Lippen hing und sich auf die Filmchen von Pleiten, Pech und Pannen freute, muss sich nicht mehr über die Absetzung der Sendung 2003 grämen. Denn schon zwei Jahre später ging Youtube auf Sendung und zeigt 24/7 schnöde Schadenfreude. Nur gibt's dafür keinen goldenen Raben mehr.

Z - Zeitreisen Erschöpft von all den frischen Fakten rund um das WWW? Dann nichts wie ab in die Zeitkapsel. Systemimmanent können wir Ihnen bislang aber nur folgendes Zeitreiseangebot machen: The Wayback Machine zeigt die Internetseiten, wie sie in den Frühzeiten des Webs aussahen.

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