Süddeutsche Zeitung

25 Jahre WWW:"Wir brauchen Leute, die nicht alles glauben, was ihnen im Internet gesagt wird"

Vor 25 Jahren startete das World Wide Web und revolutionierte unsere Welt. Informatik-Professorin Anja Feldmann spricht über Chancen und Fehlentwicklungen.

Interview von Mirjam Hauck

Es war die Geburtsstunde des World Wide Web: Am 30. April 1993 gab das Kernforschungszentrum Cern den Zugang zu HTML-Dokumenten über Datenleitungen zur öffentlichen Nutzung frei. Von diesem Zeitpunkt an konnte jeder auch außerhalb von Forschungseinrichtungen und Universitäten auf Webseiten zugreifen.

Das Internet existierte zu diesem Zeitpunkt bereits seit mehreren Jahre, doch erst das von Tim Berners-Lee entwickelte WWW war die Killer-Applikation. Über Browser wie Mosaic und später den Netscape Navigator und den Internet Explorer wurde der Zugang zu den Informationen der Welt immer einfacher. Das hat Leben und Arbeiten revolutioniert. Fragen zur Historie des Netzes an Anja Feldmann, 52, eine der führenden deutschen Internetforscherinnen, Leibniz-Preisträgerin und Direktorin des Max-Planck-Instituts für Informatik.

Interview am Morgen

Diese Interview-Reihe widmet sich aktuellen Themen und erscheint von Montag bis Freitag spätestens um 7.30 Uhr auf SZ.de. Alle Interviews hier.

SZ: Wir können uns ein Leben ohne Internet, ohne WWW, also ohne Surfen, Chatten, Online-Shoppen, oder Nachrichtenlesen kaum noch vorstellen. Dennoch tun wir uns schwer, das Netz zu verstehen. Ist es so kompliziert?

Anja Feldmann: Es ist ein komplexes technisches System, das immer größer wird. Und technische Systeme sind nie einfach zu verstehen, außer vielleicht für ein paar Technik-Freaks. Hinzu kommt, dass vieles im Netz nicht optimal ist, wie beispielsweise HTML oder die Browser, die wir haben. Jeder stellt Texte, Bilder, Grafiken anders dar. Keiner kann wirklich alles sehr gut. Aber die Frage ist auch, ob wir Optimalität tatsächlich brauchen. Denn zu den größten Stärken des Netzes zählen gerade seine Vielfalt und seine Robustheit, trotz aller Mängel.

Wie haben Sie denn die Anfänge des WWW erlebt?

Ich habe in dieser Zeit meine Dissertation in theoretischer Informatik geschrieben. Und zwar über Worst-Case-Szenarien, über das Problem, wie viele Anfragen sich in einem Netzwerk zur selben Zeit gerade noch verarbeiten lassen. Wie man die notwendigen Ressourcen bereitstellt, damit die Infrastruktur funktioniert. Das beschäftigt uns ja immer noch. Wir haben uns damals wirklich gefragt, ob das in dem Maße überhaupt funktionieren kann - es kann, wie man heute sieht.

Was ist die größte Errungenschaft des Netzes?

Dass die Menschen viel leichter an Informationen kommen und sich miteinander austauschen können.

Und die größte Fehlentwicklung?

Dass man das jederzeit kann - ständige Erreichbarkeit. Und es ist gefährlich, wenn Leute die Informationen, die sie bekommen, nicht mehr kritisch hinterfragen. Wir brauchen mündige Nutzer, die schon früh in der Schule den kritischen Umgang mit technischen Systemen lernen. Leute, die nicht alles glauben, was ihnen per Computer oder im Internet gesagt wird.

Wie sehen Sie die jüngsten Datensammelskandale um Facebook und Co.?

Generell gilt, dass jeder unerlaubte Eingriff in die Privatsphäre zu verhindern ist und geklärt werden muss, wer für Daten verantwortlich ist und ob man die Daten zusammenführen darf. Aber Forscher sollen die Daten, die vorhanden sind, auch sinnvoll nutzen dürfen. Da muss es einen gesetzlichen Rahmen geben. Ich glaube, dass der Schaden viel größer ist, wenn wir Daten nicht nutzen dürfen, zum Beispiel im Gesundheitswesen.

Gibt es ein Recht auf Internet?

Wie auf Wasser oder Strom? Das Internet ist hierzulande ein kommerzieller Dienst. Deshalb gibt es in Gebieten, in denen es sich für die Anbieter nicht lohnt, dann auch nicht immer schnelles Internet. Die Erwartungen an die Bandbreite ändern sich auch ständig, die Datenmengen werden immer größer. Brauchen wir HD- oder 4K-Fernsehen? Früher reichte eine 56-kBit-Leitung. Die Gesellschaft muss zu einem Konsens kommen, was sie allen zur Verfügung stellen will, beispielsweise auch den Bewohnern einer abgeschiedenen Hallig. Also, ob das die Aufgabe des Staates und damit letztlich von uns allen sein soll.

Hängt die Zukunft an der vieldiskutierten Netzneutralität? Also dem Gebot, dass ein wirklich freies Netz - und damit eine freie Welt - nur möglich ist, wenn alle Daten gleich behandelt werden?

Netzneutralität ist ein politischer Kampfbegriff. Wenn die Infrastruktur funktionieren soll, ist es gar nicht sinnvoll, alle Daten gleich zu behandeln, wie es ihre Fans fordern. Und so wird es ja auch gemacht, um den Zugang zum Netz aufrechtzuerhalten. So ist es wichtig, dass zum Beispiel DDoS-Attacken frühzeitig herausgefiltert werden. Und es gibt Dienste wie Voice over IP, die rein physikalisch mehr Bandbreite brauchen als beispielsweise eine E-Mail.

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