Internet in China:Digitale Denunziation

Ein Spiegel der Gesellschaft: China bezahlt seine Bürger für Spitzeldienste im Internet. Für Hinweise auf Pornoseiten winken beachtliche Beträge.

Johannes Boie

In kommunistischen Diktaturen kann man sich als einfacher Bürger ein bisschen was dazu verdienen. Davon können in Deutschland zum Beispiel mehrere Mitglieder der Linkspartei in Brandenburg aus eigener Erfahrung berichten. In anderen Ländern gilt das Prinzip, Bürger für Spitzeleien zu bezahlen, bis heute.

Internet in China: Internet-Café in China: Geld für Spitzeldienste

Internet-Café in China: Geld für Spitzeldienste

(Foto: Foto: Reuters)

Zu diesen Ländern gehört die Volksrepublik China, deren erfolgreiche Teilnahme am globalen Kapitalismus und Marktöffnung gen Westen den Parteikadern noch lange nicht den Spaß an der klassisch-kommunistischen Zensur, am Kontrollieren und Überwachen genommen hat. Ganz im Gegenteil - was aus dem Westen an Medien in das Land strömt ist weit weniger willkommen als die harten Dollars der Investoren.

Die größte Mauer, spotten westliche Beobachter deshalb schon seit langem, sei nicht mehr in Badaling zu finden, sondern per Mausklick an einem chinesischen Rechner. Wie sonst nur in radikal-islamischen Ländern sind in China Webseiten und E-Mail-Dienste gesperrt. Ob auch Pornographie den Zensoren persönlich als verabscheuungswürdig gilt, weiß man nicht.

Sie wären nicht die ersten Funktionäre, die jenen Wein genießen, den sie dem Volk verbieten. Wohl aber ist bekannt, dass frei zugängliche Nackt- und Sexaufnahmen den Kadern nicht gefallen.

Geld für Hinweise auf Pornographie

Zwischen 1000 und 10.000 Yuan, also zwischen 99 und 990 Euro erhalten deshalb seit Anfang Dezember Chinesen, die Behörden auf Webseiten pornografischen Inhalts aufmerksam machen. Das Programm ist Teil einer großen Kampagne des "Nationalen Büros gegen Pornografie und illegale Veröffentlichungen".

Es ist aber auch ein Sozialexperiment im digitalen Raum. Bislang dient das Netz vielen als Beweis für die Leistungskraft von Kollektiven: Machtvoll, produktiv und selbst reguliert kann die Masse der Nutzer agieren. Das Online-Lexikon Wikipedia muss derzeit zwar die eine oder andere Krise überstehen, ist aber seit Jahren zu Recht ein Paradebeispiel für selbstorganisierte, erfolgreiche Arbeit einer eher zufällig zusammengekommenen Masse.

Digital optimierter Spiegel der Gesellschaft

Die chinesischen Zensurbehörden werden diese Wahrnehmung öffentlich ändern, denn man lässt Surfer nicht nur mit monetären Anreizen zu digitalen Spitzeln mutieren, sondern präsentiert die messbaren Erfolge der Taktik auch öffentlich: In den ersten 24 Stunden seien über 500 Anrufe und 13.000 Hinweise per Mail eingegangen, berichtet die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua. Offensichtlich wussten ein paar der 300 Millionen chinesischen Surfer ganz genau, wo sie suchen mussten.

So wird die chinesische Zensur mit Hilfe der Denunzianten unter den Bürgern zu einem Lehrstück über die simple, aber desillusionierende Einsicht, dass das Netz derzeit nicht mehr sein kann als ein Spiegel der real existierenden Gesellschaft. Es gibt keine geheime Intelligenz, die tief verborgen im digitalen Geflecht den Menschen zum Besseren bekehrt. Die ihn digital optimiert, ihn sanft und leise zum Wikipedia-Autoren, zum furchtlosen, freiheitsliebenden Blogger oder zum kreativen Programmierer bekehrt. Der Mensch bleibt was er ist, gut oder böse, käuflich oder nicht. Im Digitalen wie im Realen.

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