Süddeutsche Zeitung

Internet-Enquete-Kommission:Politik-Geschacher entzweit Internet-Regierungsberater

Eine tiefe Spaltung geht durch die Enquete-Kommission, die der Regierung Empfehlungen zur Internet-Politik geben soll: Gerade die Themen Netzneutralität und Datenschutz führen zu parteitaktischen Querelen - nun wird eine wichtige Abstimmung verschoben.

Die Internet-Enquete-Kommission des Bundestags hat sich nach einem heftigen Streit bis Herbst vertagt. Das Gremium von 17 Abgeordneten und 17 Sachverständigen folgte damit einem Antrag aus den Reihen der Regierungskoalition. Zuvor waren überraschend mehrere Anträge aus dem Oppositionslager zum Thema Urheberrecht mit knapper Mehrheit gebilligt worden.

Anstatt wie geplant Empfehlungen zur Netzneutralität und zum Datenschutz zu beschließen, wurden die Beratungen bis zur Sitzung nach der Sommerpause verschoben. Abgeordnete der SPD, der Grünen und der Linken sowie mehrere Sachverständige warfen den Koalitionsparteien vor, mit "taktischen Spielchen" eine Abstimmung über die gesetzliche Festschreibung der Netzneutralität verhindert zu haben - damit ist die Gleichbehandlung aller Daten im Internet unabhängig von kommerziellen Interessen gemeint.

Am Vormittag sprach sich die Kommission für eine grundlegende Anpassung des Urheberrechts an Erfordernisse der digitalen Gesellschaft aus. Im Schnellverfahren wurden die Anträge durchgewunken, wobei die Koalition mehrfach überstimmt wurde, bis sie überraschend eine Mittagspause beantragte.

Schließlich stellten die Vertreter und Sachverständigen der Koalition nach der Unterbrechung den Antrag, die Punkte Netzneutralität und Datenschutz auf den Herbst zu vertagen. Als Grund gaben sie vor allem die durch die Abstimmung nun inkongruenten und widersprüchlichen Textstellen an, in denen man sich nur noch schlecht zurechtfinden könne.

Opposition, Sachverständigenvertreter, aber auch Internet-User, die den Livestream der Sitzung im Netz verfolgten, zeigen sich empört über diesen Antrag und vermuten dahinter rein taktische Überlegungen. Die Grünen-Abgeordnete Tabea Rößner erklärte in einer Twitter-Nachricht, dass sich die Enquete-Kommission in der Öffentlichkeit "komplett lächerlich" mache, würden die Punkte erneut verschoben.

Manöver als Parteitaktik kritisiert

Der Vorwurf: Die Koalition wolle durch das Manöver die Gefahr bannen, auch in diesen Punkten überstimmt zu werden. Eine heftige Diskussion über die Arbeitsweise der Kommission entbrannte, bevor nach einer weiteren Pause der Antrag auf Vertagung mit einer knappen Mehrheit angenommen wurde.

Markus Beckedahl, selbst als Sachverständiger in die Komission berufen zeigte sich auf seinem Blog netzpolitik.org enttäuscht und bezeichnete die Beratungen als "Schmierenkomödie". "Die Koalition hat kein Interesse daran, dass die von ihr einberufene Enquete-Kommission für die Empfehlung einer gesetzlichen Festschreibung der Netzneutralität mehrheitlich stimmt."

Die Koalitionsmitglieder wiesen die Vorwürfe zurück. "Wir haben als Koalition in den Projektgruppen viele Kompromisse gemacht.", sagte der CDU-Abgeordnete Thomas Jarzombek. Bei den Abstimmungen zum Wortlaut des Zwischenberichts wollte man wieder eigene Standpunkte durchsetzen.

Entscheidend war das Stimmverhalten der 17 Sachverständigen, die entsprechend der Fraktionsstärken von den Parteien vorgeschlagen wurden - aber nicht unbedingt immer in deren Sinne stimmten. "Ich habe so abgestimmt, wie man es von einem Sachverständigen erwartet, dass man nach seinem eigenen Sachverstand abstimmt", betonte der Bielefelder Künstler und Netzaktivist padeluun, der von der FDP-Fraktion vorgeschlagen worden war.

Am Ende war er aber dann doch das Zünglein an der Waage und folgte dem Antrag des Regierungslagers auf Verschiebung der weiteren Entscheidungen. Das Ergebnis der Abstimmungen vom Vormittag waren Empfehlungen, die die Internet-Szene aufhorchen ließen.

Das Gremium empfahl unter anderem das Recht auf eine Privatkopie auch für Downloads im Internet. Die Kommission sprach sich für den Vorschlag einer Kultur-Flatrate aus, als "gesetzliche Verankerung eines Anspruchs von Urheberinnen und Urheber gegen Provider auf Zahlung einer Vergütung durch die Verwertungsgesellschaften".

Außerdem sollen derzeit rechtlich unsichere Nutzungsformen klar geregelt werden. So etwa Streaming-Angebote, bei denen Musik oder Filme im Internet direkt übertragen werden, ohne dass dabei eine Speicherung der Daten auf dem Computer vorgesehen ist.

Kein Sperren des Internet-Zugangs

Bei der Bestrafung von sogenannten Raubkopierern wandte sich die Kommission dagegen, Straftätern zeitweise den Internet-Zugang zu sperren, wie es in den vergangenen Jahren in Frankreich diskutiert worden war. Auch empfahl die Kommission der Bundesregierung, "keine Initiativen für gesetzliche Internetsperren bei Urheberrechtsverletzungen zu ergreifen".

Die Enquete-Kommission Internet und Digitale Gesellschaft wurde im Mai 2010 vom Bundestag eingesetzt. Ihre Arbeit ist auf zwei Jahre angelegt. Der jetzt zunächst nicht zustande gekommene Zwischenbericht sollte nach einem Jahr vorgelegt werden.

Einvernehmlich beschlossen wurden bisher nur Empfehlungen zur Medienkompetenz. Hier sprach sich die Kommission dafür aus, alle Schüler mit Notebooks auszustatten und auch Lehrmittel wie Schulbücher digital bereitzustellen.

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