Internet-Bürgerrechtlerin York im Gespräch:"Überwachung ist noch schlimmer als Zensur"

Jillian York von der Online-Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation analysiert, wie Staaten mit Hilfe digitaler Werkzeuge ihre Bürger unterdrücken und ausspionieren. Im SZ-Gespräch erklärt sie, warum sich die Situation verschlechtert und auch westliche Regierungen an Glaubwürdigkeit verlieren.

Johannes Kuhn

Die Internet-Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF) beobachtet, wie die Mächtigen mit dem Internet umgehen und dokumentiert Fälle von Zensur und Überwachung mit Hilfe digitaler Werkzeuge. Jillian York ist "Director International Freedom of Expression" bei der Organisation, zuvor forschte sie am Harvard Berkman Center for Internet and Society. Im Gespräch mit Süddeutsche.de erklärt sie, wie frei das Internet derzeit wirklich ist und wie der Westen selbst beginnt, Glaubwürdigkeit zu verlieren.

Jillian York

Jillian York von der Electronic Frontier Foundation: "Es ist etwas unglücklich, dass die Reform des Urheberrechts und Internetfreiheit in der gleichen Schublade stecken."

(Foto: oH)

Süddeutsche.de: Zwei Sichtweisen dominieren das Thema Internetfreiheit: Auf der einen Seite gilt das Netz als Werkzeug für Aktivisten und freie Meinungsäußerung, auf der anderen versuchen Staaten, den Informationsfluss zu steuern und zur Überwachung zu nutzen. In welche Richtung schwingt das Pendel gerade?

Jillian York: Leider in die falsche Richtung, weil Regierungen neue Methoden finden, freie Meinungsäußerungen zu unterdrücken. Es ist nicht mehr das einfache Spiel, dass Behörden eine Seite blocken und die Aktivisten einen Weg finden, diese Sperre zu umgehen. Wenn wir nach China blicken, sehen wir, dass die Internetfirmen dort direkt mit der Regierung zusammenarbeiten, um Inhalte von Nutzern zu zensieren, die nach offizieller Ansicht unangemessen sind. Dabei werden diese Meinungen gelöscht, was noch einmal eine Verschärfung gegenüber dem Verstecken bestimmter Inhalte ist.

Süddeutsche.de: Einige Webfirmen geben Informationen darüber, welche Inhalte anderswo blockiert werden. Wieso hat sich dieser Standard noch nicht durchgesetzt?

York: Es gibt in vielen Firmen Debatten darüber, wie transparent sie agieren sollen - und häufig siegt am Ende die Verschlossenheit. Google und Twitter sind inzwischen bereits einigermaßen offen bei dem, was sie zensieren. Facebook hingegen überhaupt nicht. Wir müssen die Firmen dazu bringen, ein Mindestmaß an Transparenz zu schaffen. Google beispielsweise erklärt, man dürfe aus rechtlichen Gründen nicht veröffentlichen, was die Firma in China zensiert. Aber das wäre doch ein guter Grund, sich komplett aus China zurückzuziehen. Wenn ich schon etwas zensiere, muss ich als eine solche Firma doch zumindest sagen, was das ist. Wir Nutzer müssen diese Haltung einfordern.

Süddeutsche.de: Staaten filtern das Internet, nutzen es aber auch zur Überwachung. Was ist die größere Bedrohung?

York: Es ist sicherlich eine üble Sache, Menschen am Zugang und Austausch von Informationen zu hindern. Doch Überwachung ist noch schlimmer, denn sie kann zur Folge haben, dass Bürger um ihr Leben fürchten müssen. In der Praxis gehen beide Hand in Hand - und wir sollten genau darauf achten, welche Unternehmen die technischen Hilfsmittel dafür bereitstellen.

Süddeutsche.de: Die USA haben zumindest inzwischen beschlossen, dass sich Firmen strafbar machen, die an Syrien und Iran Überwachungstechnik liefern.

York: Sanktionen sind grundsätzlich der falsche Weg. Das syrische Regime ist mächtig genug, sich diese Werkzeuge auf anderem Wege zu besorgen. Gleichzeitig schließen Sanktionen auch Programme ein, die für die Bevölkerung nützlich wären, Internetsperren zu umgehen oder verschlüsselt zu kommunizieren.

Süddeutsche.de: Was sind die Alternativen zu Exportverboten?

York: Wir sollten Unternehmen zur Transparenz verpflichten: An wen verkaufen sie ihre Technik? Und für welchen Zweck? Ich kann Cisco nicht verbieten, Netzwerk-Technik an China zu liefern. Doch wenn Peking diese zur Überwachung nutzt, sollte Cisco sich nicht einfach mit dem Argument herausreden können, man stelle nur die Technik und könne nicht beeinflussen, für was sie verwendet wird.

Süddeutsche.de: Sind wir inzwischen an einem Punkt, an dem Internetfreiheit relativ wird? Westliche Firmen exportieren ja nicht nur Überwachungstechnik, auch Regierungen in demokratischen Ländern wollen das Online-Kommunikationsverhalten ihrer Bürger stärker kontrollieren.

York: Es ist ziemlich bezeichnend, dass die chinesische Regierung ihre Überwachungspolitik mit dem Verweis auf Großbritannien rechtfertigt, wo dies auch gang und gäbe sei. Ich glaube, die USA und die meisten europäischen Regierungen sind in diesen Fragen keine glaubhaften Makler mehr. Wenn in Deutschland Links zu bestimmten Seiten gesperrt sind, kann die Regierung nicht zu Pakistan sagen, sie solle keine Online-Zensur aus religiösen Gründen einführen. Der US-Geheimdienst spioniert Kunden von AT&T aus, wahrscheinlich auch Kunden anderer Provider; wie soll die amerikanische Regierung von Syrien da verlangen, auf Überwachungsmaßnahmen zu verzichten? Wir sollten erst einmal vor der eigenen Tür kehren, bevor wir anderswo Internetfreiheit predigen.

Süddeutsche.de: Wenn einzelne Länder keine Glaubwürdigkeit mehr haben, in welchen Gremien sollte Internetfreiheit durchgesetzt werden?

York: Ich sehe keine internationale Regulierungsbehörde oder Ähnliches, viele der Entscheidungen werden in unseren jeweiligen Ländern getroffen. Deshalb ist es gerade für uns als junge Generation wichtig, dass wir den Menschen klarmachen, wie essentiell ein freies Internet ist. Umfragen in den USA zeigen, dass ein Teil der Heranwachsenden inzwischen Internetzensur bis zu einem gewissen Grad in Ordnung findet - und das macht mir Angst. Deshalb müssen wir nicht nur über Syrien reden, sondern auch über das, was bei uns passiert.

Süddeutsche.de: Kritiker bemängeln, dass Internetfreiheit für viele Nutzer nur ein Vorwand sei, hinter dem egoistische Motive stehen - zum Beispiel, wenn es um die Legalisierung von Filesharing geht. Können Sie das nachvollziehen?

York: Es ist etwas unglücklich, dass die Reform des Urheberrechts und Internetfreiheit in der gleichen Schublade stecken. Ich glaube, dass eine Änderung des geltenden Urheberrechts notwendig ist. Nur habe ich das Gefühl, dass viele Menschen dafür aus Eigennutz demonstrieren, weil sie etwas kostenlos bekommen wollen. Natürlich dürfen sie das, nur ist es für mich frustrierend, dass die Demonstrationen gegen SOPA, PIPA und ACTA die Massen mobilisieren, aber kaum jemand gegen Überwachung auf die Straße geht.

Süddeutsche.de: Gibt es etwas, was Sie dennoch optimistisch macht?

York: Wir können uns heute so stark vernetzen wie selbst vor zehn Jahren noch nicht. Als vor einem Jahr die Ägypter auf die Straße gingen, protestierten gleichzeitig in Wisconsin Tausende Bürger gegen ihren Gouverneur, weil er Arbeitnehmerrechte stark einschränken wollte. In Kairo bekam man das wohl mit und bestellte online für die Demonstranten in Wisconsin Pizza. Diese neue Form von internationaler Solidarität ist einfach unglaublich. Sie ist das, was mich und andere antreibt.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: