Internet-Aktivist Zimmermann im Gespräch:"Der Zugang für alle ist in Gefahr"

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Der Internet-Bürgerrechtler Jérémie Zimmermann kämpft gegen Versuche der Politik, das Netz stärker zu kontrollieren und zu überwachen. Ein Gespräch über das G-8-Treffen, Zensur in Frankreich und den Dilettantismus der Piratenpartei.

Alex Rühle

Ein Café in der Nähe der Pariser Bastille. Jérémie Zimmermann, Mitbegründer und Sprecher der Vereinigung "La Quadrature du Net", setzt sich und schaut verzückt auf das kleine graue Kästchen, das in den folgenden zwei Stunden einen quecksilbrig fulminanten, wenn auch recht einseitigen Monolog aufzeichnen wird.

Jérémie Zimmermann auf der Internetkonferenz Re:publica (Archivbild unter Creative Commons): "Durch Acta wird mit staatlicher Zustimmung aus den Internetfirmen eine private Urheberrechts-Polizei." (Foto: N/A)

Jérémie Zimmermann: Oh, toll, ein echter Kassettenrekorder, das ist ja wie in den neunziger Jahren, Plattenspieler, Atari, Minitel...

SZ: Minitel? War das nicht so eine Art Vorläufer des Internets?

Zimmermann: Eher ein Vorläufer dessen, was das Internet werden könnte, wenn es so weitergeht wie momentan: Minitel war ein zentralisierter Service, man musste sich bei France Telecom registrieren und die haben alle Gewinne abgeschöpft.

SZ: Und das droht uns jetzt wieder?

Zimmermann: Es gibt viele beunruhigende Entwicklungen. Und am schlimmsten ist das, was diese Woche beim G-8-Gipfel passiert.

SZ: Meinen Sie den sogenannten E-G-8, das G-8-Internet-Treffen?

Zimmermann: Ach was, das ist doch nur eine PR-Show. Das fängt ja schon damit an, dass die ganze Veranstaltung vom Werbeunternehmen Publicis organisiert wurde. Sie laden Leute wie Mark Zuckerberg von Facebook und Eric Schmidt von Google ein, damit die erzählen, wie toll das Internet ist. Aber auf dem anschließenden eigentlichen Gipfel werden die Regierungen die Weichen dafür stellen, dass sie mehr kontrollierenden Einfluss auf das Internet bekommen.

SZ: Sie spielen auf Acta an, das Anti-Counterfeiting Trade Agreement, durch das Provider von den Behörden dazu verpflichtet werden können, Angaben über Abonnenten zu machen, deren Account für eine mutmaßliche Rechtsverletzung benutzt wurde.

Zimmermann: Ja, das ist ein multilaterales Handelsabkommen, das zwischen 39 Ländern ausgehandelt wurde und während des G-8-Gipfels ratifiziert werden soll. Man könnte auch sagen, es ist eine Art Hyper-Gesetz, schließlich regelt es auch strafrechtliche Maßnahmen, die ja eigentlich in der Befugnis der jeweiligen Länder liegen. Die Unterzeichner verpflichten sich, Netzfilterpraktiken einzuführen und Leute zu verfolgen, die sich Sachen aus dem Netz runterladen. Bisher können nur Justizbehörden einzelne User verfolgen. Durch Acta wird mit staatlicher Zustimmung aus den Internetfirmen eine private Urheberrechts-Polizei und -Justiz. Wir sind wirklich gerade an einem kritischen Moment, es besteht die Gefahr, dass das Internet fundamental seinen Charakter verändert - der Zugang für alle ist in Gefahr. Sarkozy tönt ja seit Monaten, er werde für ein "zivilisiertes Internet" kämpfen. Was das bedeutet, sieht man ja seit zwei Jahren.

SZ: Sie meinen das sogenannte Loi Hadopi?

Zimmermann: Natürlich. Was für ein Desaster.

SZ: Was beinhaltet dieses Gesetz?

Zimmermann: Vor fünf, sechs Jahren stellte unsere Regierung erstmals ein Programm der sogenannten Graduated Response vor, auch Three Strike s genannt. Die beiden Begriffe haben die Franzosen von McNamara aus dem Kalten Krieg übernommen, um ihr Dreistufen-Eskalations-Programm griffig zu verpacken. Demnach sollte eine eigene Behörde den Internetverkehr kontrollieren und unerlaubte Downloads melden. Die Nutzer von Filesharing-Angeboten sollten im ersten Schritt eine Warnmail bekommen, dann einen Brief - und wenn sie dann immer noch weitermachen, kann eine Geldstrafe verhängt oder der Internetzugang gesperrt werden.

SZ: Das wurde aber doch zunächst vom Verfassungsrat abgelehnt.

Zimmermann: Ja, aber es kam dann trotzdem. In der Begründung des Verfassungsrates hieß es, das Gesetz verletze das Recht auf Meinungsfreiheit, schließlich sei das Internet mittlerweile derart wichtig für die Teilhabe an demokratischen Prozessen und für das Leben der Menschen, dass das Recht auf Meinungsfreiheit das Recht auf einen Internetzugang impliziert. Das bedeutet aber, dass nur ein Richter und nicht eine solche Behörde über die Sperrung des Internetzugangs befinden kann. Deshalb wurde dann ein neues Gesetz geschrieben, demzufolge es die Richter sind, die einem diesen Brief zustellen. Zu dem Zeitpunkt haben wir uns gegründet.

SZ: Wie würden Sie Ihre Organisation selbst definieren?

Zimmermann: Wir stellen den Leuten einen argumentativen Werkzeugkasten zur Verfügung, damit sie an der Diskussion um die Rechte des Einzelnen im Internet teilnehmen können.

SZ: In Deutschland hat sich gerade die "Digitale Gesellschaft" gegründet, die sich ebenfalls für digitale Bürgerrechte und Freiheit im Internet starkmacht. In den Niederlanden gibt es "Bits of Freedom", in Spanien die "Associación de Internautas", aber mit "La Quadrature du Net" wart ihr die Ersten. Warum?

Zimmermann: Na, weil wir uns gegen Sarkozy wehren mussten.

SZ: Wie vielen Leuten wurde denn seit der Einführung des neuen Gesetzes der Zugang zum Internet gekappt?

Zimmermann: Keinem. Es wurde ja noch nicht mal Stufe zwei gezündet. Die Behörde sagt, dass sie schon Briefe geschickt haben. Wir haben aber noch nie einen zu Gesicht bekommen - und auch noch nie von jemandem gehört, der solch einen Brief empfangen hätte.

SZ: Die Regierung sagt, Hadopi solle einen psychologischen Rahmen schaffen. Es habe die Funktion der "Massenpädagogik". Ist die Praxis des Downloadens durch das Gesetz denn zurückgegangen?

Zimmermann: Aber nein. Gerade mal 15 Prozent der Leute, die Peer-to-Peer-Sharing machten, haben damit aufgehört. Von denen haben aber die meisten nur ihre Download-Technik geändert.

SZ: Was machen die jetzt stattdessen?

Zimmermann: Illegal streamen oder zu mafiösen Großanbietern wie Megaupload oder Rapidshare wechseln. Das wird beides nicht von Loi Hadopi erfasst.

SZ: Nun gut, das Loi Hadopi funktioniert nicht, die Leute streamen weiter Filme, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Warum sagen Sie dann, dass die Strukturen des Internets in Gefahr sind?

Zimmermann: Michael Barnier, der Binnenmarktkommissar der EU, wird an diesem Mittwoch, also an dem Tag, an dem Sarkozy den G-8-Gipfel eröffnet, seine neue Strategie für den Schutz der Urheberrechte vorlegen. Unser Loi Hadopi dient ihm dabei als Blaupause. Der Schlüsselbegriff in Barniers Strategiepapier ist der der "Kooperation". Kooperieren sollen in Zukunft die Online-Dienstleister, die haftbar gemacht werden für die Handlungen ihrer Nutzer: YouTube, Google oder Telekom sollen einzelne Videos sperren, Seiten abschalten oder Usern den Zugang zum Netz verwehren.

SZ: Und was ist daran so gefährlich?

Zimmermann: Man kann doch nicht irgendwelchen Firmen das Recht zusprechen, einzelnen Bürgern den Internetzugang zu sperren, wenn genau dieser Zugang mittlerweile zu den Grundrechten gehört. Und wenn Firmen IP-Adressen sammeln dürfen, ist das ein schwerer Eingriff in die Privatsphäre - das sind private Daten. Vor allem aber geschieht all dies unter einer Prämisse, die längst falsifiziert wurde. Hadopi operiert ja mit der Behauptung, dass Filesharing schädlich sei für die Industrie.

SZ: Die Musikindustrie kämpft doch tatsächlich mit riesigen Einbußen.

Zimmermann: Das schon, aber keiner konnte je beweisen, dass diese Einbrüche der Verkaufszahlen auf Filesharing zurückzuführen sind. Wir haben auf unserer Homepage 20 unabhängige Studien aufgelistet, die zeigen, dass gerade die Leute, die viel runterladen, auch die sind, die viel Geld für Kultur ausgeben, und dass es keinen Zusammenhang zwischen Filesharing und rückläufigen Verkaufszahlen gibt.

SZ: Woher kommt der Rückgang Ihrer Meinung nach dann?

Zimmermann: Gegenfrage: Gibt es diesen Rückgang überhaupt? Es gehen ja nur die Verkäufe der physischen Kopien zurück.

SZ: Sie meinen das, was man vor langer Zeit einmal CDs nannte?

Zimmermann: Ja. Historisch gesehen sieht es nämlich ganz anders aus: Die 78-er-Schellackplatten, die LPs, die Kassetten, die CDs - es ist immer dasselbe: Erst schnellen die Verkäufe in die Höhe, dann halten sie sich auf hohem Niveau - und irgendwann wird es weniger.

SZ: Na ja, da wurde jeweils ein Medium von einem anderen abgelöst, die Schellackplatte von der LP und die dann wiederum von der CD. Hier geht es darum, dass plötzlich unzählige Gratis-Kopien gemacht werden.

Zimmermann: Aber davon profitiert die Musik doch. In den frühen zwanziger Jahren wollte die Musikindustrie Musik im Radio verbieten lassen. 1920 gab es nur ein paar tausend Radios, 1930 waren es zehn Millionen. Die Schallplattenhersteller haben natürlich sehr früh gegen die kostenlose Ausstrahlung gewettert, als die Verkaufszahlen dramatisch einbrachen. Sie merkten aber irgendwann, dass sich die Musik, die im Radio gespielt wurde, natürlich viel besser verkauft. Oder schauen Sie sich die Urheberrechtsdebatte an, die 1985 wegen der Audiokassette entflammte. Mixtapes zu verbieten, hätte bedeutet, vor jeden Kassettenrekorder einen Polizisten zu stellen. Also kam man auf die gute Idee der Urheberrechtsabgabe . . .

SZ: . . . also eine im Kaufpreis enthaltene Pauschalabgabe für den Kauf von Geräten und Medien, die das Kopieren von Musik ermöglichen.

Zimmermann: Ja, das bringt alleine in Frankreich jährlich 200 Millionen Euro.

Warum sollte man nicht auch fürs Internet eine Pauschalabgabe einführen? Ob man die dann Kultur-Flatrate nennt oder anders, ist egal.

SZ: Welches Land hat denn Ihrer Meinung nach die beste Internetgesetzgebung? An wem könnte sich G8 ein Beispiel nehmen?

Zimmermann: Chile ist toll. Und Brasilien hat ein vorbildliches Gesetz, das festlegt, dass sich jede Maßnahme gegen illegale Handlungen im Netz direkt gegen die richtet, die unmittelbar dafür verantwortlich sind. Das ist das Gegenprogramm zu Dingen wie Acta, die auf die Infrastruktur und Kommunikationsmittel des Netzes zielen. Ich könnte mir vorstellen, dass die nächsten spannenden Sachen von Südamerika ausgehen.

SZ: Sie sind sehr oft in Brüssel. Haben Sie vor, selbst in die Politik zu gehen?

Zimmermann: Meinen Sie die Piratenpartei? Da versammeln sich fast ausnahmslos Dilettanten, die weder Ahnung von Politik noch von den relevanten Fragen des Internets haben. Außerdem ist eine Piratenpartei ungefähr so paradox wie einer, der sich zum König der Anarchisten ausruft.

© SZ vom 25.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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