Internet-Regulierung:Wem gehört das Netz?

Die Icann reguliert das Internet. Bei ihrem Treffen in Dublin wird gestritten, ob Unternehmen, Regierungen oder Nutzer die meiste Macht bekommen sollen.

Von Monika Ermert

Wem kein besserer Vergleich einfällt, der nennt die Icann, die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers, gerne "die Weltregierung des Internet". Natürlich gibt es keine Regierung des Internet, aber als Reguliererin des Internet kann man die Organisation mit dem unhandlichen Namen und dem Hauptsitz im kalifornischen Marina del Rey durchaus bezeichnen. Sie entscheidet unter anderem darüber, wie neue Namensbereiche für das Netz zugelassen werden, ob es also neue Endungen wie .com oder .de geben wird.

Wie gestaltet man so einen technisch und organisatorisch komplexen Prozess? Darüber wurde beim Icann-Treffen vergangene Woche in Dublin lange und ausführlich diskutiert.

Schon seit fast zwei Jahrzehnten dürfen die Branche, Regierungsbeamte und auch ein paar Vertreter von Nutzern mitreden. Und bislang hatten die USA als Staat unilateral die Aufsicht über die Icann. Das ist vorbei. Die Icann steht am Scheideweg und vor einem großen Experiment: Kann die globale Selbstverwaltung dieser wichtigen Internet-Ressource funktionieren?

Bislang lief es so: Der US-Telekommunikationsregulierer, die National Telecommunication and Information Administration (NTIA), gab einen Vertrag an die Icann, damit diese fürs Netz ganz besonders wichtige Datenbanken managt. Es geht dabei nicht nur um die Namensbereiche, sondern auch um Datenbanken für IP-Adressen und sogenannte Protokollnummern. Erstere sind notwendig, um Geräte im Netz - Computer, Tablets, Server, Handys - überhaupt erreichen zu können. Letztere erlauben all diesen Geräten gemeinsame "Sprachen", damit sich die Geräte untereinander verständigen können. Im Bereich Protokolle und IP-Adressen ist die Icann unpolitisch. Hier führt sie nur die zentralen Datenbanken.

Doch bei den Namensbereichen, den Domainnamen, entwickelt Icann auch die Spielregeln. Es gibt viele Fragen. Einige davon lauten: Wer darf sich überhaupt um eine Domain bewerben, welche Technik und welche finanziellen Voraussetzungen muss er erfüllen? Welche Sicherheiten muss derjenige gewährleisten für die Nutzer, aber auch für die Inhaber von Markenrechten?

Ausgehandelt werden die Regeln dafür von einem komplizierten Geflecht von Gremien, in dem die Interessen zwischen Industrie, großen und kleineren Nutzern ausbalanciert werden sollen. Regierungen haben dabei eine "beratende Rolle" im Regierungsbeirat und nehmen für sich in Anspruch, das öffentliche Interesse zu vertreten. Allerdings favorisieren Beamte auch gerne mal Partikularinteressen eines Ministeriums.

USA müssen Macht abgeben

Die aktuellen hektischen Umbauarbeiten an der Icann hat die NTIA im vergangenen März ausgelöst. Da kündigte NTIA-Chef Lawrence Strickling an, die langen Zügel aus der Hand zu geben, an denen die US-Administration die Icann nach wie vor gelenkt hatte. Besonders heikel und vielen aufstrebenden Schwellenländern, aber auch manchen EU-Partnern ein Dorn im Auge: Die NTIA überprüft jede Änderung der großen Namensbereiche. Wenn .paris oder .ruhr ins Netz gehen, brauchen sie erst einen US-Stempel. Damit soll nun Schluss sein. Die "Community" soll übernehmen.

Doch was bedeutet das in einem derart verstrickten, komplizierten Organisationsprozess? "Der Nutzer wird erst einmal nichts von der Übergabe bemerken", versichert Thomas Rickert, Kölner Anwalt, der selbst an der Spitze einer der wichtigen Arbeitsgruppen für die Übergabe steht. Mittelfristig könne die Icann aber vielleicht etwas "weltoffener" werden. Denn vielleicht können künftig statt reiner US-Verträge auch einmal Verträge nach Nicht-US-Recht gemacht werden. Einen Umzug der Organisation haben die Amerikaner allerdings de facto unmöglich gemacht.

Rickerts Arbeitsgruppe hat nun ein innovatives Verfahren vorgeschlagen, wie alle möglichen Interessengruppen, die von der Icann abhängen, deren von der US-Aufsicht befreiten Vorstand im Zaum halten sollen. Dazu gehören zum Beispiel Domainregistratoren und Domainregistrierungen, kommerzielle und nicht-kommerzielle Domainnutzer, Markeninhaber, aber auch die Gremien der technischen Experten und IP-Adressverwalter.

Beim Thema Internet sind Nord und Süd gespalten

Rickerts Modell sieht vor, dass die Selbstverwalter künftig gegen vom Vorstand beschlossene Haushalte oder gegen Satzungsänderungen intervenieren können. Und das Icann-Volk soll künftig jederzeit einzelne Vorstände oder auch gleich den gesamten Vorstand abberufen können. Praktisch jedermann, so erklärte Rickert in Dublin wieder und wieder, könne künftig eine Petition starten, er muss allerdings eines der Icann-Gremien hinter sich bringen. Erfolgreich sei eine Petition, wenn am Ende nicht mehr als eines der sieben Icann-Gremien widerspricht.

Das klingt Icann-typisch kompliziert, aber auch ganz durchdacht: Kein Wunder nach Tausenden von Arbeitsstunden, die freiwillige Mitglieder und die breitere Community investiert haben.

Aber natürlich gefallen die neuen Kontrollen durch das Domain-"Volk" am Ende nicht allen, insbesondere nicht dem aktuellen Vorstand. Vetos gegen ein Budget, zum Beispiel, könnten die Stabilität der gesamten Icann gefährden, so ein Argument. Auch ein Mitgliedermodell, selbst eines, bei dem die gesamte Community reduziert auf ein einziges Mitglied gegenüber dem Vorstand auftritt, lehnt der Vorstand entschieden ab. Vielleicht - aber nur vielleicht - kann der Vorstand das nun von Rickerts Arbeitsgruppe vorgeschlagene "Designator-Modell" akzeptieren?

Während Rickert seine Idee verteidigt, kritisieren Vertreter wie der US-Professor und Icann-Experte Milton Mueller scharf, was sie als Beschneidung der öffentlichen Kontrolle sehen. Ohne Icann-Mitglieder gebe es, nach kalifornischem Recht, keine echte Aufsicht, warnte Mueller. Als "Designator" kann das Icann-Volk im Streitfall - also, wenn sich der Vorstand weigert, eine Petition umzusetzen - nur die Karte Entlassung des gesamten Vorstands ausspielen.

Rolle der Regierungen bleibt Streitthema

Der Streit zwischen dem Vorstand und seinem aufmüpfigen Volk ist aber nur einer der Grabenkämpfe. Auch im Regierungslager der Icann rumort es, weil Länder wie Brasilien, Frankreich, Argentinien, Russland und Iran nicht mit einer geplanten Satzungsänderung einverstanden sind, die vom Regierungsbeirat zwingend Konsens verlangt, damit seine Stellungnahmen vom Vorstand als offizielle Stimme der Regierungen behandelt werden.

Als Gängelung und Misstrauenserklärung an die 150 Teilnehmerstaaten bezeichnet Brasiliens Regierungsvertreter, Jandyr Ferreira dos Santos, den Vorschlag, und Frankreichs Vertreter legte nach, wenn die Konsenspflicht auf Wunsch des US-Kongresses eingeführt werde, könne man Icann wohl kaum noch als Selbstverwaltungsunternehmung verstehen. Die Rolle von Regierungen innerhalb der Selbstverwaltung war für die Dauer der gesamten Konferenz ein Streitthema, das den globalen Norden und Süden entzweite. Die USA wollen offenbar noch sicherstellen, dass die Regierungen auf keinen Fall doch noch eine kleine "Mini-UN" im Netz bekommen, bevor sie ihre Hand von der Netzverwaltung nehmen.

Der uralte Streit und auch die Reibereien zwischen Vorstand und Volk könnten am Ende die Übergabe der Aufsicht insgesamt gefährden. Wird der endgültige Vorschlag zu spät an die NTIA übermittelt, könnte er im Strudel des amerikanischen Wahlkampfes schlicht untergehen.

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