Jagd auf Plagiate im Internet:Wir sind der Gegendruck

Ihr Jagdfieber richtet sich nicht gegen Guttenberg, sondern gegen seinen akademischen Grad. Die Gründer der Plattform "GuttenPlag Wiki" kämpfen für das Ansehen wissenschaftlicher Arbeiten. Die Dimension der Täuschung ist dort für jeden nachvollziehbar.

Martin Kotynek

Die Jagdgesellschaft ruht nicht, ihre Beute treibt sie bei Tag und Nacht vor sich her. Aus der Ferne, wie aus dem Nichts feuert die unsichtbare Meute immer neue Pfeile auf den längst Waidwunden - und trägt ihre Treffer fein säuberlich in Listen ein. Das Internet jagt den Verteidigungsminister, und es ist erbarmungslos dabei. Seit zwei Studenten am vergangenen Mittwoch die Online-Plattform "GuttenPlag Wiki" gegründet haben, haben Internet-Nutzer dort Hunderte Hinweise auf Plagiate in der Doktorarbeit von Karl-Theodor zu Guttenberg zusammengetragen. 85 von 400 Textseiten sind mittlerweile betroffen; zwar sind noch nicht alle Hinweise verifiziert, doch die Dimension der Täuschung wird offensichtlich: Links tippt die freiwillige Schar die Version Guttenberg ab, rechts steht das Original - das akademische Unrecht ist für jeden nachvollziehbar.

"Ja, es gibt ein Jagdfieber in mir", gibt einer der beiden Gründer der Plattform zu. "Aber es richtet sich nicht gegen die Person Guttenberg. Mein Jagdtrieb richtet sich gegen seinen Titel." Den will er dem Minister abjagen. "Er hat ihn unrechtmäßig erworben. Er muss ihn zurückgeben."

Aus der Deckung wagen will sich der Jäger dabei nicht. Der Student weiß, dass es in der akademischen Welt nicht gut ankommt, auf wissenschaftliches Fehlverhalten hinzuweisen. Aus Selbstschutz will er seinen Namen nicht in der Zeitung lesen - und nennt sich bloß "PlagDoc". Was es bedeutet, eine Dissertation mit redlichen Mitteln zu schreiben, weiß PlagDoc aus eigener Erfahrung: "Bis spätnachts sitze ich an meiner Doktorarbeit, seit Monaten bestimmt sie mein Leben - und dann umgeht jemand anderer diesen Aufwand, bloß wegen des Titels." Das hat ihn gestört. Weil es ungerecht ist. Und weil es "dem Doktortitel die Würde nimmt", wie er sagt.

Noch an dem Abend, an dem die Süddeutsche Zeitung mit dem Bericht über die Plagiatsfälle in der Doktorarbeit des Verteidigungsministers erscheint, machen sich viele Internet-Nutzer ans Werk. Sie wollen selbst herausfinden, ob etwas an der Sache dran ist und besorgen sich die ersten 16 Seiten der Dissertation im Netz. Schon bald tauchen die Hinweise auf Plagiate in diversen Blogs auf. PlagDoc beschloss, diese Stellen in einem Dokument zu sammeln, in das jeder etwas eintragen kann. Wegen des großen Andrangs übersiedelten die Daten bald auf einen schnelleren Rechner - das Projekt 'GuttenPlag Wiki' war geboren.

Seitdem hat der Doktorand wenig geschlafen, sich vorwiegend von asiatischen Speisen aus dem Karton und Pommes ernährt, viel Kaffee getrunken; seine Frau sieht ihn derzeit kaum, seine Arbeit an der Universität bleibt liegen. Sein Professor hat auch gleich selbst nach Plagiaten gesucht - und prompt welche gefunden. Seitdem darf PlagDoc tagsüber Überstunden abbauen, um "GuttenPlag Wiki" zu betreiben. Die erste Nacht hat er durchgearbeitet, derzeit wechselt er sich mit einem Kollegen ab, der an einer Konferenz in den USA teilnimmt und zeitweise vom Flughafen aus arbeitet. Wegen der Zeitverschiebung ist die Plattform somit rund um die Uhr betreut.

Die Betreuung ist mittlerweile auch die Hauptaufgabe von PlagDoc und seinem Kollegen. Vier Millionen Mal wurde die Webseite in fünf Tagen aufgerufen, ständig melden sich Internet-Nutzer mit neuen Funden. Sie müssen eingetragen, kategorisiert und verifiziert werden. Da wären sie zu zweit chancenlos. Deshalb verlassen sich die Gründer der Plattform auf ihre Nutzer.

Verstecktes Aufdecken

Stets arbeiten etwa 100 Menschen an der Seite, zwanzig von ihnen bilden einen harten Kern. Sie kennen einander nicht, und wenn ihre Mission erfüllt ist, werden sie womöglich nichts mehr miteinander zu tun haben. Es ist eine Zweckgemeinschaft, eine Community auf Zeit, in der sich jeder auf den anderen verlassen kann. Wenn PlagDoc ein paar Stunden geschlafen hat, findet er neue Einträge auf den Plagiateseiten, neue Tipps und Hilfetexte für andere Nutzer vor. Das Pflichtgefühl, ihr gemeinsames Projekt rasch zu Ende zu bringen, hält die Gemeinschaft zusammen.

Guttenberg besucht Valentinstreffen

Auf der Internetseite "GuttenPlag Wiki" haben Nutzer Hunderte Hinweise auf Plagiate in der Doktorarbeit von Karl-Theodor zu Guttenberg zusammengetragen.

(Foto: dapd)

Studenten, Doktoranden, Promovierte, Naturwissenschaftler, Informatiker, Philosophen und einige Experten aus dem Umfeld des Online-Lexikons Wikipedia tummeln sich im Chatraum der Plattform. Dort tauschen sie sich darüber aus, nach welchen Kriterien etwa eine gefundene Stelle bewertet werden soll- als "Komplettplagiat", als "verschleiertes Plagiat", bei dem einige Worte geändert wurden, "Bauernopfer", bei dem zumindest eine Fußnote angegeben ist, oder als "verschärftes Bauernopfer".

Die Diskussionen zwischen Benutzern mit Namen wie "Argus", "Deus" und "Vegadark" sind hart in der Sache, aber niemals politisch. Stundenlang arbeiten sie konzentriert. Kalt und analytisch, wie bei einer wissenschaftlichen Studie, scheinen sie vorzugehen: Man steht vor einem Phänomen, das möglichst vollständig beschrieben werden soll. Wer sich bei einer Aufgabe bewährt hat, wird mit einer neuen bedacht. Wer agitiert, fliegt raus. PlagDoc nennt solche Nutzer "Kasperl". Es gibt nur wenige Kasperl auf "GuttenPlag Wiki".

"Die Nutzer sammeln die Plagiatsstellen nicht aus Bosheit - sondern weil sie bei diesem Thema ganz starke Gefühle haben", sagt PlagDoc. Sie wollen bei der Aufklärung des Falles helfen, ihre Sammlung soll an die Universität Bayreuth gehen. PlagDoc fürchtet, dass die Kommission, die Guttenbergs Dissertation prüft, von der Politik unter Druck gesetzt wird. "Wir wollen einen Gegendruck aufbauen", sagt er. "Und wir wollen der Öffentlichkeit zeigen, dass das, was Herr zu Guttenberg gemacht hat, etwas anderes ist, als in der Schule beim Banknachbarn abzuschreiben."

Nachdem die Plattform an diesem Montag ihren Zwischenbericht veröffentlicht hat, ist ein Großteil der Arbeit erledigt. PlagDoc hat es Spaß gemacht. "Es ist die Herausforderung, etwas Verstecktes zu finden, etwas aufzudecken, das jemand anderer verborgen hat." Die Motivation kommt durch den schnellen Erfolg, wie beim Rätselraten. "Eigentlich ist es wie ein Spiel", sagt PlagDoc - ein Spiel, das ganz real ist. Ein Spiel, das am Ende einen Bundesminister sein Amt kosten kann.

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