Internet-Überwachung:Suche nach gefährlichen Wörtern

NSA sucht nach "gefährlichen" Wörtern

Gangs, Nuclear, Virus: Nach welchen Wörtern die NSA filtert.

(Foto: sde)

Amerikanische Behörden durchsuchen das Internet nach 377 verdächtigen Begriffen. Natürlich sind darunter Wörter wie "Terror" und "Angriff", aber warum suchen sie nach "Schwein" und "Schnee"?

Von Bernd Graff

Als das amerikanische "Department of Homeland Security" (DHS) im Februar 2012 juristisch gezwungen worden war, seine interne Anleitung zur Überwachung von Sozialen Netzen mit den entsprechenden Richtlinien für "Reportings" durch seine Analysten zu veröffentlichen, erregte nicht die Tatsache Aufsehen, dass Soziale Medien von der Behörde gescannt werden. Dies war seit der Winter-Olympiade 2010 bekannt, die zwar im kanadischen Vancouver stattfand, aber wegen der Nähe zur amerikanischen Grenze augenscheinlich verstärkte Wachsamkeit von US-Behörden wie FBI, Customs Border Protection (CBP), Coast Guard und DHS erforderte.

Das DHS, so die Begründung damals, wolle während der Spiele über mögliche "Naturkatastrophen, Akte des Terrorismus und andere menschengemachte Desaster" informiert sein. Dazu observiere man die Sozialen Netze, aber nur, um sich nach einem Vorfall ein genaueres Bild der Lage machen zu können. Die Überwachung sei darum eine Maßnahme der Schadeneinschätzung und daher so etwas wie "der Kanarienvogel in der Kohlemine", so ein DHS-Sprecher damals gegenüber ABC News. Man verstehe die Sozialen Netze lediglich als eine Quelle für Echtzeit-Information im Ereignisfall.

Dieses DHS-Programm wurde nach dem Ende der Vancouver-Spiele nicht ausgesetzt, sondern um- und ausgebaut. Denn, wie die New York Times im Januar 2012 berichtete, hatte das DHS schon seit 2009 ein Unternehmen damit beschäftigt, die Sozialen Netze gezielt danach abzusuchen, wie Regierungsentscheidungen darin aufgenommen und diskutiert wurden - und dazu dann auch entsprechende Berichte zu verfassen.

Gezielte Suche nach Reaktionen aus der Bevölkerung

Man reagierte im DHS also nicht mehr lediglich auf Vorkommnisse im Sozialen Web, sondern man suchte gezielt nach Reaktionen aus der Bevölkerung. Als dann einen Monat später, im Februar 2012, der "Analyst's Desktop Binder", das interne Regularium des DHS aus dem Jahr 2011 veröffentlicht war, die auf juristisches Betreiben der unabhängigen Datenschutzorganisation "Electronic Privacy Information Center" (Epic) zugänglich gemacht werden musste, bestätigte sich nicht nur die Tatsache, dass die DHS Vorgänge im Netz im Anschluss an Regierungsentscheidungen protokolliert. Man sah nun auch, dass darin ein ganzer Katalog von "Items of Interest (IOI)" aufgestellt worden war.

Damit waren Bereiche definiert, die klassifiziert sind als von besonderer nationaler Bedeutung, und die als wesentlich für den Erhalt der Sicherheit, für die Aufrechterhaltung von Infrastrukturen und der Gesundheit der Bevölkerung erachtet werden. Darum ist in dem DHS-Manual eine Vielzahl von Themen aufgeführt, deren Erwähnung in den Sozialen Netzen als relevant für das Aufspüren und die Bekämpfung von Terrorismus und Naturkatastrophen eingestuft wird. Gemeint sind etwa Unfälle bei der chemischen Industrie, Flugzeugabstürze, Erdbeben, Amokläufe und - an erster Stelle - "Akte des Terrorismus (auch auf ausländischem Terrain)".

Um den Mitarbeitern des DHS nun Mittel an die Hand zu geben, Hinweise auf diese identifizierten, gravierenden Vorkommnisse und Bedrohungen in den Sozialen Medien zu finden, ist dem Papier eine Liste mit 377 Schlüsselbegriffen mitgegeben, bei deren Verwendung die Agenten tätig werden und berichten sollen. Es wird darauf hingewiesen, derartige Informationen nur in Sonderfällen auch personenbezogen zu erheben. Man ordnet daher an, "Personally Identifiable Information" (PII) aus den Reportings zu tilgen, fügt aber mit Nachtrag vom Januar 2011 eine Liste mit Ausnahmen an. Diese enthält den Hinweis, dass einschlägig bekannte Terroristen, Drogenhändler, Regierungssprecher und Journalisten namentlich in den DHS-Reportings geführt werden dürfen. Alle Schlüsselbegriffe sind eingestuft als von besonderer Bedeutung. Ihr Auftauchen in den Sozialen Medien verlangt nach Speicherung, weiterer Beobachtung und Reportings.

Eine Liste paranoider Angst

Diese Liste lässt sich auf den ersten Blick nur als Ausdruck paranoider Angst verstehen. Denn die mutmaßliche Sprache und Schlüsselreize des Terrors und der Gefährdung beinhaltet vor allem Allerweltsvokabeln. Erwartbar ist vielleicht noch, dass DHS-Agenten bei "Cyberattacke", "Hacker", "Selbstmordattentäter", "Terror", "Bombe", "Taliban", "Nuklear" und "Chemische Waffe" hellhörig werden sollen.

Dass aber Begriffe wie "U-Bahn", "krank", "elektrisch", "Schwein", "Schnee", "Blitz", "Heilung", "Grenze", "Welle", "Wolke", "Symptome", "Grippe", "Antwort", "Telekommunikation", "Rotes Kreuz", die Nennung Mexikos, der Stadt Tuscon in Arizona und jede Erwähnung des DHS schon als Anzeichen von (menschengemachter) Katastrophe und/oder Terrorismus hindeuten soll, vermag nicht einzuleuchten.

Normale Sprachverwendung

Das, was hier als Ausdruck von Gefährdung geführt wird, ist normale Sprachverwendung, der nur dann Verdächtigkeit zuzuschreiben wäre, wenn man schlichtweg alles für verdächtig hielte. Dann aber wäre nahezu jeder sprachliche Ausdruck Indiz für Terror, und jedes Soziale Netz müsste wie ein Trainingscamp der Taliban betrachtet werden.

Denn auch wenn Terroristen den Begriff "Grippe" ab und an gebrauchen könnten, sagt die Verwendung von "Grippe" zunächst einmal nichts über Terrorismus aus. Wenn aber jede "Grippe"-Nennung von Bedeutung für das DHS ist und nach seiner internen Logik eine Observierung nötig macht, wie will das Department dann die Abermillionen Postings auch nur sichten, in denen eines seiner verdächtigen Wörter verwandt wird?

Dieser Begriffsfuror des DHS erinnert darum an eine Episode von Jorge Luis Borges. In der Kurzgeschichte "Von der Strenge der Wissenschaft" beschreibt er das Reich mit der einzig vollkommenen Karte. Sie hatte nämlich "genau die Größe des Reiches und deckte sich mit ihm in jedem Punkt." Eine Karte also im Maßstab 1:1. So mutet die Wörterliste aus dem Giftschrank der DHS an, welche die Verwendung von Sprache generell unter Verdacht zu stellen scheint und entsprechend observieren will. Wie könnte das möglich sein?

Instrumentarium zur Erhebung und Auslese von Big Data

Die Liste des DHS deutet daraufhin, dass nicht ein einzelnes Instrument zur Aufzeichnung von Verdachtsmomenten im Kampf gegen Terror und Katastrophen eingesetzt wird, sondern ein gestaffeltes, ineinander greifendes Instrumentarium zur Erhebung und Auslese von Big Data Verwendung finden muss.

Erst die Profilierung der Daten unter Einsatz smarter Algorithmen macht es möglich, aus vielen Datensätzen unterschiedlicher Provenienz Muster zu erkennen. So scheint die Veröffentlichung der Schlüsselbegriffe des DHS nun zu belegen, dass US-Sicherheitsbehörden unterschiedliche Daten-Pools errichten, deren kluge Verknüpfung erst konkretere Hinweise möglich macht. Denn anders als Hinweisverstärker zur Verdachtsfindung machen die Suchbegriffe des DHS keinen Sinn.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: