Internetkonferenz Republica:Sollen wir wirklich so leben?

Internetkonferenz Republica

"Into The Wild" lautet das Motto der Internetkonferenz re:publica im Jahr eins nach den Snowden-Enthüllungen. Dabei wäre "In Sicherheit" angesichts massiver digitaler Überwachung der passendere Schlachtruf

(Foto: Britta Pedersen/dpa)

"Das Schlechteste wäre, jetzt aufzugeben": Bei der re:publica zeigt sich der Schaden, den die NSA-Affäre in der Gesellschaft anrichtet. Die Konferenz ist so politisch wie nie. Nur die Berliner Spitzenpolitik hält sich raus.

Von Pascal Paukner, Berlin

Der Applaus braust auf, er hat es geschafft. Unten sind Hunderte, dort in der Halle am Gleisdreieck im Zentrum Berlins. Er hat sie beschimpft, sie Versager genannt, und doch bleiben sie auf ihren Sitzen und applaudieren.

Sascha Lobo, der wichtigste Internetfuzzi im Land, hat nicht gesprochen, er hat gewütet. Kontrollsucht, Sicherheitsesoterik, Spähradikale - das ist sein Vokabular. Er dreht auf, Abteilung Attacke. "Rede zur Lage der Nation", hat Lobo seinen Wutanfall im Vorabendprogramm der Internetkonferenz re:publica getauft. "Ich halte es für eine Unverschämtheit, für eine Katastrophe, was im Moment an Nicht-Aufklärung in der NSA-Affäre passiert", sagt er. Auch in den vergangenen Jahren schon hat er in solchen Reden die eigenen Leute, die Netzgemeinde, für ihre Zaghaftigkeit kritisiert. Aber dieses Jahr meint er es richtig ernst.

Es dauert nicht mehr lange, ein paar Wochen noch, dann jährt sich der Beginn der Überwachungsaffäre zum ersten Mal. Obwohl das Thema seither weltweit eine breite Öffentlichkeit erfährt, hat sich grundsätzlich nur wenig geändert. Noch immer muss man davon ausgehen, dass außer Kontrolle geratene Geheimdienste sämtliche Kommunikation überwachen. Noch immer sind entscheidende Fragen zur politischen Verantwortung unbeantwortet. Je länger sich die Geschichte hinzieht, desto unwahrscheinlicher scheint es, dass noch mit Aufklärung zu rechnen ist. Wie also kann eine aufgeklärte Zivilgesellschaft nun reagieren?

"Into the wild" lautet der Schlachtruf

Wer eine Antwort auf diese Frage sucht, findet sie in diesen Tagen am ehesten in Berlin. Auf der re:publica, der wichtigsten Internetkonferenz, die das Land zu bieten hat, redet nicht nur Sascha Lobo der Bundesregierung und Netzgemeinde ins Gewissen. Auch sonst ist die Konferenz so politisch wie nie. In Person der Snowden-Vertrauten Sarah Harrison, des Internet-Theoretikers Evgeny Morozov oder des Netzaktivisten Jacob Appelbaum sind einige der wichtigsten Deuter der aktuellen Krise zugegen. "Into the wild", raus in die Wildnis, lautet das Motto der Veranstaltung. Aber war nicht gerade die Lehre der vergangenen Monate, dass das wilde, anarchische Internet nur eine Illusion ist? Dass in Wahrheit alles kontrolliert und überwacht ist?

Jacob Appelbaum ist einer derjenigen, der die Geheimdienste und Polizeibehörden am liebsten komplett aus dem Internet verjagen würde. Nur wie? Er ist Anarchist, Hacker und ein ganz ordentlicher Entertainer. Er kann einem die technischen Details der Festplattenverschlüsselung erklären. Doch deshalb ist Appelbaum nicht zur re:publica gekommen. Appelbaum will aufklären, politisch. Deshalb steht er nun da auf der Bühne am Dienstagnachmittag und reißt gemeinsam mit der Bürgerrechtsaktivistin Jillian York einen Witz nach dem anderen.

Verschlüsselt euer digitales Leben!

Wer im Publikum nichts zu verbergen habe, will das Duo wissen. Ein Mann meldet sich, vermutlich halb im Spaß. "Kannst du deine Hose ausziehen?", fragt Appelbaum. "Und kann ich deine Kreditkarten haben?", sagt York. Ein Scherz, schon klar. Aber eben auch eine Demonstration, worum es in der Debatte eigentlich geht: "Glaubst du denn, dass du noch die Wahl hast, ob du deine Hose ausziehen willst?", sagt Appelbaum. Das Duo kommt dann zur eigentlichen Pointe, einer Forderung: Verschlüsselt euer digitales Leben. Das sei keine Privatsache, sondern Bürgerpflicht. Je mehr Leute verschlüsselten, desto teurer wird es für den Staat. So lautet die Gleichung, die zumindest in der Theorie zurück in die Wildnis führt.

So oder ähnlich läuft das auf vielen Talks. Wer das ganze Jahr ohnehin an vorderster Front die digitale Debatte verfolgt, wird auf der re:publica nur wenig Neues erfahren. Doch darum geht es auch gar nicht. Viele Konferenzteilnehmer tragen auch jetzt nach Monaten der Enthüllung noch immer eine Wut im Bauch. Sie wollen ein Statement setzen, zeigen, dass das so nicht geht. Nicht alle tun das so lautstark wie Lobo. Der Netzaktivist und Konferenzorganisator Markus Beckedahl sagt am Mittwoch "Das Schlechteste wäre, jetzt aufzugeben und den Kopf in den Sand zu stecken".

Berliner Spitzenpolitiker bleiben fern

Der Kongress ist vor allem auch ein Vernetzungstreffen. Am Bierstand ist richtig was los. Der lustige Typ, den man ständig retweetet, ist ziemlich sicher da. Aber auch die Marketing-Chefin vom mittelständischen Unternehmen. Sogar unter den vor ein paar Jahren noch etwas skeptischen Journalisten hat die Veranstaltung inzwischen viele Verbündete. Auch Bild-Chef Kai Diekmann ist in diesem Jahr aus seinem Hochhaus rübergekommen, das ist ja auch das Mindeste für den voll digitalisierten Konzern, der Springer jetzt sein will.

Aus der Bloggerkonferenz ist tatsächlich eine Konferenz für die digitale Gesellschaft geworden. Doch das Bild hat einen Fehler. Der einzige Bundesminister, der auf der Konferenz hätte sprechen sollen, schickt seinen Staatssekretär. Entwicklungshilfeminister Gerd Müller sei verhindert, heißt es aus dem Ministerium. Das Resultat: Die Berliner Spitzenpolitik hält sich raus aus Deutschlands wichtigstem Internetkongress. Dabei hätte es beim Aufeinandertreffen zwischen digitaler Gesellschaft und den Herrschern über die Geheimdienste ziemlich viel Gesprächsstoff gegeben.

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