DLD-Konferenz:Europa kämpft gegen die digitale Übermacht aus Übersee

DLD Konferenz München

Jedes Jahr treffen sich auf der DLD-Konferenz in München Gründer, Investoren und Wissenschaftler.

(Foto: dpa)

Die DLD-Konferenz in München zeigt: Die digitale Debatte tobt heftiger denn je. Wo früher intellektuell diskutiert wurde, geht es jetzt um knallharte Wirtschaftspolitik.

Von Andrian Kreye

Einmal im Jahr spielt München die Rolle, die es das ganze Jahr über spielen könnte. Für 48 Stunden wird es zu einer Zukunftsmetropole wie etwa San Francisco, Tel Aviv oder Seoul. Man stellt sie sich aus der Ferne ja gerne wie glimmende Hyperorganismen vor aus Glasfaserkabeln, Serverfarmen und Leuchtdioden, um welche die Klügsten und Besten herumschwirren, wie einst um die Bibliotheken und Laboratorien von Cambridge, Oxford und Heidelberg.

Bis heute ist der DLD - jene Konferenz mit dem sperrigen "Digital Life Design"-Motto, die der Verleger Hubert Burda und die Netzwerkerin Steffi Czerny gründeten - das einzige Großereignis, das den Wissenschafts- und Technikstandort München auch nach außen repräsentiert. Dabei gilt München mit seinen Digitalkonzernen, Wissenschaftsparks und Start-ups bei Leuten, die sich auskennen, längst als eine der interessantesten (und, ja, auch klügsten und besten) Städte dieser Zukunftswelt.

Die DLD ist ein guter Seismograf für den Stand der digitalen Debatte

Seit 12 Jahren macht hier kurz vor dem Wirtschaftsgipfel in Davos regelmäßig ein globaler Zirkus-Tross halt, der vor allem aus jenen Wissenschaftlern, Technologen und Investoren besteht, die für sich in Anspruch nehmen, die Welt zu verändern. Viele tun und taten das auch.

Trotzdem gehört viel Selbstbehauptung und -darstellung dazu. Mehr denn je. Immerhin präsentiert sich eine Welt, die an ihrem Geburtsort Kalifornien einerseits mit dem altruistischen Wertekanon der Hippiegeneration aufgewachsen ist, andererseits eine Monopolindustrie aufgebaut hat, die mit rabiaten Methoden ganze Industrien aufreibt und sich längst nicht mehr damit zufrieden gibt, Länder und Kontinente zu erobern. Es muss immer gleich auf den ganzen Planeten und die Menschheit "skaliert" werden, wie man Expansion im Digitalen nennt.

Nun sind Schlüsselsätze der digitalen Kultur wie "making the world a better place" (die Welt verbessern) und "the power of ideas" (die Kraft der Ideen) längst zu Floskeln verkümmert, mit denen sich in Amerika Fernsehserien wie "Silicon Valley" über den schleichenden Größenwahn in ebenjener Metropolenregion südlich von San Francisco lustig machen. Gerade deswegen ist die DLD-Konferenz immer ein guter Seismograf für den aktuellen Stand der digitalen Debatte. Und da hat sich der Ton aufgeraut und verhärtet und hat nur noch wenig mit den intellektuellen Diskursen zu tun, die man noch vor vier, fünf Jahren führte.

Als sich beispielsweise der FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher und der Computer-Visionär der Yale University, David Gelernter, über die Macht der Maschinen und über die Ideengeschichte unterhielten. Als der genialische Physiker Freeman Dyson die digitale Revolution der Gegenwart zur schlichten Implementierung einer wissenschaftlichen Vergangenheit erklärte. Als sich der Mitbegründer der Wikileaks-Revolution Daniel Domscheit-Berg Gedanken über die Zukunft der Transparenz machte.

Jetzt werden vor allem wirtschaftliche und politische Diskurse geführt

Es ist nun keineswegs so, als seien der digitalen und wissenschaftlichen Welt die Visionen abhanden gekommen. Auch auf dem DLD treten immer noch Leute auf wie Kevin Slavin vom MIT Media Lab, der mit seiner Methode der "Metagenomics" eine übergreifende Genanalyse entwickelt, mit der man das Erbgut eines ganzen Biotops und nicht nur eines Einzelorganismus auslesen kann. Oder der Digitalweltforscher Don Tapscott, der erklären kann, wie das Verfahren der digitalen Blockkette schon bald den Alltag vieler Menschen verändern wird.

Nur sind die Realitäten in den letzten Jahren auch für die digitale Welt sehr viel dramatischer geworden. Deswegen sind es jetzt vor allem wirtschaftliche und politische Diskurse, die dort geführt werden.

Kommissarin Vestager hält eine Brandrede gegen US-Konzerne

Große Konflikte zeichneten sich bereits in den ersten Stunden ab. Das größte Gewicht lag sicher auf dem ewigen Streit zwischen Amerika und Europa. Hier das Land der wirtschaftlichen Entfesselung, die in der digitalen Welt auch als große Freiheit gilt. Dort der Kontinent der Regeln und Kontrollen, die ja letztlich die Freiheit der Nutzer, also der Bürger schützen soll.

Die EU-Kommissarin für Wettbewerb, Margrethe Vestager, bekam als Erste die große Bühne und hielt eine Brandrede gegen die Übermacht der amerikanischen Konzerne. Da passte die Ankündigung, DLD werde in Zukunft auch eine Konferenz in Brüssel veranstalten. Dann sprachen Unternehmer und Investoren über die vielen Versäumnisse Europas, die verhindern, dass der alte Kontinent im digitalen Aufbruch mit Amerika mithalten kann. Doch was oft als Kampf um die Freiheit stilisiert und oft mit Gerichtsurteilen auf allen Ebenen flankiert wird, ist ein Abwehrgefecht gegen die Übermacht aus Übersee.

Gegenüber der digitalen Revolution wird die Debatte um den Irak bald verblassen

Da ist nicht nur die Verteidigungslinie alter gegen neue Medien. Die zeichnete sich tags darauf im Gespräch zwischen ZDF-Sprecher Claus Kleber und Netflix-Gründer Reed Hastings ab. Das war nicht neu. Wenn man dem allgegenwärtigen Wirtschaftsweisen aus Washington, Jeremy Rifkin, zuhörte, bahnt sich mit der digitalen eine noch viel größere Revolution in der Wirtschaftswelt an, die nach den Kommunikationstechnologien auch Energie, Transport und Logistik umstülpen wird.

Gegen den transatlantischen Konflikt, der sich da abzeichnet, wird die Debatte um den Irakkrieg aus dem vergangenen Jahrzehnt schon bald verblassen. Auch im Silicon Valley stehen hinter den Weltverbesserungsparolen längst nur noch Pläne zum Gewinn von Vormachtstellungen, Marktanteilen. Es geht um die Geschwindigkeit, mit der man der Zukunft den Weg ebnen und dann am besten gleich Wegezoll verlangen kann. Kein Wunder also, dass die Debatten der sogenannten Digerati und die Ideen der Visionäre leise geworden sind. Dass die Aktivisten, die fordern, die Welt der Daten müsse für die Allgemeinheit zurückerobert werden, sich oft sehr alleine fühlen.

Wenn die abendländische Philosophie implodiert, interessiert das kaum jemanden

Sicher, es gab auch den Versuch, mit der Philosophie eine bewährte Stärke der alten Welt zu mobilisieren. Luciano Floridi, Professor für Ethik und Philosophie in Oxford, trat auf. Doch seine Welterklärung wirkte wie einer dieser "Pitches", eine Verkaufspräsentation in der Hoffnung, ein neues Schlagwort zu etablieren. Von der "Infosphere" sprach er, von der Infosphäre, einer Umwelt, in der Daten nicht nur in Computern, sondern in allen Maschinen den Alltag bestimmen. Von solchen Begriffsmarken träumen viele Wissenschaftler und Schriftsteller, seit die Romanautoren William Gibson den Cyberspace und Douglas Coupland die Generation X einführten.

Zwei prominente Geister sollten Floridi nach dem Vortrag in der Debatte beistehen - der Philosoph Peter Sloterdijk und der Medientheoretiker Peter Weibel. Doch es scheint eine Firewall zwischen digitaler und Geisteswelt zu geben. Sloterdijks dreibändige Sphärentheorie ist zu komplex für ein Podium. Es war nicht schön, mit anzusehen, wie die Philosophie in semantischen Winkelzügen implodierte, die am frühen Abend aber auch kaum jemanden noch interessierte.

Wenn sich die digitale Debatte so deutlich ins Wirtschaftspolitische verlagert, wird es umso wichtiger, den Diskurs über Freiheiten und Hoheiten nicht nur in der Theorie zu führen. Es ist an den Nutzern, ihre Vertreter in die Pflicht zu nehmen, um auf regionaler Ebene zu erkämpfen, was in den ursprünglichen Visionen vom Netz global gelten sollte. Was nun verteilt wird, ist zu groß, um es nur Wenigen zu überlassen. Eine ironische Fußnote ist, dass die Weltbank am Vorabend des DLD eine Studie veröffentlichte, die nachweist, wie das Internet wirtschaftliche und politische Unterschiede nur verstärkt.

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