Internet-Debatte:Wie die digitale Revolution die Deutschen spaltet

Nur weil Oliver Kahn twittert, sind soziale Medien noch lange nicht bei der Mehrzahl der Bürger angekommen. Im Gegenteil: Ein Großteil der Deutschen verweigert sich der digitalen Kommunikation. Das bleibt nicht folgenlos.

Niklas Hofmann

Und wenn Jan Schmidt gar nicht bloß gescherzt hat? Wenn das tatsächlich ein aus medien-, gar gesellschaftsgeschichtlicher Sicht historischer Moment gewesen sein sollte, vor knapp zwei Wochen am Strand von Usedom, als Oliver Kahn seinen allerersten Tweet absetzte?

ZDF-Arena auf Usedom

ZDF-Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein und der ehemalige Fußballspieler Oliver Kahn: "wir werden #europameister!!!"

(Foto: dapd)

Ungelenk angeleitet von der ZDF-eigenen Interneterklärerin, staunend beobachtet von der auch nicht eben netzaffin wirkenden Katrin Müller-Hohenstein und milde beklatscht vom Ostsee-Rentner-Publikum in seinen Liegestühlen. Die Szene ist ja eigentlich ein "Instant Classic", wie man so was im Netz gern nennt, der unfreiwilligen Komik geworden. Als einaktiges Kurzdrama transkribiert, amüsierte die Abschrift des surrealen Dialogs zwischen Kahn und seiner Twitter-Helferin die Netzöffentlichkeit gar köstlich.

Als also der Mediensoziologe Schmidt auf dem Schlusspanel der Tagung "Social Mania" an der Stuttgarter Hochschule der Medien am Freitag, vielleicht auch nur in halbem Ernst, den Gedanken einwarf, jener Tweet könne tatsächlich ein relevantes Ereignis gewesen sein, da erntete er bei Twitter erstmal das Erwartbare, nämlich ein sarkastisches "Aua."

Trotzdem verweist das von Schmidt genannte Beispiel auf einige Umstände, die für die Debatte über das Social Web bedeutsam sind. Erstens ist eine derart zentrale Anwendung des Sozialen Netzes wie Twitter in Wahrheit nach wie vor eine Minderheitenveranstaltung. Etwas mehr als vier Millionen deutsche Nutzer hat Twitter heute. Acht Millionen Leser hat selbst heute noch etwa der Teletext der ProSiebenSat1-Mediagruppe, so war in Stuttgart ebenfalls zu hören.

Nicht jeder will kommunizieren

Das ist zum Teil ein deutsches Phänomen: In den Niederlanden etwa ist mehr als jeder Dritte Internetnutzer auch bei Twitter angemeldet, in den Großbritannien immerhin noch jeder Fünfte. In Deutschland sind es nicht viel mehr als sieben Prozent.

Diese zweite Stufe der digitalen Spaltung, die Kluft zwischen jenen, die das Social Web alltäglich als Kommunikations- und Aktionsraum erfahren, und dem viel größeren Teil der Online-Population, der sich zwar ins Netz begibt, sich aber dort nur für Nachrichtenseiten, eBay und Flugbörsen interessiert, ist gleichfalls unübersehbar.

Zweitens offenbart das kleine Beispiel aber auch, dass diese digitale Spaltung 2.0 zu einer bemerkenswerten Asymmetrie und Ungleichzeitigkeit der Kommunikation über das Social Web führt, die sich selbst auf Konferenzen wie der in Stuttgart als äußerst hartnäckig erweist. Am Ende fragten sich die überwiegend aus Berlin angereisten Netzaktivisten, die Markus Beckedahls, Stephan Urbachs und Anke Domscheit-Bergs nach den Publikumsdiskussionen leicht erschlagen, ob man denn immer wieder dieselben Debatten führen müsse.

Man wird es wohl müssen, wie Beckedahl meint vielleicht sogar noch "zehn, zwanzig Jahre" lang, denn mit jeder Welle von digitalen Nachzüglern stellten sich Fragen erneut, die für die Vorhut lange beantwortet sind. Gleichzeitig aber entwickelt sich das Leben im Netz in rasantem Tempo weiter, die digitale Wissenskluft vertieft sich.

Teilhabe bislang nur für einen Teil der Bürger

So illustrierte die Tagung jene Parzellierung der Öffentlichkeit durch Social Media, die eines ihrer Themen sein sollte. Diese Fragmentierung sei kein neuer und auch kein zu bedauernder Effekt, versicherte der Berliner Medienphilosoph Stefan Münker. Er hat natürlich Recht damit, dass jene Situation, in der die Mehrheitsbevölkerung Teil eines einheitlichen Medienpublikums war, eine historisch einmalige Anomalie der frühen Radio- und Fernsehjahrzehnte darstellte. Und gewiss kann man wie Münker die durch das Netz verstärkte Pluralisierung von Öffentlichkeiten als einen Gewinn für die Demokratie begreifen.

Aber richtig ist eben auch, was ihm aus dem Stuttgarter Publikum entgegengehalten wurde: dass es nämlich höchst problematisch ist, wenn ein vielleicht schrumpfender, aber doch beachtlicher Teil der Bevölkerung sich am möglicherweise zentralen zukünftigen Spielfeld der Zivilgesellschaft weder handelnd noch diskursiv beteiligen kann.

Dass die von Münker bemühten Reinickendorfer Hundezüchter sich noch nie in denselben Journalen austauschten wie die Medientheoretiker in Deutschland, ist wahr. Das Versprechen des Sozialen Netzes ist aber derzeit doch ein so viel Größeres, wie gesamtgesellschaftlich Relevanteres. Die Möglichkeiten für mehr demokratische Teilhabe, die die sozialen Medien von der deutschen Netzpolitik bis zum arabischen Frühling im Idealfall eröffnen oder jedenfalls stützen können, wurden auch in Stuttgart wieder in leuchtenden Farben ausgemalt.

In einem ganz besonderen Dilemma befinden sich dabei jene Menschen, die nicht aus technischem Unverstand oder altersbedingt am Rande stehen: Ironischerweise ist es ja gerade die auch von den Aktivisten geforderte Aufklärung über die Funktionsweise der Sozialen Medien und die Geschäftsmodelle der Betreiber der großen Plattformen, die inzwischen manchen zu einer ganz bewussten Verweigerungshaltung gegenüber den Angeboten der "Datenfresser" treiben, wie Constanze Kurz und Frank Rieger vom Chaos Computer Club sie in ihrem gleichnamigen Buch getauft haben. Und alle Alternativen bleiben bislang Rudimente. Die Vision Frank Schirrmachers, eines schönen Tages würden die Menschen im Netzwerk von Facebook ihr Bündel schnüren und in eine nicht auf Datenverwertung basierende Community wechseln, ist bisher bloße Utopie.

Schule des Eigensinns

Derweil muss auch im akademischen Raum weiter über die Social-Web-Kluft hinweg diskutiert werden. Der Soziologe Gerhard Schulze etwa redet mit einem derart gelassenen Optimismus über das Social Web als "Schule des Eigensinns", das ihm in Stuttgart am Ende ein junger Mann aus dem Publikum das Kompliment aussprach, er klinge fast wie ein "Digital Native". Dabei bekannte sich der 1944 geborene Schulze geradezu heiter dazu, wie wenig er sich überhaupt im Internet bewege.

Das war als Generationenbegegnung so sympathisch, wie Schulzes Gedanken zum Social Web als Schrittmacher des Eigensinns anregend waren. Nur geriet ihm manches in seinen Analysen dann so haarscharf daneben, wie es nun mal passieren kann, wenn man den Gegenstand seiner Betrachtungen lediglich aus Beschreibungen kennt. Das Social Web, meint Schulze, stärke den Eigensinn so sehr, weil es "die Beteiligten zum Sprechen bringt, sie in Verantwortung übt und sie das Urteilen lernt".

Sein Beispiel für Letzteres sind dabei die Facebook-Likes. Bloß: Ist das Drücken des "Gefällt mir"-Knopfs tatsächlich als eine Form des Urteils zu betrachten? Ein Negativurteil ist ja in Ermangelung einer "Gefällt mir nicht"-Option überhaupt nicht möglich. Man kann nur affirmativ oder gar nicht urteilen. Da leuchtet es durchaus ein, wenn Jan Schmidt vom Hamburger Hans-Bredow-Institut im "Liken" eher eine vom Inhalt der Nachricht durchaus unabhängige Bekräftigung der Kommunikationsbeziehung zwischen den beiden Facebook-Nutzern sehen will.

Müssen wir Programmieren lernen?

Ein präzises Gespür für die Bedeutung der Handlungen im Raum des Sozialen Netzes wird auch ein so offener Mann wie Schulze wohl nur durch eigenes Einloggen gewinnen können. Markus Beckedahl geht noch einen Schritt weiter. Wenn wir die Digitalisierung wirklich begreifen wollten, dann müssten wir Programmieren lernen. Das werde bald so wichtig sein wie Lesen, Schreiben und Rechnen.

Denn nur weil Menschen eine Technologie nutzen, sekundierte Stephan Urbach, heiße das nicht, dass sie sie auch verstehen. Vier Millionen Deutsche sind bei Twitter. Bald 24 Millionen deutsche Nutzer sind bei Facebook. Darauf, dass die alle auf der selben Seite der digitalen Wissenskluft stehen, möchte man eher keine Wette abschließen.

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