Internet-Videoportal:Der YouTube-Traum vom neuen Fernsehen

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Aus dem Amateur-Portal YouTube ist ein Konzern geworden, der Geld verdienen muss. 2011 soll die Videoseite deshalb das Fernsehen revolutionieren.

Dirk von Gehlen

Es gibt eine iPhone-App, mit der man für 99 Cent Elefanten in 3D betrachten kann. Auf Facebook und Twitter gibt es eine gut gepflegte Präsenz, und dank mehrerer Webcams kann man von überall auf der Welt die Affen, Pandas und Eisbären im Zoo von San Diego beobachten.

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in Bildern.

Dass vor einem dieser Gehege vor fünf Jahren eine Entwicklung ihren Anfang nahm, die die Popkultur demokratisieren und den Medienkonsum revolutionieren sollte, erfährt man auf der Website des kalifornischen Tierparks nicht. Doch es gibt den Beweis: im Netz, aufgenommen am 23. April 2005.

Es muss noch recht kühl gewesen sein, als Jawed Karim sich in roter Jacke mit großem Kragen vor dem Elefantengehege des Zoos in San Diego aufbaute. Sein Freund Yakov Lapitsky filmte ihn mit wackelnder Kamera, und wenig später taten die beiden etwas, das heute selbstverständlich ist: Sie luden den Clip auf YouTube ins Internet.

"Me at the zoo" ist der erste auf YouTube eingestellte, ja, Film, und mehr als sein Titel ankündigt, wird in den 19 Sekunden auch nicht gezeigt: YouTube-Mitgründer Jawed Karim vor dem Elefanten-Gehege im Zoo. Doch das Erstaunliche an dem Clip ist nicht sein Inhalt, sondern die Technik, die ihn weltweit zugänglich machte, und die Kultur, die sich daraus entwickelte.

Google wartet noch: aufs Geld

Zunächst ruft der Schnipsel in Erinnerung: Es gab ein Leben und sogar ein Internet vor YouTube. Das ist auch noch gar nicht so lange her. Es dauerte bis Ende 2005, ehe YouTube seine (nicht-öffentliche) Testphase beendete und für jeden zugänglich wurde. Daran sieht man: Das Internet ist ein schnelles, aber auch ein schnelllebiges Medium. So selbstverständlich wir heute Clips auf YouTube anschauen, so selbstverständlich könnte das Portal in fünf Jahren komplett anders aussehen, anders funktionieren oder ganz verschwunden sein.

Nun, im Jahr sechs nach dem Tierparkwackler, steht YouTube vor der entscheidenden Phase seiner Entwicklung: Das Portal muss den Ansprüchen seiner Besitzer gerecht werden. Nur, weil YouTube zu einem täglichen Besuchspunkt im Netz geworden ist, sind nicht automatisch auch die Macher der Seite zufrieden. Im Herbst 2006 verkauften die Zoobesucher ihre Erfindung an Google. Dort wird seitdem an einem Geschäftsmodell für die Website gearbeitet (die nach Google und Facebook die drittgrößte der Welt ist).

An YouTube zeigt sich beispielhaft, dass Erfolg im Netz nicht zwangsläufig zu Reichtum führen muss. Ähnlich wie Twitter, aber auch viele deutlich kleinere Anbieter, bindet die Videoplattform zwar die Aufmerksamkeit unzähliger Menschen. Aus den Besuchen und Kontakten Erlöse zu schöpfen, ist aber ein anhaltendes Experiment - eines mit offenem Ausgang.

Um dieses Experiment positiv zu gestalten, muss YouTube schon 2011 drei grundlegende Herausforderungen bewältigen. Dabei geht es einerseits um Live-Events, die im Internet unter dem Schlagwort "Echtzeit" als das nächste große Ding gehandelt werden. Für YouTube kann das heißen, Konzerte oder Sportereignisse zu übertragen.

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:Die unglaubliche Riesenmaschine

In dieser Minute laden Nutzer 20 Stunden Videomaterial auf YouTube hoch, während 24.000 Menschen nach Sexinhalten suchen. Die Internet-Welt in Zahlen und Bildern.

In Indien übt die Google-Tochter mit der Nationalsportart Cricket den Ernstfall. Sie hat dafür die Übertragungsrechte der Profiliga erworben. Außerdem hat YouTube bei Auftritten der Pop-Band U2 bewiesen, dass klassische Übertragungen so gelingen, wie man es bislang nur aus dem Fernsehen kannte.

Sich auf die audiovisuellen Endgeräte einzustellen, ist die zweite Herausforderung. Den Sprung vom vergleichsweise kleinen Computerbildschirm auf das HD-fähige Fernsehflachbild soll YouTube spätestens mit dem "Google TV" genannten Projekt schaffen. Das wurde wiederholt verschoben, ist aber für 2011 von Google angekündigt.

Wie diese Form des sehr zurückgelehnten Internet-Fernsehkonsums aussehen könnte, zeigt YouTube bereits jetzt in dem Testbereich "Leanback", in dem Videos bildschirmfüllend präsentiert werden.

In die gleiche Richtung geht das bisher lediglich in den USA verfügbare Projekt "YouTube-Rentals", bei dem ein "Zahlungsmodell für Videos" ausprobiert wird, das Nutzern gestattet, Videos im Netz auszuleihen und für einen gewissen Zeitraum anzuschauen.

Gleichzeitig darf YouTube aber auch die Entwicklung zu den sehr viel kleineren Bildschirmen der Handys und Smartphones nicht unterschätzen. Sie bilden die dritte Herausforderung. Ihr will sich YouTube mit dem Projekt "Feather" (Feder) stellen, also mit einer Art Light-Version von YouTube. Damit soll man die Clips schneller laden und auf mobilen Endgeräten besser abspielen können.

Eine Frage des Urheberrechts

Die den Herausforderungen zugrunde liegende Frage lautet: Wie geht YouTube mit seinen Nutzern um?

35 Stunden neues Material laden die User inzwischen minütlich auf die Plattform. Die unfassbare Menge zeigt vor allem: Hier geht es in erster Linie gar nicht ums Anschauen und Konsumieren (das ist schlicht unmöglich), es geht ums Mitmachen. Das interaktive Interesse der User fängt YouTube auf, in dem die Möglichkeit geboten wird, Clips online auch selbst zu schneiden.

Außerdem sollen die Nutzer mit "TrueView" per Mausklick unliebsame Werbung überspringen dürfen. Die YouTube-Macher werten die Rückmeldungen aus und wollen so dazu beitragen, bessere Reklame zu bekommen. Die Werbetreibenden sollen dann künftig mehr Geld zahlen - für Spots, die die Nutzer auch anschauen wollen.

Der Segen der Nutzerbeteiligung ist für YouTube auch ein Fluch. Die großen Mengen an Videomaterial verursachen sehr hohe Serverkosten, und sehr viele Clips sind nach klassischen Kriterien auch nicht gerade ein Image-Gewinn. Denn entweder handelt es sich um wenig qualitative Privatvideos oder um Clips mit unklarer Rechtslage.

Um zu zeigen, dass das Portal weit mehr kann als Homevideos und urheberrechtlich fragwürdige Clips abzuspulen, verhandelt YouTube derzeit mit der im Netz sehr populären Produktionsfirma Next New Networks, die sie übernehmen möchte, um selber Inhalte zu produzieren. Mit Nutzerfragen im Rahmen von Politik-Talkshows oder Projekten wie dem YouTube-Symphonieorchester will das Portal demonstrieren, wie sich die Nutzerinteraktion produktiv und auch hochwertig nutzen lässt.

"Pulsschlag unserer Kultur"

Dass User mit musikalischer Begabung sich bewerben können, um dann vielleicht unter Anleitung von Dirigent Michael Tilson Thomas im Opernhaus von Sydney mit den YouTube-Symphonikern zu spielen, ist dabei eine erstaunlich interaktive Form.

Egal, ob im Opernhaus von Sydney oder im Zoo in San Diego: YouTube hat der Beteiligungskultur im weltweiten Web eine breite Basis gegeben. Für den Anthropologen Michael Wesch von der Kansas State University ist das ein Verdienst der Plattform.

Er spricht vom "Pulsschlag unserer Kultur", den man auf YouTube spüren könne, und er glaubt, dass so ein "neuer Typus von Beziehungen" entstanden sei: "Die Menschen auf YouTube fühlen sich mit der ganzen Welt verbunden, empfinden aber dennoch ein hohes Maß an Autonomie, ja manchmal auch an Einsamkeit", sagt er.

Es braucht wenig Phantasie um zu erkennen: Ähnliches lässt sich auch über das klassische Fernsehen sagen, das Menschen versammeln und verbinden konnte. Vielleicht dauert es gar nicht mehr so lang, bis beides zusammenkommt.

Lesen Sie hierzu Berichte in der Süddeutschen Zeitung.

© SZ vom 28.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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