Süddeutsche Zeitung

Internet:Russland zensiert Pornoseiten - ein schwerer Fehler

  • Internetzensur gehört in Russland zum Regierungsalltag. Besonders Pornoseiten sind immer wieder von diesen Maßnahmen betroffen.
  • Überwachungsgegner beobachten jetzt, dass immer mehr Russen seit den Verboten Anonymisierungprogramme nutzen, um die Sperren zu umgehen.

Von Julian Hans

Minus mal minus ist plus - das gilt in der Mathematik immer, selten aber im Leben. Eine Ausnahme kann man in Russland beobachten. Dort führt die Kombination von Pornografie (finden wir bäh) und Zensur (lehnen wir strikt ab) zu mehr informationeller Selbstbestimmung. Wenn auch unbeabsichtigt.

Mit Brazzers.com setzte die staatliche Zensurbehörde Roskomnadsor Anfang der Woche ein weiteres beliebtes Portal für Sexfilmchen auf den Index. Knapp 59 000 Webadressen sind inzwischen in Russland gesperrt. Darunter Online-Casinos und eindeutig extremistische Seiten. Aber auch Kreml-kritische Ressourcen wie etwa die russischsprachige Seite des Ex-Schachweltmeisters und Putin-Gegners Garri Kasparow (kasparov.ru).

Als Roskomnadsor im September den Marktführer PornHub aus Russland verbannte, lieferten sich die Betreiber einen Twitter-Schlagabtausch mit den Zensoren: "Wenn wir euch einen kostenlosen Premium-Zugang schenken, nehmt ihr uns dann wieder von der Stopp-Liste?", fragten sie frech. Die Beamten twitterten etwas verkniffen zurück: "Tut uns Leid, wir sind hier nicht auf dem Markt. Und die Demografie ist keine Handelsware."

Seit dem Verbot von PornHub steigt die Popularität von Anonymizern

Offenbar herrscht in der russischen Regierung die Überzeugung, es schade der Geburtenrate, wenn zu viel sexuelle Energie durch den Konsum von Nacktfilmchen vergeudet wird. Allerdings geht sie dabei nicht konsequent vor: Im russischen Facebook-Klon VKontakte sind nicht nur Raubkopien vieler Kino-Blockbuster frei zugänglich, sondern auch Pornografie aller Couleur, auch ganz üble.

Der positive Nebeneffekt kam im Januar bei einem Treffen von Verteidigern eines freien Internet im Moskauer Sacharow-Zentrum zur Sprache. Andrej Soldatow, Experte für Geheimdienste und Überwachung im Netz, erinnerte sich bei der Vorstellung seines neuen Buches an die Untergangsstimmung nach Putins Rückkehr in den Kreml 2012. Damals hätten sich die Aktivisten die Köpfe zerbrochen, wie die Menschen in Russland dazu bewegt werden könnten, Programme zu nutzen, mit denen man sich anonym im Netz bewegen und gesperrte Seiten lesen kann. "Aber seit dem Verbot von PornHub schnellen die Nutzerzahlen von Anonymizern in Russland nach oben. Roskomnadsor hat die Aufgabe für uns erledigt."

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SZ vom 08.02.2017/csi/sih
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