Internetzensur:Zugriff verboten

Nachrichtenseiten werden blockiert, soziale Netzwerke kontrolliert - Reporter ohne Grenzen benennt die "Feinde des Internets". Erstmals ist auch ein großer EU-Staat auf dem Index.

Kim-Björn Becker

Und wieder diese Zahl. "Fehler 404 - Nicht gefunden", zeigt der Internetbrowser der Pekinger Studentin Leilei an. Eigentlich wollte sie die Nachrichten auf dem Internetportal der britischen BBC lesen. Doch die Suche endet bei Fehlermeldung 404. Die Seite ist gesperrt - wieder einmal.

Graphik Internetzensur

Die Graphik zeigt eine Karte zur Internetzensur - die dunkel eingefärbten Länder zählt Reporter ohne Grenzen zu den Feinden des Internets, die helleren stehen unter Beobachtung der Organisation.

Ausländische Nachrichtenportale sind von China aus häufig nicht erreichbar, von den Internetseiten der großen Menschenrechtsorganisationen ganz zu schweigen. Das chinesische Internet gilt als Musterbeispiel für Zensur: Ausländische Seiten werden durch ein aufwendiges Filtersystem blockiert, regierungskritische Internetportale innerhalb Chinas ganz geschlossen. Zugang zu den großen sozialen Netzwerken wie Facebook oder zum Kurznachrichtendienst Twitter haben fast nur Hacker. Die politische Führung in Peking tut viel, damit die rund 500 Millionen chinesischen Internetnutzer im Netz auch ja keine unerwünschten Seiten anklicken.

Dabei ist Internetzensur kein spezifisch chinesisches Phänomen: Etwa 60 Länder weltweit kontrollieren das Netz, sagt die Organisation Reporter ohne Grenzen. In Paris stellt sie am Samstag ihren jüngsten Bericht "Feinde des Internets" vor. Darin werden 26 Länder für ihre Versuche, das Internet zu kontrollieren, scharf kritisiert.

Die schlimmsten unter ihnen, die zehn "Feinde", sind Staaten wie China, Iran, Libyen, Nordkorea und Saudi-Arabien. "Mindestens 119 Blogger und Online-Aktivisten sind derzeit im Gefängnis, weil sie das Internet genutzt haben, um frei ihre Meinung zu äußern", sagte Jean-Francois Julliard, Generalsekretär von Reporter ohne Grenzen.

Weitere 16 Länder, die es mit der Meinungsfreiheit nicht so genau nehmen, hat die Organisation auf eine Beobachtungsliste gesetzt - darunter etwa Russland, die Türkei, Malaysia und Venezuela. Mit Frankreich ist auch erstmals ein ein EU-Mitgliedsland auf dem Index: Dort sorgte im vergangenen Jahr die Einführung von Internetsperren im Zusammenhang mit Kinderpornografie für Proteste der Internet-Gemeinschaft.

Die Intensität, mit der missliebige Inhalte im Netz unterdrückt werden, unterscheidet sich von Land zu Land. Bemerkenswert ist, wie strikt insbesondere kleine Staaten mit ihren Internetnutzern umgehen: Ein voll ausgebautes World Wide Web mit unzähligen Verbindungen ins Ausland gibt es in Burma, Kuba und Nordkorea überhaupt nicht. Stattdessen ist das Internet dort kaum mehr als eine Art Intranet, also ein hermetisch abgeriegeltes Netzwerk. Die wenigen freien Zugänge nach draußen sind den autokratischen Eliten vorbehalten, die Bürger hingegen müssen sich mit staatlichen E-Mail-Diensten oder Propaganda-Portalen zufrieden geben.

Auf der Suche nach Tabu-Begriffen

In Ländern, in denen das Internet grundsätzlich auch die Verbindung ins Ausland erlaubt, greifen vielfach Filter: In Saudi-Arabien sind regimekritische und religiöse Themen tabu, auch Internetseiten zu Menschenrechten sind nicht gern gesehen. Etwa 400.000 Internetseiten sollen blockiert sein. Auch das Regime im Iran lässt seinen Bürgern wenig Raum für freie Meinungsäußerung, dort unterbinden die Revolutionsgarden Internetseiten zu politischen Themen und Menschenrechtsfragen.

Technisch sind die Grundlagen der Zensur überall gleich

In den nordafrikanischen Staaten wurde das Internet bis zum Beginn der zahlreichen Protestbewegungen ebenfalls gezielt gefiltert: Libyen blockiert nach wie vor mehrere ausländische Nachrichtenseiten, in Tunesien beendete mit der Herrschaft Ben Alis eine lange Phase der intensiven Internetzensur. Zuvor waren dort oppositionelle Internetseiten sowie die Präsenzen von Menschenrechtsorganisationen ebenfalls nicht erreichbar. "Die Errungenschaften dieser Revolutionen müssen erst konsolidiert und die neuen Freiheiten garantiert werden", sagt Julliard. Deshalb werde seine Organisation sie auch weiterhin intensiv beobachten.

Die technische Grundlagen von Internetzensur sind im Kern in den meisten Staaten gleich: Alle Router, über die der Datenaustausch des Internets abgewickelt wird, können mit unzähligen Filterregeln programmiert werden. In Europa sollen diese Filter beispielsweise nach Computer-Viren fahnden und infizierte Daten sperren. In autoritären Staaten hingegen suchen die Filter nach politisch indizierten Schlagwörtern. Es gibt ganze Listen mit Tabu-Begriffen - wenn einer von ihnen etwa in der Domain der aufgerufenen Seite vorkommt, ist für den Internetnutzer Schluss. Er erhält eine Fehlermeldung.

Eine zweite Möglichkeit der Zensur besteht darin, neben Domains auch IP-Adressen zu blockieren. Jedes Gerät, das ans Internet angeschlossen wird, besitzt eine solche IP-Adresse - und somit auch jeder Server, auf dem eine Internetseite gespeichert ist. Weil die Filteralgorithmen der Router auch die IPs der vorbeiziehenden Daten untersuchen, sichern sich viele Regierungen durch zusätzliche IP-Sperren ab. Die Server, auf denen missliebige Seiten gespeichert sind, werden damit kurzerhand ausgesperrt. Umgekehrt kann eine Regierung mittels IP-Sperren auch einzelnen Computern den Zugang zum Netz verweigern. Das passiert zum Beispiel in Burma: Dort sollen nach Informationen von Reporter ohne Grenzen nur 118 von insgesamt rund 12.000 IP-Adressen nicht blockiert sein.

Neben den klassischen Nachrichtenportalen und Weblogs geraten auch soziale Netzwerke immer stärker ins Blickfeld der Zensoren. In China organisieren sich Dissidenten schon lange über solche Dienste und auch in den Revolutionen Nordafrikas spielten sie eine zentrale Rolle. Zwar sind die großen Netzwerke wie Facebook und Twitter in autokratischen Staaten zumeist blockiert. Doch relativ schnell bilden sich in den betroffenen Ländern eigene Angebote heraus, die ähnlich funktionieren.

Statt auf Zensur setzen die kommunistischen Regime aber vor allem auf Propaganda: In China soll eine Armada aus bezahlen Web-Kommentatoren, die sogenannte 50-Cent-Armee, für ein regierungsfreundliches Klima in Internetforen und sozialen Netzwerken sorgen. Nordkoreanische Führungskader hingegen richten sich eigene Konten ein und verbreiten darüber ihre Botschaften, sagt Reporter ohne Grenzen. Und die kubanische Regierung soll dank der Arbeit von mehr als 1000 bezahlten Bloggern ebenfalls ins rechte Licht gerückt werden.

Versierte Internetnutzer durchschauen diese Tricks oft recht schnell und erkennen bezahlte Kommentare in der Regel auf den ersten Blick. Auch die Pekinger Studentin Leilei weiß das. "Man merkt das dann zum Beispiel an der Wortwahl", sagt sie.

Der ungehinderte Zugang zu internationalen Internetseiten fehlt vielen dennoch, denn längst nicht alle wissen um die technischen Umgehungsstrategien von Zensur. Vielen ist der Tür zum richtigen World Wide Web damit verschlossen. Was bleibt, ist ein fader Beigeschmack. Und Fehler 404.

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