IT-Branche:Apple unter Tim Cook: nicht so cool, aber erfolgreich

Tim Cook speaks during Apple's annual developer conference in San Jose

Tim Cook auf der Bühne von Apples Entwicklerkonferenz in San José.

(Foto: REUTERS)

Alle erwarten Revolutionäres von dem Konzern, wenn er neue Produkte vorstellt wie einst beim iPhone. Doch diese Zeit ist vorbei - und Apple kann damit gut leben.

Kommentar von Helmut Martin-Jung

Man stelle sich einmal Apple-Produktpräsentationen ohne deren ritualisierten, zeremoniellen Ablauf vor. Ohne die vielen "super excited" und "super cool". Ohne die mit Absicht hinausgezögerte Vorstellung des nach Meinung von Apple wichtigsten Produktes. Und ohne die gläubigen Fans, die natürlich in Jubel ausbrechen, wenn einer der Jeansträger auf der Bühne dazu auffordert: "Isn't that cool?"

Was bliebe da übrig?

Nun, es bliebe ein sehr erfolgreicher Konzern übrig, dem man seit Jahren vorwirft, nicht mehr kreativ zu sein, der aber trotzdem Milliarden um Milliarden verdient und dessen Aktienkurs in der Tendenz steigt und steigt. Was, bitte, soll daran falsch sein? Apple kann und muss nicht eine technische Revolution nach der anderen lostreten, so wie es der Firma vor zehn Jahren mit dem iPhone geglückt ist und in ähnlicher, nicht ganz so weltverändernder Form mit dem Musikspieler iPod. Was Apple seither gemacht hat, ist der konsequente Ausbau eines überaus erfolgreichen Geschäftsprinzips. Nicht ganz so cool, aber überaus einträglich.

Alle erwarten Revolutionäres. Doch das kann und muss Apple gar nicht

Statt großer Innovationen setzt Apple auf den Ausbau seines eigenen Produkt-Universums. Als Apple am Pfingstmontag in San José seine traditionelle Entwicklerkonferenz WWDC eröffnete, präsentierte der Konzern nach mehr als zwei Stunden zum Teil quälend langer Vorträge und Technik-Demonstrationen schließlich das, was Amazon und Google schon lange auf dem Markt haben: einen mit dem Internet verbundenen Lautsprecher, der sich per Sprachbefehl steuern lässt und der auch Antworten gibt. Wie Amazons "Echo" oder Googles "Home" vermag der "HomePod" auf vernetzte Geräte in schlauen Häusern zuzugreifen, er kann also die Jalousien runterlassen, die Heizung höher drehen oder das Licht regeln.

Nichts davon ist neu, nur der Preis: 349 Dollar, ist für den ziemlich kleinen Lautsprecher recht hoch angesetzt. Ob der HomePod tatsächlich das Musikhören neu erfindet, wie die Werbung glauben macht, ist egal. Er wird sich gut verkaufen, denn vernetzte Lautsprecher liegen im Trend, Apple kann sie zudem gut mit seiner digitalen Musikdatenbank verknüpfen. Und gewinnt damit womöglich auch noch Kunden, die beim Datenschutz dem Konzern mehr vertrauen als Amazon oder Google. Schließlich schneiden schlaue Lautsprecher, sobald sie per Codewort aufgeweckt wurden, ja alles mit, was ihre hochsensiblen Mikrofone erfassen.

Bringt Apple der erweiterten Realität die kritische Masse an Nutzern?

Die meisten anderen Neuerungen, die Apple präsentierte, etwa die neuen iPads, waren nicht weltbewegend. Auch wenn die Ingenieure dafür oft große technische Hürden zu meistern hatten - für die Nutzer ist der Effekt in den meisten Fällen weniger spürbar und weniger bedeutend, als es die gut geölte Apple-Werbemaschine glauben machen will.

Zwei Ausnahmen stechen heraus, die am Montag ein wenig untergingen. Da ist zum einen die Möglichkeit, auch Mac-Computer mithilfe eines externen Grafik-Moduls virtuelle Welten berechnen zu lassen. Zum anderen birgt es viel Potenzial, wenn Apples Mobilgeräte durch die im Herbst verfügbare neue Version der Betriebssoftware zu Fenstern in eine erweiterte Realität werden. Einfach deshalb, weil Apple damit mit einem Schlag die größte Masse an möglichen Nutzern schafft - vielleicht eine kritische Masse, die der vielversprechenden Technik zum Durchbruch verhilft.

Ansonsten aber walzten die führenden Mitarbeiter des Konzerns viele Nebensächlichkeiten aus, etwa die neu gestaltete Oberfläche des App Store, Apples digitalem Laden für Handy- und Tablet-Programme, oder die auch eher behutsamen Änderungen bei der Software für Apples Computer-Uhr. Da wird sogar ein neues Ziffernblatt mit Disney-Figuren aus "Toy Story" zum Weltereignis hochgejubelt. Ist der am höchsten bewertete Konzern der Welt durch seine schiere Größe und Marktmacht also träge geworden? Die Annahme liegt nahe, ist aber falsch.

Die wahre Leistung von Apple unter Tim Cook ist nicht das neue revolutionäre Produkt, auf das alle warten. Revolutionen lassen sich auch von Apple nicht erzwingen, allenfalls kann man die Gelegenheit dazu ergreifen. Cooks große Leistung ist der Ausbau von Apples Produktwelt zu einem Kosmos. Alles spielt darin mit allem zusammen. Alles ist teuer, aber meist gut und auch wertig designt.

Apple mag den Geist des Weltbewegenden, Revolutionären gerne beschwören, aber tatsächlich ist die Zeit der großen technischen Innovationen bei dem Unternehmen schon länger vorbei. Stattdessen hat der Konzern sich sehr gut eingerichtet in der Welt, wie sie ist.

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