Islamismus:Die Macht der Terror-Tweets

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Über Youtube, WhatsApp und soziale Netzwerke verbreiten Terroristen ihre Propaganda. Das Bild stammt aus einem Video, des Islamischen Staates, das sich im Juni im Netz fand. (Foto: AFP)
  • Terroristen benutzen das Internet für ihre Propaganda - die Inhalte werden oft nicht gelöscht.
  • Facebook hat nach Informationen des Bundesamts für Verfassungsschutz an Bedeutung verloren, Messenger-Dienste wie Whatsapp hingegen zugenommen.
  • Über Whatsapp-Gruppen werden "aktuelle Kriegsbilder aus Syrien" verteilt. Die Bilder scheinen zur Radikalisierung beizutragen.
  • In Deutschland soll versucht werden, mit der Organisation jugendschutz.net salafistische Propaganda zu kontern.

Von Hans Leyendecker und Georg Mascolo, München

Es war ein schrecklicher Film über ein abscheuliches Ereignis. Kurz nach den Pariser Anschlägen tauchte bei Youtube ein 42 Sekunden langes Handyvideo auf, das zum Sinnbild für die Brutalität des islamistischen Terrors geworden ist. In einer kurzen Sequenz ist zu sehen, wie einer der maskierten Mörder den wehrlosen Polizeibeamten Ahmet Merabet hinrichtet. Der liegt auf dem Gehsteig, hebt hilflos die Hand, als bitte er um Gnade, und dann exekutiert ihn einer der Attentäter mit einem Kopfschuss.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière war, wie Millionen Menschen, über die enthemmte Brutalität der Mörder entsetzt, aber auch darüber, dass solche Szenen im Netz kursieren. Das sagte er auch öffentlich. Eine Stunde danach meldete sich ein Youtube-Verantwortlicher im Berliner Innenministerium. Man habe das Video gesperrt, sagte er. Es sei "begrüßenswert, wie schnell Youtube nach den Anschlägen in Paris reagiert hat", sagt der Bundesinnenminister. Beispielhaft. In diesem Fall zumindest.

Aber es gibt viele Filme im Netz, die ebenfalls nur schwer erträglich sind und die nicht verschwinden. "Vieles kann man bei Youtube sehen und nicht alles", was dort eingestellt sei, "sollte dort bleiben", sagte de Maizière vor Wochen.

Das Internet und die Terroristen, der Lockruf der Dschihadisten und die Radikalisierung junger Leute in Deutschland, in Belgien oder Frankreich - das sind Themen, die de Maizière und seinen Amtskollegen in Europa Sorge machen.

Whatsapp wird wichtiger für Terroristen

Terroristen nutzen das Web, um den Dschihad in die Welt zu tragen. Inzwischen seltener bei Facebook, sondern mehr durch Twitter und WhatsApp. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) stellte neulich fest, dass Facebook für die Dschihadisten an Bedeutung verloren hätten. Zugenommen hätten hingegen die so genannten Messenger-Dienste, auf denen die Akteure direkt miteinander kommunizierten. Um auf dem Laufenden zu sein, hat das BfV eine "erweiterte Fachunterstützungsgruppe Internet", EFI genannt, gegründet.

Geheimdienste neigen bisweilen dazu, die angeblich drohende Gefahr in düstersten Farben zu malen, und britische Geheimdienstler sind schon aus Tradition Meister der Apokalypse. Aber was der neue Chef des britischen Geheimdienstes GCHQ, Robert Hannigan, im Herbst vergangenen Jahres in einem Gastbeitrag in der Financial Times schrieb, stieß auch bei nicht zum Alarmismus neigenden Kollegen auf Zustimmung. Soziale Netzwerke, schrieb er da, seien mittlerweile "das bevorzugte Kommando- und Kontrollzentrum von Terroristen". Der Islamische Staat, so Hannigan, sei "die erste Terrorgruppe, deren Mitglieder im Internet aufgewachsen sind".

Was da passiert, lässt sich am Beispiel des Kurznachrichten-Dienstes WhatsApp erklären. Wenn Privatleute in ferne Länder fliegen, bilden sie schon mal eine WhatsApp-Gruppe, damit die Daheimgebliebenen zeitnah Anteil an den Erlebnissen haben können. So ähnlich machen es Dschihadisten auch. Das BfV hat zahlreiche WhatsApp-Gruppen mit zahlreichen Teilnehmern im Blick. "In letzter Zeit" würden "verstärkt" über WhatsApp-Gruppen "aktuelle Kriegsbilder aus Syrien" gebracht, sagt NRW-Verfassungsschutzchef Burkhard Freier: "Diese Bilder scheinen zur Radikalisierung junger Leute beizutragen".

Der Islamische Staat hat eine "professionelle Medienarbeit"

Der Bundesnachrichtendienst (BND) kam in einer Analyse für die Bundesregierung zu dem Schluss, eine "wesentliche Ursache für den Rekrutierungserfolg des IS sei dessen "professionelle Medienarbeit". Die Nutzung sozialer Netzwerke ermögliche dem IS eine "gezielte Ansprache von potenziellen Unterstützern".

Über Twitter wird mal ganz offen, mal verklausuliert, zu Anschlägen aufgefordert. In der vergangenen Woche kursierte im Netz die Aufforderung eines "Abu Yusuf al-Dhahabi" , den inzwischen zurückgetretenen Pegida-Organisator Lutz Bachmann zu attackieren. Der Tweet wurde weit mehr als einhundert Mal retweetet, also weiter verbreitet.

Zusammen mit dem eher vagen Hinweis eines ausländischen Nachrichtendienstes führte das alles zum Verbot aller Demonstrationen am vorigen Montag in Dresden. Über diese Entscheidung kann man streiten, inoffiziell kritisieren fast alle hochrangigen Sicherheitsfachleute den Kurs der Sachsen; aber die Reaktion zeigt auch die Macht der kleinen Tweets.

Im Netz tobt längst ein Krieg. Auf allen Kanälen der sozialen Medien will etwa die amerikanische Regierung die Propaganda der Dschihadisten durch eine Art Gegenpropaganda entzaubern. Sehr harte Filmchen mit harten Botschaften stellt das US- Außenministerium ins Netz: Leichen, Leichen, Leichen und dazu einfache Botschaften: "Die Reise in den Krieg ist billig, weil Du kein Rückfahrtticket brauchst." Auch die EU denkt darüber nach, Gegengeschichten ins Netz zu stellen. Aber sie sollen schon von anderer Machart sein als die Geschichten der Amerikaner. Weicher. Einfühlsamer.

"Wir müssen dafür sorgen, vergifteter salafistischer Propaganda im Netz objektive und seriöse Informationen über Salafismus entgegenzustellen", sagt Verfassungsschützer Freier. In Deutschland soll versucht werden, mit der Organisation jugendschutz.net und der Bundeszentrale für Politische Bildung den richtigen Weg zu finden. Alle Geheimdienste und Polizeibehörden in Europa haben inzwischen ihren eigenen Draht zu den US-Unternehmen, sie melden dschihadistische Inhalte; häufig werden diese dann direkt gelöscht und gesperrt. Bei der Bekämpfung der Kinderpornografie habe es viel länger gedauert, die US-Giganten zu überzeugen, erklären Fachleute der Bundesregierung.

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Die Anbieter sozialer Netzwerke verweisen darauf, sie täten schon sehr viel. Facebook zum Beispiel beschäftigt ein Team, das fanatisch-islamistische Inhalte aufspürt und löscht. Twitter löscht Konten von Nutzern, die mit dem IS sympathisieren. Aber die tauchen dann oft unter anderem Namen wieder auf.

Nach den Pariser Anschlägen aber scheint dieses freiwillige Vorgehen nicht mehr allen zu reichen, de Maizière traf diese Woche beim Cyber-Gipfel in Lille seinen französischen Amtskollegen Bernard Cazeneuve, der offenbar über eine gesetzliche Regelung nachdenkt, solche Inhalte zu verbieten: "Wir werden in unserem Kampf gegen den Terrorismus keinen Erfolg haben, wenn die Internet-Unternehmen nicht endlich anfangen, Verantwortung zu übernehmen", sagte Cazeneuve.

Paris und London verfolgen eine harte Linie, auch gegenüber Internetkonzernen

Auf die Unterstützung der britischen Regierung bei einem solchen Kurs könnten sich die Franzosen ohnehin verlassen. Geheimdienstchef Hannigan demonstrierte Härte in dem Gastbeitrag für die Financial Times: "Wer gegen die erschütternden Auswüchse menschlichen Verhaltens im Internet vorgeht, kann manchmal den Eindruck bekommen, dass manche Technologieunternehmen ihre eigene Instrumentalisierung leugnen", schrieb er.

De Maizière sagte auf einer Pressekonferenz in Lille, "je weniger die Leute Verantwortung übernehmen, umso mehr wird der Gesetzgeber gezwungen, die Initiative zu übernehmen". Mancher verstand das als Hinweis auf das Einschalten des Gesetzgebers, aber so war das nicht gemeint. De Maizière erinnert sich noch an die Debatten über Internet-Zensur und Einschränkung der Grundrechte, die Ursula von der Leyen mal vor Jahren beim Kampf gegen Kinderpornografie losgetreten hatte.

Eine weltweite gesetzliche Regelung hält er beim Thema Dschihadisten und Internet für nicht durchsetzbar und appelliert lieber an die Verantwortung der Konzernherren: "Die Unternehmen", sagt er, "müssen von sich aus mehr tun, um Botschaften von Dschihadisten und Aufforderungen zu Anschlägen aus dem Netz zu nehmen. Sie sollten sich einen entsprechenden Code of Conduct geben, eine Selbstverpflichtung, dass solche Inhalte aus dem Netz verschwinden".

Die eher weiche Linie stößt in den deutschen Sicherheitsbehörden, wo sich Hunderte Mitarbeiter jeden Tag mit dem Dschihad im Internet beschäftigen, auf Zustimmung, aber auch auf Ablehnung. Manche Terrorbekämpfer würden am liebsten Strafanzeige gegen die Verantwortlichen in den Konzernen stellen - wegen Beihilfe zum Terrorismus.

© SZ vom 24.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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