Internet in China:Zodiac und die Wiedergeburt der Revolution im Netz

Maos Liebe zum Arbeiter: Wie ein marxistisches Online-Archiv von der chinesischen Regierung attackiert wird.

Petra Steinberger

Die linken Ideologen aus dem letzten Jahrtausend scheinen gebrechlich geworden und geradezu versöhnlich im Alter. Marxisten, Trotzkisten und Leninisten lieferten sich an manch westlichen Universitäten noch bis in die achtziger Jahre hinein Grabenkämpfe. Jetzt sind sie manchmal geradezu offen bürgerlich.

Doch weil aus den eigenen Erinnerungen langsam allgemeine Geschichte werden soll, sammeln die letzten Aufrechten unter ihnen jene Texte, an die sie noch immer glauben und für die Menschen einst kämpften und starben.

Die Geschichte, die im Marxists Internet Archive (www.marxists.org / (www.marx.org / ) versammelt ist, mag denen, deren politisch bewusste Jahre vor allem diesseits der Jahrtausendwende liegen, so fern scheinen wie die Jahrhunderte des Feudalismus - oder so phantastisch wie ein Computerspiel.

Tempel der Erinnerung

In diesem bilden die Texte des Archivs die theoretische Matrix einer virtuellen Welt aus tapferen Arbeiterliedern und entschlossenen Ärztinnen und trotzigen Partisanen, über denen ein milder, nein, Gott dürfen wir nicht sagen, ein milder Mann mit Rauschebart thront. In diesem Spiel ist das Archiv ein geweihter Tempel der Erinnerung, und seine Hüter sind eine weltweit verstreute Gemeinschaft von Gläubigen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Texte zu hegen und zu mehren und sie für die Nachwelt aufzubewahren.

Doch diese ideelle Welt wird nun angegriffen - von feindlichen Kriegern aus dem fernen Osten. Sagen die Hüter. Seit ein paar Wochen wird das Archiv über das Internet attackiert - mit ,,denial of Service''-Angriffen, in denen ein externer Computer immer wieder dasselbe Dokument herunterlädt und so anderen Archivbesuchern den Zugang verschließt. Und 99 Prozent dieser Angriffe, heißt es beim Marxists Internet Archive, stammen aus China.

Die IP-Nummern verraten die Herkunftsorte: etwa die chinesische Eisenbahn-Telefongesellschaft in Peking, die Xinhua Nachrichtenagentur, die medizinische Universität von Nanking. Aber die Hüter des Archivs vermuten, dass die chinesische Regierung selbst dahintersteckt. Immerhin, sagen sie, würden vor allem die chinesischen Webseiten des Archivs mit DoS-Attacken angegriffen. Immerhin habe China die Internetseite vor zwei Jahren schon einmal verboten. Und tatsächlich hat Chinas Parteichef Hu Jintao gerade verkündet, das Internet müsse nun endlich ,,gesäubert'' werden.

Nun stellt sich die Frage, wieso ausgerechnet das offiziell maoistische China etwas gegen das Marxists Internet Archive haben sollte - und nicht etwa das sich im Dauerfeldzug gegen das Böse befindliche Amerika. Und bekanntlich werden viele der nicht ganz legalen Tauschgeschäfte ebenso wie Hackerangriffe über chinesische Server geleitet, weil diese ziemlich schlecht gesichert sind.

Doch hat die Volksrepublik China nicht ein besonderes Interesse daran, ihr marxistisch-maoistisches Erbe online und damit für jeden, also auch jeden Chinesen zugänglich zu wissen? Die Hüter des Archivs bezweifeln das. ,,Die so genannte kommunistische chinesische Regierung'', sagte ein Mitarbeiter des Archivs der New York Times, ,,hat mit Kommunismus nichts zu tun. Es driftet seit langem in Richtung Kapitalismus.'' Was nicht neu ist - aber so undankbar sind sie eben, die Kinder der Revolution.

Hämmern und sicheln

Vielleicht wird das Archiv von China aber auch deswegen attackiert, weil es ,,heftig der trotzkistischen Seite zugeneigt ist'', wie ein besorgter Web-Kommentator meint, und ,,weil eine Menge dort trotzkistischen, nicht-stalinistischen Materials versammelt ist''. Eine Bemerkung, die vermuten lässt, dass die alten Grabenkämpfer zwischen Dogmatikern und den menschenfreundlicheren Trotzkisten vielleicht doch noch nicht so ermattet sind, wie man glaubte, sondern sich in den Tiefen des weltweiten Netzes die Zitate um die Ohren hauen.

Und vielleicht hat Chinas Regierung einfach nur etwas dagegen, dass der einstmalige Bibliothekar und spätere Vorsitzende Mao im marxistischen Archiv nur als ,,Referenzautor'' geführt wird - als ein Autor also, der für das Verständnis des Marxismus zwar wichtig ist, aber selbst kein Marxist war, wie einen solchen das Archiv definiert. Denn Mao, sagt der Mitarbeiter des Archivs, scheiterte an einer Schlüsselfrage: ,,Tat er etwas dafür, die Arbeiter zu befreien?''

Die Arbeiter, das sind auch jene Millionen, die im globalisierten Wettstreit gerade im heutigen China nicht viel zu sagen haben, auch wenn sie fleißig am chinesischen Wirtschaftswunder mitwirken. Aber vielleicht sind sie es, die eines Tages die alten Schriften wiederentdecken, so, wie es die Väter des marxistischen Archivs einst gehofft hatten. ,,Im Jahr 1990'', heißt es in ihrem Gründungsmythos, ,,begann in einem unbekannten Informationswirbel namens Internet ein Krieg.

Während Bibliothekare und etablierte Medienschaffende ihrem Geschäft nachgingen und nichts vom nahenden Sturm ahnten, kämpften Marxisten über das gesamte Spektrum der Newsgroups gegen Faschisten und Postmodernisten in einer Schlacht um Information ... Marxisten brauchten einen Schutzraum, ein Archiv... 1990 begann ein Arbeiter namens Zodiac damit, den Marxismus Stück für Stück zu archivieren. Wir hatten keine Antworten; wir hatten Information.'' Und das passt heute jemanden offenbar nicht.

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