Internetwahl:Öde an die Freude

Fesselnd zu schreiben ist eine Kunst. Richtig öde zu schreiben aber auch: Das Internetportal "Atlantic Wire" sucht deshalb den langweiligsten Artikel aller Zeiten.

Alex Rühle

Am besten ist es vielleicht, man schreibt einen Text ohne Inhalt, der einfach nicht von der Stelle kommt, keinerlei geistigen Mehrwert besitzt und nennt das Ganze auch noch vollmundig "Essay", eines dieser sommerlöchrigen Lesestücke, nach deren Lektüre einem staubig schwarzes Buchstabensekret aus den Augen sickert, dermaßen langweilig und prätentiös sind sie. Das Ganze garniert man noch mit zusammengegoogelten Zitaten, etwa dem Satz, erst auf dem Gipfel der Langeweile erfahre man "den Sinn des Nichts" - nein, das ist wahrscheinlich schon zu spannend, bloß keine überspannten rumänischen Dichter zitieren.

GRAB

Manche Lektüre ist gar so langweilig, dass man einschläft und augenblicklich versteinert.

(Foto: AP)

Also nochmal: Dieser Text besteht aus gar nix. Es steckt darin keine einzige Idee, zwischen den Zeilen scheint nur das Landschaftsfoto der Wissensseite durch, und es ist darin weniger los als in einem mittelgroßen Krater auf der erdabgewandten Seite des Mondes.

Von Spaziergängern und dem Trocknen von Farbe

Ja, so könnte es gehen. Mit dem Einstieg könnte man vielleicht den Wettbewerb gewinnen, den der Amerikaner Michael Kinsley soeben auf der Homepage des Atlantic Wire ausgelobt hat. Der Gründer des Online-Magazins Slate fand in der vergangenen Woche einen Text in der New York Times auf dermaßen beeindruckende Art und Weise öde und nichtssagend, dass er seine Leser nun dazu aufgefordert hat, den langweiligsten Artikel aller Zeiten zu suchen. Es gibt nur eine Vorgabe: Die Langeweile muss vom Sujet und der Machart des Textes aurnalisusgehen, nicht von dessen Länge. Kinsley kennt sich aus mit Langeweile im Journalimus, er hat schon mal die allerlangweiligste Überschrift der Welt gesucht und am Ende die tatsächlich eindrückliche Formulierung "Worthwhile Canadian Initiative" gekürt.

Was nun seine lohnenswerte amerikanische Initiative angeht, so laufen auf seiner Homepage bereits erste Vorschläge ein: Wunderbar das Porträt eines walisischen Angestellten, der von einer Chemiefabrik seit Jahren dafür bezahlt wird, verschiedenen Farben beim Trocknen zuzusehen. Aber langweilig? Kein bisschen. Der Beruf des Mannes ist natürlich auf geradezu groteske Art und Weise öde, was aber den Text über ihn ziemlich komisch macht.

Eine Tüte Mehl ist erfrischender

Bislang am stärksten ist der Text, den Kinsley selbst vorschlägt, ein Nachruf auf einen Mann aus Los Angeles, der gerne spazieren ging. Der Mann war weder exzentrisch noch manisch oder anderweitig schillernd, sondern ganz und gar unauffällig und freundlich. Er war auch kein geheimnisvoller Einzelgänger, sondern führte ein durchschnittliches Familienleben. Er lief, um halbwegs in Form zu bleiben, starb mit knapp 60 Jahren eines sanften Todes und die Menschen, die in dem Artikel zu Wort kamen, haben ausschließlich Nichtssagendes über ihn zu berichten. So ist der Text in Sachen Langeweile durchaus solide gearbeitet. Gleichzeitig denkt man als deutscher Zeitungsleser: Das soll alles sein? Da geht doch noch was.

Aktenordnergraues Politikergerede

Wie wäre es beispielsweise mit einer dieser Berlin-Reportagen, die keine sind, sondern nur aktenordnergraues Politgerede, und irgendwo steht in all dem Textgerümpel dann als Reportagesignal der Halbsatz, der Ministerialbeamte Meier lehne sich auf seinem grauen Schreibtischstuhl zurück. Es ist erfrischender, nach einem Dauerlauf bei sengender Augusthitze eine Tüte Mehl zu essen als solche Texte zu lesen.

Oder wie wär's mit einer dieser klebrigen Sozialreportagen aus einem Krisengebiet, in denen die kleine, leprakranke Sanem den Leser im ersten Absatz unter der schlammverschmierten Zeltplane hervor anstarrt? Bei näherem Hinsehen stellt sich dann auch noch heraus, dass einen Sanem, deren Eltern längst gestorben sind, aus blinden Augen anstarrt. Und unbedingt im letzten Absatz den ersten Absatz wieder aufnehmen, dann erst wird das eine wirklich runde Geschichte: Am besten ist es, man schreibt einfach einen Artikel ohne Inhalt. Einen, der bis zu seinem faden Ende nur Platz füllt. Füllt. Füllt. Füllt. Füllt.

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