Internet:123 Dienste dominieren das Online-Tracking

IT-Sicherheitsforscher haben eine Million Webseiten untersucht: Das Geschäft mit der Erfassung der Nutzer konzentriert sich auf wenige Dienste - obwohl es 81 000 gibt.

Von Hakan Tanriverdi, New York

Es gibt mindestens 81 000 Online-Trackingdienste, die Internetnutzer auf ihrer Reise durch das Netz begleiten. Das haben IT-Sicherheitsforscher der Universität Princeton in der bisher größten Studie dieser Art herausgefunden, in der sie die reichweitenstärksten Webseiten weltweit analysiert haben. Diese Drittanbieter wissen detailliert Bescheid, wofür sich die Nutzer interessieren, die sie verfolgen.

Eine Million Webseiten wurden für die Studie untersucht, im Januar wurden insgesamt 90 Millionen (Http-)Anfragen verschickt. Doch auch wenn sie 81 000 Dienste gefunden haben, kommen die Forscher zum Ergebnis, dass reguläre Internetnutzer während des täglichen Surfens nur auf einen Bruchteil davon treffen dürften. Denn die Untersuchung hat ebenfalls ergeben, dass lediglich 123 aller Tracking-Dienste sich auf mehr als einem Prozent aller Webseiten befinden.

"Diese Resultate könnten für die Leser ein bisschen überraschend sein, angesichts der zahllosen Berichte über eine Explosion beim Tracking durch Drittanbieter", heißt es in dem Paper der Forscher Steven Englehardt und Arvind Narayanan. Ihre Daten legen nahe, dass der Markt sich konsolidiert hat.

Datenschützer diskutieren mit Inhalte-Anbietern

Die Ergebnisse der Studie bringen mehr Klarheit in eine Debatte, die seit Jahren hitzig geführt wird. Auf der einen Seite stehen Datenschützer, die vor Tracking-Diensten warnen, da diese ihrer Meinung zu tief in die Privatsphäre der Nutzer eingreifen. Auf der anderen Seite stehen vor allem Inhalte-Anbieter, die auf sinkende Einnahmen aus dem Werbegeschäft verweisen. Die Fronten sind derart verhärtet, dass ein Versuch, die Frage industrieweit zu regeln, nach fünf Jahren Diskussion faktisch gescheitert ist.

Um festzulegen, was ein Tracker ist, haben sich die Forscher an Listen orientiert, auf deren Basis Adblocker funktionieren, also Dienste, die Werbung aus Webseiten herausschneiden, so dass der Nutzer die Anzeigen nicht mehr sieht.

Nutzer zu tracken kann - neben dem Schalten von Anzeigen - verschiedene Gründe haben. Netflix schaut seinen Kunden bei deren Film-Konsum genau zu. Auf Basis der erhobenen Daten werden ihnen neue Filme vorgeschlagen und Netflix merkt sich, in welcher Staffel, in welcher Folge ein Nutzer sich gerade befindet. Die Süddeutsche Zeitung setzt Tracking-Dienste ein, um ein Abo-Modell zu etablieren. Regelmäßige Besucher werden so daran erinnert, dass sie viele Artikel lesen - und das Recherchieren und Schreiben dieser Artikel Geld kostet. Die Kritik an Tracking-Diensten richtet sich hauptsächlich gegen das Anzeigengeschäft.

Auf den ersten fünf Plätzen der Princeton-Erhebung liegen ausschließlich Google-Produkte. Mit dem Dienst Doubleclick werden zum Beispiel Werbeplätze auf Webseiten verkauft. 447 963 Webseiten binden ihn ein. Innerhalb der Top 20 befinden sich 12 Dienste, die zu Google gehören (SZ.de nutzt den Google-Dienst AdSense). "Google, Facebook und Twitter sind die einzigen Drittanbieter, die auf mehr als zehn Prozent aller Webseiten präsent sind", schreiben die Forscher. Das könnte auch daran liegen, dass alle drei Plattformen es den Nutzern ermöglichen, Inhalte schnell in sozialen Netzwerken zu teilen (auch SZ.de setzt diese Sharing-Knöpfe ein).

Kampf dem "Super-Cookie"

Doch das bloße Sortieren nach Häufigkeit hat einen offensichtlichen Nachteil. Tauchen Dienste bei wenigen, aber wichtigen Webseiten auf, beim Gros des Rests aber nicht, fallen sie durchs Raster. Das Ergebnis wird so verzerrt. Die Forscher untersuchten deshalb auch die "Prominenz" - also wie wichtig die Seiten sind, auf denen die Tracker laufen. Dienste wie das Rubicon Project spezialisieren sich auf das Verkaufen von Anzeigen in Millisekunden und sind auf den Top-Seiten verbreitet. Wegen dieser "Prominenz" schiebt der Dienst sich in die Top 20.

Ebenfalls untersucht haben die Forscher, auf welchen Webseiten die meisten Tracking-Dienste zu finden sind. Der Webdienst Alexa führt nicht nur die reichweitenstärksten Seiten, sondern klassifiziert das Ranking auch nach Kategorien wie Gesundheit oder Sport. Ergebnis der Forscher: Nachrichtenseiten setzen die meisten Tracking-Dienste ein.

"Da viele dieser Seiten Inhalte kostenlos anbieten, und ihnen eine externe Finanzierungsquelle fehlt, sind sie gezwungen, Seitenaufrufe mit deutlich mehr Werbung zu finanzieren", schreiben die Forscher. Auch SZ.de setzt Tracking-Dienste zu diesem Zweck ein und bittet Nutzer, Adblocker entweder nicht einzusetzen oder aber in den Einstellungen eine Ausnahmeregel festzulegen*. Andere Webseiten wie Bild oder Wired sind dazu übergegangen, Nutzern den Zugriff auf Inhalte zu verwehren solange ihr Adblocker eingeschaltet ist.

Forscher wünschen sich mehr Druck auf Tracking-Branche

Die Forscher haben das technische Rückgrat, mit der die Studie durchgeführt wurde, der Öffentlichkeit verfügbar gemacht. Die Daten sollen laufend aktualisiert werden. Der Dienst heißt OpenWPM und ist quelloffen, also auch von Dritten überprüf- und einsetzbar. Das soll dazu dienen, Druck auf die Drittanbieter aufzubauen.

Denn ein zentrales Ergebnis der Studie ist aus Autorensicht positiv und hängt mit der relativ niedrigen Anzahl von insgesamt weit verbreiteten 123 Diensten zusammen: "Wir können davon ausgehen, dass es sich um Einheiten handelt, die groß genug sind, dass deren Verhalten durch öffentlichen Druck oder juristische Aktionen reguliert werden kann." Das heißt: Die Forscher gehen davon aus, dass die Firmen groß genug sind, dass Behörden und Öffentlichkeit sehr genau wissen, wen sie besonders genau beobachten müssen.

Ein Beispiel für das, was möglich ist, ist der Fall Verizon. Der Telefonanbieter setzte auf Smartphones einen so genannten "Super-Cookie" ein. Cookies ersparen Nutzern zum Beispiel das Eingeben von Passwörtern, um sich in sozialen Netzwerken anzumelden. Die Nutzer wussten über diesen Cookie nicht Bescheid, sie konnten ihn auch nicht löschen, was absolut unüblich ist. Erst auf öffentlichen Druck hin machte Verizon den Einsatz des Cookies verbraucherfreundlicher. Das Unternehmen zahlte eine - symbolische - Strafe in Höhe von 1,35 Millionen Dollar. Wichtiger ist: Nutzer müssen nun zustimmen, bevor ihre Daten erhoben werden.

In eigener Sache: SZ.de erklärt auf dieser Seite, welche Tracker auf der Seite eingesetzt werden und wie sie deaktiviert werden können.

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