Süddeutsche Zeitung

Internet:Christopher White leuchtet das Darknet aus

Frauenhandel, Terror-Propaganda, Waffengeschäfte: Was vor Google geheim gehalten wird, versucht ein Forscher mit speziellen Werkzeugen zu finden.

Von Jannis Brühl und Stefan Plöchinger, Austin

Auf dem Festival SXSW in Austin mangelt es nicht an Versprechen für eine bessere Zukunft, aber selten klingen sie so pathetisch wie bei Christopher White. "Wenn wir zusammenarbeiten, können wir die Dunkelheit erhellen", sagt er seinem Publikum auf dem großen Tech-Festival, das derzeit in der texanischen Hauptstadt stattfindet. Und wenn das Licht erst mal an ist, sollen Zuhälter, Menschenhändler, Dschihadisten und Betrüger ganz erschrocken blinzeln.

White - schwarzes Hemd, schwarze Hose, schwarze Schuhe - ist ein asketisch wirkender Mittdreißiger und arbeitet als Forscher bei Microsoft. Er ist eine Art Ein-Mann-Spezialeinheit des Konzerns, und er hat eine Mission. Seine Kenntnisse von Informatik und Statistik will er dazu nutzen, das Unsichtbare sichtbar zu machen: das tiefe Netz und das dunkle Netz.

Die üblichen Suchmaschinen wie Google und Bing erfassen nicht das ganze Internet. Sie kratzen nur an der Oberfläche. Unter der liegt das Deep Web: Fach-Datenbanken, mit Passwörtern geschützte Foren, Chatrooms, E-Mail-Systeme. Noch "tiefer" liegt das Darknet - jener Teil des Netzes, der nur mit dem spezieller Software wie dem Browser Tor angesteuert werden kann, der die Identität seiner Nutzer verschleiert.

Auf der Leinwand neben White erscheint eine Karte der USA. Feiner Nebel liegt über dem Land, besonders über den großen Städten. Der Nebel besteht aus Millionen von Punkten, jeder steht für eine Werbeanzeige einer Prostituierten. Visualisiert hat das eins von Whites Datenanalyse-Tools. Allein in Austin seien es jährlich mehr als 470 000 Anzeigen, sagt White.

Wenn Googeln nicht hilft

Polizisten, NGOs oder Journalisten können diesen Schwarzmarkt, in dem mit Sex, aber eben auch mit Menschen gehandelt wird, praktisch nicht überblicken - weil sie nur Standard-Suchmaschinen zur Verfügung haben. White sagt: "Wenn Ermittler versuchen, das zu googeln, wird es nicht funktionieren." Denn viele der Sex-Anzeigen werden nicht verlinkt, was dazu führt, dass sie kaum in Google auftauchen. Wie oft auf eine Seite verlinkt wird, ist ein entscheidendes Kriterium dafür, wie hoch in den Ergebnissen Google sie anzeigt. White hat Software entwickelt, die die Analyse dieses schwer zu findenden Datenwusts mit künstlicher Intelligenz und komfortabler Benutzeroberfläche erleichtern soll.

Seine Programme können nachverfolgen, wo und wann Fotos von Prostituierten in Anzeigen gepostet wurden. Er zeigt ein Beispiel: Ein Bild taucht mit Bezug zu mehreren texanischen Städten zu verschiedenen Zeitpunkten auf. Es entsteht ein Bewegungsprofil: Wann wurde die Frau angeboten und wo? Mit Telefonnummern funktioniert das ebenfalls. Ermittler sollen so die Netzwerke der Zuhälter aufspüren und ihre Größe nachvollziehen können.

White ist ein Verbindungsmann zwischen Big-Data-Forschung und Sicherheitsapparat. Er arbeitete mehrere Jahre für Darpa, die Entwicklungsabteilung des US-Verteidigungsministeriums, die maßgeblich an der Erfindung des Internets und von GPS beteiligt war. Whites Projekt hieß Memex, es ist ein Werkzeugkasten an Programmen, mit dem man den Überblick im Darknet gewinnen kann. Ihm gelang es, die Seiten, die nur durch den anonymen Browser Tor erreichbar sind, durchsuchbar zu machen. Das Projekt verschlang Millionen.

Der Yoga-Fan White flog mit hartgesottenen US-Soldaten im Black-Hawk-Helikopter über Afghanistan, er war die Schnittstelle zwischen den Soldaten und den Informatikern in den USA, die Informationen über die Taliban analysierten (mehr dazu in diesem Porträt Whites im Magazin Popular Science). Fotos von sich im Flecktarn in Kabul und die Auszeichnungen, die er vom Weißen Haus bekam, zeigt White während des Vortrages stolz auf der Leinwand.

Das Darknet war erst diese Woche Thema in Deutschland, als nach dem Mord an einem Neunjährigen in Herne die Information kursierte, Bilder der Tat seien im Darknet veröffentlicht worden (was vermutlich auf einer Verwechslung mit der Webseite 4chan basierte, die nicht zum Darknet gehört). White zeigt zum Thema den berühmten Cartoon aus dem New Yorker: Zwei Hunde vor einem Computer, einer sagt zum anderen: "Im Internet weiß niemand, dass du ein Hund bist." Das stimme aber gar nicht, sagt White, zumindest nicht für jene einfach zugängliche Oberfläche des Internets, in der Menschen Spuren über ihre Identität hinterlassen. "Wenn Sie Ihr Hundsein wirklich geheim halten wollen, müssen Sie zu einem Netzwerk wie Tor gehen."

Moralisch sei das Darknet nun einmal ambivalent: "Es erlaubt Menschen in Diktaturen, ihre Meinung zu sagen, oder anonym Katzenfotos anzusehen. Was in Tor passiert, ist aber zugleich sehr schlimm." Er zeigt eine Wortwolke aus den häufigsten Begriffen, die in den Namen der versteckten Webseiten auftauchen. Die Worte "Kinder" und "Sex" kommen oft vor.

Mit der Kryptowährung Bitcoin kaufen Menschen über Tor Drogen, Waffen, gefälschte Pässe, holen sich Schadsoftware, mit der sie fremde Computer übernehmen können. Oder sie zeigen Rachepornos, um es ihren Verflossenen heimzuzahlen. Nicht alles darf man allerdings ernstnehmen. Die Anzeige: "Albanische Mafia: Killer zu vermieten", die White zeigt, dürfte eher ein Witz oder Abzocke als ein ernstzunehmendes Service-Angebot sein.

Analyse von Briefkastenfirmen, Ebola, Bush-E-Mails

Whites Arbeit bei Microsoft baut auf seiner Arbeit für Memex auf. Seine Big-Data-Technik kommt in verschiedensten Bereichen zum Einsatz: Er behauptet, er finde in Sekunden Ermittlungsansätze, für die Polizisten Wochen brauchen würden. Memex hat Geldflüsse zwischen Briefkastenfirmen analysiert, aber auch einen Ebola-Ausbruch und ein Netz von Telefonnummern, die Betrüger nutzen, die sich als Windows-Kundenservice auszugeben. So versuchen sie, leichtgläubige Computernutzer abzuzocken.

Eines seiner Programme wertete 250 000 veröffentlichte E-Mails von Jeb Bush aus. Es analysiert dessen Zeit als Gouverneur von Florida und stellt die Ergebnisse grafisch dar. Wie oft kommunizierte Bush mit wem? An wen wurden Mails weitergeleitet? Wie lange dauerte es bis zur Antwort? So entstand eine Übersicht über das Innerste der Macht in Florida.

White zeigt eine schwarze Karte des Nahen Ostens. Englische und arabische Wörter flackern darüber. Das Programm analysiert nicht nur, wie oft in sozialen Medien Worte wie "Islamischer Staat" erwähnt werden, sondern auch, ob in positivem oder negativem Kontext: Propaganda und Gegen-Propaganda. All der Aufwand führt allerdings manchmal zu wenig überraschenden Ergebnissen: "Hier in Texas wird 'ISIS' eher im negativen Sinne verwendet."

Was White als Weltverbesserung anpreist, hat für seinen Arbeitgeber natürlich einen etwas profaneren Hintergrund: Seine Forschung dient Microsofts wertvoller Sparte "Business Intelligence". Mit der sollen auch Unternehmen auf militärischem Niveau recherchieren können.

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