Süddeutsche Zeitung

Soziale Netzwerke:Cybermobbing trifft vor allem Frauen

  • In sozialen Netzwerken werden vor allem Frauen beleidigt oder bedroht, erpresst oder gestalkt - und ziehen sich dann aus dem Diskurs im Internet zurück.
  • Cybermobbing wird zwar oft geahndet, doch Strafverfolgung ist schwerfällig.
  • Internetkonzerne werden von Männern dominiert, die Netzinhalte ebenfalls.
  • Nur zögerlich werden Maßnahmen gegen dieses Missverhältnis ergriffen.

Von Alexandra Borchardt

Caroline Criado-Perez war es nur um Bilder gegangen. Die britische Feministin hatte durchgesetzt, dass auf Pfundnoten künftig nicht ausschließlich Männerköpfe prangen werden. Im Netz wurde sie dafür mit Vergewaltigung und Tod bedroht. Ähnliches hat die amerikanische Journalistin Amanda Hess erlebt, die im vergangenen Jahr einen Text mit dem Titel veröffentlichte, warum Frauen im Internet nicht willkommen seien.

Der "digitale Graben" war in der Demokratiedebatte bislang vor allem eine Umschreibung dafür, dass ärmere, weniger gebildete, technikscheue und alte Menschen in einer zunehmend von Online-Angeboten dominierten Welt von Information und Beteiligung abgehängt sein könnten. Doch während immer mehr Bürger Zugang zum Netz haben, sich die eine Kluft also gerade ein wenig schließt, entsteht ein neuer digitaler Graben: Vor allem Frauen sind in sozialen Netzwerken derart von Cybermobbing betroffen, dass sich viele aus der digitalen Öffentlichkeit zurückziehen oder sich nicht mehr dort hineinwagen. Dies wurde kürzlich auf der Veranstaltung "Wessen Internet?" der Friedrich-Ebert-Stiftung deutlich.

Und das ist nicht trivial. Für die Generation, die mit dem Netz aufgewachsen ist, kann sich das so anfühlen, als würde sie aus dem öffentlichen Leben verbannt. Das trifft Einzelne besonders hart, denn die Betroffenen sind oft traumatisiert. Es entwickelt sich aber auch ein strukturelles Problem, weil sich andere dann gar nicht mehr vorwagen mit Meinungen, die anecken könnten. Aus Furcht, zum Opfer zu werden, bleiben sie stumm. "Frauen werden online zum Schweigen gebracht - wie im richtigen Leben", betitelte der Guardian vergangene Woche einen Text von Fiona Martin von der Universität Sidney.

Natürlich richtet sich Cybermobbing auch gegen Männer. Fachleute sehen aber einen Unterschied: Männer würden meist als Person, also wegen ihrer Meinungen oder Taten attackiert und nicht als Gruppe, also weil sie Männer seien. Auch werde ihnen seltener Gewalt angedroht.

Rufschädigung aus Rache

Frauen sind einerseits dem verbalen Missbrauch auf Twitter oder Facebook überproportional ausgesetzt, bei dem sich Täter und Opfer gar nicht kennen. Selbst die Bundesfamilienministerin erhält sexistische Kommentare. Andererseits sind Frauen auch verstärkt Ziel von Rachefeldzügen, die ihren Ursprung in der realen Welt haben, im Internet aber eine besondere Wucht bekommen. Katja Grieger vom Bundesverband Frauenberatungsstellen sprach von einer "explosionsartigen Zunahme" in den vergangenen Jahren. Was am häufigsten passiere: Männer stellten nach einer Trennung Nacktbilder ihrer Ex-Freundinnen ins Netz oder erpressten sie damit, verschmähte Bewunderer stalkten Frauen oder versuchten gezielt, ihren Ruf zu schädigen. Gruppen junger Männer attackierten junge Frauen sexuell und posteten Videos davon wie Trophäen.

Hier zeigt sich ein Dilemma der Demokratie im Umgang mit dem Netz. Natürlich gelten in der digitalen Welt die gleichen Gesetze und juristischen Maßstäbe wie in der realen; ein Großteil solcher Taten ist verboten und wird verfolgt. Nur ist Demokratie von Natur aus langsam. Es dauert also, bis alle Wirkungsweisen verstanden und die nötigen Mittel gegen Missbrauch gefunden worden sind. Das Netz aber ist schnell, das digitale Gedächtnis mächtig.

Und es gibt ein zweites Dilemma: Die großen Aggregatoren im Netz, Unternehmen wie Facebook, Google oder Twitter, folgen einer technologischen Logik, sie geben sich weitgehend wertfrei und unpolitisch. Das ist bei Wirtschaftsunternehmen nicht ungewöhnlich. Aber die Kommunikationskanäle des Internets sind mittlerweile so wichtig wie das öffentliche Straßennetz, in diesem Fall eines, in dem es - um im Bild zu bleiben - kaum Verkehrsregeln und keine Führerscheinpflicht gibt. Dadurch gilt das Recht des Schnelleren, des Lauteren.

Algorithmen bedienen die individuellen Interessen der Nutzer. Sie unterscheiden nicht zwischen wünschenswerten und destruktiven Interessen, konstruieren dadurch eine Wirklichkeit, in der sich Radikale in der Mehrheit fühlen können. Kleine extreme Gruppen und ihre Mitläufer oder beliebte Wortführer können schnell viel zerstören. Von einem antidemokratischen Backlash, einem Rückschlag, war auf der Tagung häufig die Rede.

Lassen sich aber insbesondere Frauen aus dem digitalen Leben verdrängen, verschärft sich ein weiteres strukturelles Merkmal der Netzwelt: Sie ist eine Welt der weißen Männer. Die Nerd-Kultur des Silicon Valley prägt nicht nur die Erfindungen des digitalen Lebens, sondern auch seine Inhalte. Zwar bloggten sogar mehr Frauen als Männer, aber die wichtigen, die "A-Blogs", würden in der Mehrzahl von Männern verfasst, berichtete Ricarda Drüeke (Salzburg). Fiona Martin schreibt, auf manchen Nachrichtenseiten posteten Männer 80 Prozent aller Kommentare.

Auch in der Computerspiel-Szene haben es Frauen schwer, in Spielen kommen sie stereotypisch als Sexsymbole vor. Im vergangenen Jahr hatte dies im Netz eine große Kontroverse ausgelöst, es war von Gamergate die Rede. Beim Online-Lexikon Wikipedia sind nur zehn Prozent der Autoren Frauen, in Deutschland noch weniger. Etwa das gleiche Verhältnis herrscht bei den Wikipedia-Administratoren. Das Nachschlagewerk beschreibe sich als unpolitisch und "postgender", sagte der Soziologe Andreas Kemper, der selbst dort schreibt. Aber genau das ist eine politische Aussage: Man befreit sich damit von der Verpflichtung, etwas gegen dieses Missverhältnis zu tun.

Firmen dürfen sich nicht "neutraler" Technologie verstecken

Nun wünscht sich niemand, dass Facebook, Google und Co. zu Zensoren werden. Dennoch haben sich die Unternehmen viel zu lange auf die Meinungsfreiheit berufen, um Dinge einfach laufen zu lassen. Sie operieren bislang nach dem Prinzip, der Nutzer wisse alles am besten; natürlich, denn dahinter steckt ja ein Geschäftsmodell: Den Anzeigen- oder Datenkunden ist es egal, welche Inhalte den Verkehr auf die Seiten bringen. Was aber, wenn der Nutzer ein gewalttätiger Islamist, ein hasserfüllter Rechtsradikaler oder eine rachedurstige Einzeltäterin mit vielen Followern ist?

Erst langsam beginnen die Netz-Konzerne zu reagieren, indem sie Meldeknöpfe für beleidigende Inhalte einführen oder grausame Videos schnell entfernen. Oft geschieht das aber erst, nachdem Regierungen darauf gedrungen haben. Die Firmen dürfen sich nicht hinter der Technologie verstecken. Sie müssen klarmachen und wann immer möglich per Design dafür sorgen, dass sie Missbrauch auf ihren Kanälen nicht dulden. Daran werden sie ein Interesse haben, wenn sie eine strenge Regulierung vermeiden wollen.

Die Politik muss die Mechanismen des Netzes besser verstehen und die Gesetze daran anpassen. Um den digitalen Graben zu schließen, reicht es nicht aus, schnelles Internet in die Provinz zu bringen. Schwache müssen besser vor digitalem Missbrauch geschützt, die Aufklärung darüber sollte verbessert werden. Ob es einen Strafttatbestand Cybermobbing geben muss, wie ihn Dagmar Freudenberg vom Deutschen Juristinnenbund fordert, sollte zumindest diskutiert werden.

Wichtig ist aber auch, dass jeder Einzelne lernen muss, wie er sich in der digitalen Welt zu bewegen hat, und was für Konsequenzen Fehlverhalten haben kann; ganz ähnlich, wie man das für den Führerschein tut. Schließlich läuft es auch im Straßenverkehr nur rund, wenn sich alle einigermaßen respektvoll benehmen. Freie Meinungsäußerung braucht ein Wertegerüst.

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Quelle:
SZ vom 30.04.2015/fran
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