Generationenkonflikt:Es sagt ja auch keiner "Generation Kühlschrank"

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Man könnte zum Beispiel argumentieren, dass die gesellschaftliche Verbreitung des Kühlschranks einen Beitrag zur Geschlechtergerechtigkeit und zur Emanzipation der Frauen geleistet habe. Dennoch käme niemand auf die Idee, deshalb mit Blick auf diejenigen, die ihn erstmals flächendeckend nutzten, von einer "Generation Kühlschrank" zu sprechen. Beim Internet hat die Gesellschaft diese Phase des Hype-Zyklus noch nicht erreicht, was man zum Beispiel daran erkennt, dass mehr darüber gesprochen wurde, auf welche Weise Rezo sein Video "Die Zerstörung der CDU" veröffentlicht hat (YouTube!) als darüber, was er inhaltlich zu kritisieren hatte. Das ist ganz so, als würde ein kritischer Zeitungskommentar vor allem mit Blick auf das verwendete Papier und die Drucktechnologie bewertet.

Auslöser für diese Rede von der digitalen Generation ist der New Yorker Autor Marc Prensky. Er nutzte im Jahr 2001 erstmals ein Begriffspaar, das die Debatte über das Internet bis heute prägt. Er verglich das Internet mit einem Kontinent, auf dem es eingeborene Menschen gibt und solche, die nur zugereist sind. "Digital Natives" wurde zu einem Generationenbegriff für diejenigen, die eine Welt ohne Internet gar nicht kennen und heute diejenigen sind, die nicht mehr so selbstverständlich ihr Kreuz auf dem Wahlzettel bei der Union oder der SPD machen wie ihre Eltern.

In Prenskys Metapher, die von Angela Merkel im Sommer 2013 mit ihrem Neuland-Zitat fortgeführt wurde, steckt aber ein Problem, das vergleichbar ist mit der schwarzen Internet-Kiste aus "IT-Crowd". Die Idee, das Internet als Kontinent zu denken, legt den Verdacht nahe, man könne sich auch dagegen entscheiden, es zu bereisen. Das war vielleicht 2001 noch so, aber diese Phase ist vorbei. Spätestens seit der Wahl scheint aber zu gelten: Wer am Internet nicht teilnimmt, nimmt nicht mehr an der Gegenwart teil.

Das Internet ist eine riesige Kopiermaschine

Leonard Kleinrock vergleicht das Internet deshalb mit Sauerstoff. Kleinrock ist US-amerikanischer Informatiker und gilt als einer der Väter des Internet. Etwas enttäuscht fügt er in einem Interview hinzu: "Allerdings fragt sich niemand, woher der Sauerstoff eigentlich kommt." Wenn man das rausfinden will, muss man zumindest kurz die Motorhaube der Maschine Internet aufklappen - und sieht dann vor allem eins: Kabel.

Denn ohne Kabel gäbe es kein Internet, auch nicht im Mobilfunk und im WLAN. Dicke Stränge, die unter den Ozeanen die Kontinente und unter den Gehsteigen die Häuser mit den zentralen Knotenpunkten verbinden, bilden die Grundlage für das Internet. Über sie werden Daten kopierend durch die Welt geschickt. Denn in erster Linie ist das Internet eine riesige Kopiermaschine, die Daten dupliziert und so verbreitet. Dies gelingt nicht über eine Verbindung, die zwischen Anfang- und Endpunkt gespannt wird, sondern über ein Netzwerk ganz unterschiedlicher Verbindungen.

Wenn zum Beispiel eine Mail von München nach Berlin geschickt werden soll, geschieht dies mit Hilfe sehr vieler kleiner Pakete, in die die Mail technisch zerlegt wird. Diese Informationspakete suchen sich jeweils unterschiedliche Wege zum Ziel und werden erst am Ende wieder zusammengefügt - und zwar völlig unabhängig von ihrem Inhalt. Das Netz behandelt alle Inhalte gleich, das Prinzip heißt Netzneutralität und ist genauso wichtig wie die Tatsache, dass das Netzwerk der Netzwerke ohne zentralen Steuerungspunkt auskommt.

Würde das Internet einen Atomangriff überstehen?

Man nennt dieses Verfahren "paketvermittelte Kommunikation" und dies ist einer der Gründe, warum sich nachhaltig das Gerücht hält, die Infrastruktur des Internet sei so konzipiert worden, dass sie einen Atomangriff übersteht. Ganz praktisch genügt jedoch schon ein zerstörtes Kabel an zentraler Stelle, um ganze Stadtteile vom Internet abzutrennen. Richtig ist hingegen, dass es durch die dezentrale Infrastruktur unmöglich ist, eine zentrale Steuereinheit und damit das ganze System auf einen Schlag lahmzulegen.

Möglich wurde dies, weil es Leonard Kleinrock und seinen Mitstreitern im Oktober 1969 gelang, eine erste Verbindung über das so genannte Arpanet herzustellen. Dieses bestand zu Beginn aus vier Rechnern, die im Stanford Research Institute, an der Universität in Utah, an der Universität in Santa Barbara und im Raum 3420 der Universität von California aufgebaut waren. Dort steht noch heute der kühlschrank-große Kasten, der rund 400 Kilogramm wiegt und damals als Mini-Computer galt. Es ist ein IMP (Interface Message Processor) vom Typ Honeywell DDP-516, der auf der Vorderseite einen Aufkleber trägt, auf dem steht: "Entwickelt für die Advanced Research Projects Agency (ARPA)". Dabei handelt es sich um eine Behörde des US-Verteidigungsministerium, die in den 1950er-Jahren als Reaktion auf die Aktivitäten der damaligen Sowjetunion im All gegründet wurde, um Forschungsaktivitäten durchzuführen. Ihr vermutlich bekanntestes Projekt basiert dabei auf dem kühlschrank-großen Mini-Computer aus Los Angeles: Das Arpanet gilt als Vorläufer dessen, was man heute das Internet nennt.

Und wenn man heute vom Internet spricht, das hat die Wahl gezeigt, spricht man häufig von der Gesellschaft. Vielleicht nähert man sich dem Thema also am besten, indem man das Netz als Spiegel der Gesellschaft betrachtet. Das bezieht sich natürlich nicht auf die selbstreferentielle Selfie-Kultur der sozialen Netzwerke, sondern vor allem darauf, dass durch das Internet gesellschaftliche Entwicklungen und Probleme sichtbar werden, die ihren Ursprung nicht in der Technologie haben, sondern im sozialen Gefüge.

Wenn man herausgefunden hat, wie man das Auto startet, fängt die Arbeit erst an

Das heißt, wenn man die Perspektive etwas ändert, kann man durch das Internet in eine Art ein Rück- oder Seitenspiegel schauen, was hilft, den Blick zu weiten. Dieser Blick zeigt Entwicklungen, die neu und vielleicht auch verstörend sind. Er scheint den Parteien der alten Bundesrepublik bisher nicht gut gelungen zu sein. Aber es ist nicht unmöglich, nochmal hinzuschauen.

Übertragen auf das bereits erwähnte Bild vom Auto, dessen Funktionsweise man kennenlernen sollte, heißt das: Wenn man herausgefunden hat, wie man das Fahrzeug startet, fängt die Arbeit erst an. Man muss einen Führerschein machen und herausfinden, wie man das Auto steuert. Das ist keine private Angelegenheit, sondern eine Frage von Vorsicht und Rücksicht im Straßenverkehr: eine gesellschaftliche Herausforderung, die sich bei jeder Fahrt neu stellt.

Das ist auf der Datenautobahn nicht anders. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer müssen anfangen, Fahrstunden zu nehmen. Unternehmen, Organisationen und Parteien werden Phasen der digitalen Alphabetisierung erleben und irgendwann aufhören, über das Fahrzeug zu sprechen und den Blick auf die Wegstrecke lenken. Dann beginnt endlich der Streit darüber, wohin die Reise gehen soll. Das ist aber nicht schlimm, sondern schon immer der Gegenstand der Debatte zwischen Generationen.

Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Version des Textes wurde irrtümlich behauptet, das Büro von Jen in der Serie IT-Crowd sei nicht im Keller. Das ist falsch.

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