Internetanbieter gegen Geoblocking:Dieses Video ist in Ihrem Land verfügbar

Wenn Webseiten nicht laden und Musikvideos nicht gespielt werden, hat das meist einen Grund: Geoblocking. Ein neuseeländischer Internetprovider setzt die digitalen Ländersperren jetzt außer Kraft. Damit wird das Netz endlich zu dem, was es sein sollte.

Von Johannes Boie

Dieses Video ist in Ihrem Land nicht verfügbar. Diese Webseite ist in Ihrem Land nicht verfügbar. Dieser Dienst ist in Ihrem Land leider nicht verfügbar. Diese Aufnahme kann in Ihrem Land leider nicht abgespielt werden.

Da sitzt man dann und starrt auf den Bildschirm und weiß nicht, was man tun soll. In ein anderes Land umziehen, ernsthaft? Ist das Internet nicht ein globales System? Warum kann man eine E-Mail innerhalb eines Sekundenbruchteils nach Honolulu senden, warum kann der deutsche Astronaut Alexander Gerst aus dem Weltall Nachrichten verschicken, aber gleichzeitig ist es oft nicht möglich, ein Video aus den USA auf einem Rechner in Deutschland oder Neuseeland anzuschauen?

Die Technik, die dahintersteckt, heißt Geoblocking. Man muss sich das nicht merken, wichtig ist nur: Über technische Details wie die IP-Adresse eines Nutzers erkennen Webseiten, woher ein Nutzer kommt. Manche Anbieter verwenden diese Information, um Werbung zu schalten, die im Land des Nutzers sinnvoll ist. Aber wenn sie entsprechend programmiert sind, kommen bestimmte Inhalte gar nicht zum Nutzer. Das Video läuft nicht, die Webseite lädt nicht, die Musik bleibt aus.

Weg ins globale Netz führt nur durch Tunnel, die sich der User gräbt

Hinter dem technischen Blocken stehen oft rechtliche Überlegungen. Irgendein Urheberrechtsinhaber möchte sein Werk nur zu Hause aufgeführt sehen, irgendein Autor wartet in anderen Ländern noch auf Verträge. Auf der Strecke bleibt der Nutzer, der nicht sehen kann, was er möchte. Und - grundsätzlicher betrachtet - findet Kultur weniger Verbreitung, als sie es könnte. Höchst unbeliebt ist die Technik auch, weil sie private Daten nutzt - die IP-Adresse -, um Surfer zumindest zum Teil zu identifizieren und ihre Handlungen oder Kaufabsichten zu berechnen.

Die Verbotsmeldungen im Netz sehen nicht nur wie Fehlermeldungen aus, sie sind es auch. So sieht es zumindest der neuseeländische Internetprovider Slingshot. Zeit also, den Fehler zu beheben. "Wir finden die Situation bizarr", heißt es bei Slingshot in Bezug auf die vielen Ländersperren. Deshalb haben die Techniker des Konzerns den "Global Mode" erfunden.

"Global Mode" bedeutet schlicht, dass die Kunden von Slingshot künftig nicht mehr von Geoblocking betroffen sein werden, darum kümmert sich die Firma mit spezieller Technik. Slingshots Kunden werden von Anbietern im Netz nicht mehr oder nur noch sehr schwer als Neuseeländer zu identifizieren sein.

Provider kontrollieren, manipulieren, zensieren

Was extrem freiheitlich klingt, ist im Grunde nur eine Rückbesinnung auf das, was Provider ursprünglich einmal waren. Es gibt verschiedene Arten von Providern, der Begriff kommt vom lateinischen providere, versorgen. Die sogenannten Zugangsprovider, Firmen wie die Telekom oder eben Slingshot, versorgen ihre Kunden mit einem Zugang ins Netz. Sie hätten genug damit zu tun, dafür zu sorgen, dass diese Zugänge möglichst gut funktionieren und mit dem Stand der Technik mithalten. Doch weil die Provider zwischen Nutzern und der großen technischen Infrastruktur des Netzes vermitteln, also Servern, auf denen dann tatsächlich Webseiten, Videos, Nachrichten, Musik - kurz: Daten - gespeichert sind, hat sich ihre Rolle immer stärker verändert.

Internetanbieter gegen Geoblocking: Tipp für unzensierten Netzzugang auf einer türkischen Häuserwand. Neuseeländer haben es einfacher.

Tipp für unzensierten Netzzugang auf einer türkischen Häuserwand. Neuseeländer haben es einfacher.

(Foto: @kadikoybaska)

Statt neutral ein Eingangstor ins Netz zur Verfügung zu stellen (und sich dafür bezahlen zu lassen), kontrollieren, manipulieren, zensieren viele Provider rund um die Welt, was durch das Tor zum Kunden gelangt und wohin der Kunde durch das Tor gelangen kann. Dem zugrunde liegt einerseits die Geschäftstüchtigkeit der Unternehmen, die ihren Kunden mitteilen: Du darfst durchs Tor, aber wenn der Weg unbeschränkt sein soll, dann musst du mehr bezahlen. Das ist, grob umrissen, die große Debatte der Netzneutralität: Muss der Provider neutral sein?

In vielen Ländern wird die Frage längst ganz anders gestellt, nämlich: Ist es dem Provider erlaubt, neutral zu sein? Die allermeisten Zensurmechanismen, die Regierungen installieren, werden bei Providern eingebaut, zwischen Nutzern und Netz. Auch in Deutschland wird immer wieder debattiert, wie schwerwiegend staatliche Eingriffe bei Providern sein dürfen. Die Vorratsdatenspeicherung etwa würde bei Unternehmen wie der Telekom oder 1&1 technisch installiert werden. Bei letzterem Unternehmen kann man im Reinraum, wo die Server leise summen, sogar den Schrank bewundern, wo der Computer für die Vorratsdaten installiert worden wäre, hätte nicht der Europäische Gerichtshof das Gesetz gekippt. Auch die Internet-Sperren, die Ursula von der Leyen als Familienministerin einst installieren wollte, hätten Techniker der Provider einbauen müssen.

Slingshot fühlt sich nicht verantwortlich für das, was seine Kunden machen

Den Nutzern in solchen Ländern bleibt nur, sich mit speziellen Einstellungen im eigenen Computer an der Technik des Internetproviders vorbei ins Netz zu schmuggeln und sich dort als Nutzer aus einem anderen Land zu tarnen. Gängige Methoden dafür sind VPN-Tunnel (Virtual Private Networks), mit denen man sich quasi unter der Zensurtechnik hindurch gräbt, oder auch geänderte DNS-Einstellungen, im Grunde nur ein paar Zahlen, die in den Interneteinstellungen eingetragen werden. Der Haken ist, dass beide Möglichkeiten nicht funktionieren, und dass Regierungen und Anbieter, die - mit welcher Motivation auch immer - auf Geoblocking setzen, die Gegenmaßnahmen der Nutzer so gut wie möglich bekämpfen.

Slingshot wird dieses Spiel nicht nur nicht mehr mitspielen, sondern sogar behindern. Bei Neuseeländern, die sich für die Firma entscheiden, wird der "Global Mode" automatisch aktiviert sein, sie können ihn nur auf Wunsch ausschalten.

Slingshot ist also nicht irgendein Provider. Die Firma, deren Name auf Deutsch Steinschleuder heißt, verhält sich zur Telekom ungefähr so wie Google zur deutschen Rentenversicherung. Slingshot ist ein innovatives Unternehmen und tritt mit der Absicht an, den trägen Netzmarkt neu zu ordnen. Das Unternehmen bietet Kunden an, neben dem Netzzugang auch gleich noch ein bisschen Onlinespeicher beim umstrittenen Dienst Mega des noch umstritteneren Internetmaskottchens Kim Dotcom zu buchen.

Slingshot kann man einen utopischen Traum unterstellen

Mehr ein Statement als eine Dienstleistung also, genau wie die Erklärung, man interessiere sich nicht dafür, ob die Kunden mit ihrem globalen Internetzugang Urheberrechte oder Lizenzvereinbarungen verletzen. Was der Kunde macht, ist seine Sache. Das Unternehmen fühlt sich nicht verantwortlich für die Daten, die seine Kunden im Netz aufrufen. Ist diese Seite urheberrechtlich geschützt in Neuseeland? Das ist Slingshot egal. Der Provider widerlegt die gängige Darstellung, nach der Provider mit Inhalten kein Geld verdienen können. Tatsächlich geht der Umsatz nach oben, wenn Kunden mit einem uneingeschränkten Netzzugang gelockt werden.

Geoblocking zu umgehen ist weder für Provider noch für Nutzer per se illegal, aber natürlich werden viele Slingshot-Kunden zum Beispiel amerikanische TV-Serien ansehen, die lizenzrechtlich nur innerhalb der USA ausgestrahlt werden dürfen.

Slingshots Kunden sind jetzt globale Bürger in der digitalen Welt. Man kann der Erfindung des "Global Mode", die für Slingshot nur ein Alleinstellungsmerkmal im Konkurrenzkampf der neuseeländischen Telekommunikationsfirmen ist, durchaus einen utopischen Traum unterstellen: "Imagine there's no countries."

Die digitale Ökonomie realisiert uralte linke Träume

Überhaupt realisiert die digitale Ökonomie uralte linke Träume: Ressourcen wie Wohnungen und Autos werden brav geteilt, und zumindest für Neuseeländer fallen jetzt auch noch die Grenzen. Freilich und zum Glück nicht, um Proletarier aller Länder zu vereinigen, und auch nicht nur, um einen grenzenlosen Markt zu schaffen.

Es geht um viel mehr: Lässt man das Kleinklein des Urheberrechtsstreits um digitale Konsumgüter außen vor, erkennt man, dass so, Schritt für Schritt, ein weltumfassender Raum entstehen kann, in dem es tatsächlich egal ist, wer woher kommt. Vielleicht wird es ja doch noch ein globales System, das Netz.

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