Chatbots:Wie computergesteuerte Propaganda Meinungen manipuliert

FILE PHOTO: Nigel Farage Stands Down as Leader of UKIP

Nigel Farage war einer der wichtigsten Köpfe der Leave-Kampagne. Vermutlich kamen ihm auch Chatbots bei Twitter zuhilfe.

(Foto: Jeff J Mitchell)

Nicht nur autoritäre Regime nutzen künstliche Intelligenz, auch das Brexit-Votum wurde durch selbstständig twitternde Roboter beeinflusst. Noch fehlt ein wirksames Gegenmittel.

Von Annika Domainko

Es klingt nach Science-Fiction: Wir bilden Meinungen zu politischen Themen durch den Blick in die Zeitung, durch Diskussionen und indem wir die uns verfügbaren Informationen auswerten. Doch währenddessen formiert sich in der virtuellen Welt eine Armee von künstlichen Intelligenzen, die sich anschickt, genau diesen Meinungsbildungsprozess zu sabotieren.

So lesen sich einige Schlagzeilen der vergangenen Wochen. Vom "Rise of the Brexit-Bots", dem Aufstand der Brexit-Bots, schrieb die Daily Mail im Umfeld des Brexit-Votums. Mit Blick auf den Präsidentschaftswahlkampf in den USA sprachen Journalisten von den "Bot-Armeen" der Kandidaten. Insbesondere Donald Trumps künstliche Twitterei schätzen Wissenschaftler als ernste "Gefahr für die Demokratie" ein.

Die Hälfte des Internet-Traffics stammt von Maschinen

Ein Bot - abgeleitet vom englischen "robot" - ist ein Computerprogramm, das selbständig dazu in der Lage ist, sich wiederholende Aufgaben abzuarbeiten. Bots sind für vieles im Netz verantwortlich. Sogenannte Webcrawler etwa machen es möglich, dass wir mit einer Suchmaschine finden, was wir suchen. Knapp 50 Prozent des Datenverkehrs im Internet gingen 2015 auf das Konto derartiger Algorithmen, wie Incapsula, eine auf Internetsicherheit spezialisierte Firma, in ihrem jährlichen Bericht meldete.

In den oben genannten Schlagzeilen geht es um eine Sonderform dieser Programme, die sogenannten Social Bots, die sich in sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook herumtreiben. Sie gerieren sich dort wie Nutzer, sind aber automatisierte Fake-Profile. Sie kommentieren, teilen, trollen, schicken Kontaktanfragen. Und sie äußern sich zu politischen Themen, wie Soziologen auf der Webseite Politicalbots.org dokumentieren.

Dass autoritäre Regime Bots einsetzen, um den Informationsfluss in ihrem Sinne zu lenken, ist bekannt. Seit dem Arabischen Frühling weiß man, dass Twitter-Bots in Syrien genutzt wurden, um es Usern zu erschweren, Informationen über die Proteste zu finden - etwa, indem sie Anfragen mit Falschantworten bombardierten. Studien zeigen allerdings, dass Lobbyarbeit per Bot auch außerhalb von autoritären Staaten keine Seltenheit mehr ist.

Beide Brexit-Lager nutzten computergesteuerte Propaganda

Die neueste Diskussion darüber, welche Rolle diese Twitter-Bots im Prozess der politischen Meinungsbildung einnehmen, wurde von einer wissenschaftlichen Studie angestoßen, die Soziologen anlässlich des Brexit-Referendums veröffentlichten. Philip Howard von der Universität Oxford und Bence Kollanyi von der Corvinus-Universität in Budapest hatten mehr als 1,5 Millionen Tweets ausgewertet, die im Zeitraum vom 5. bis zum 12. Juni zum Brexit abgesetzt worden waren. Ihr Ergebnis: Mehr als 30 Prozent dieser Kurznachrichten stammten von lediglich einem Prozent der an der Diskussion beteiligten Accounts. Für die Wissenschaftler deutet dieses Missverhältnis klar daraufhin, dass hier nicht nur Menschen an Smartphones mitmischten, sondern auch Codes.

Die Forscher schauten also genauer hin. "Interessanterweise konnten wir eine verstärkte Bot-Aktivität auf beiden Seiten entdecken", sagt Kollanyi. Beide Parteien der Brexit-Debatte - die Befürworter ebenso wie die Gegner - erhielten offenbar Unterstützung von Computerprogrammen. Ungefähr 15 Prozent der Accounts beider Lager setzten täglich Tweets in einer Dichte ab, die ohne Automatisierung nicht zu bewältigen wäre. Doch gibt die Studie keinen Hinweis darauf, dass die Twitter-Bots das Referendum zu Gunsten des Brexit manipuliert hätten. Sie ermöglicht jedoch einen Einblick in Wahlkampfmethoden, bei denen computergesteuerte Propaganda eine immer größere Rolle spielt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: