Indien:Das Land, an dem sich Zuckerberg die Zähne ausbeißt

A man talks on his mobile phone in the village of Devmali in the desert state of Rajasthan

Ohne Handy geht in Indien gar nichts.

(Foto: REUTERS)

In Indien sprechen Bettler sich per Smartphone ab, und Apple-Chef Tim Cook lässt sich auf der Straße ein iPhone knacken. Obwohl das Land IT-verrückt ist, scheitern US-Konzerne dort.

Von Kabir Taneja

Tim Cook, der CEO von Apple, ist neulich zum ersten Mal überhaupt nach Indien gereist. Er ist zunächst mal nach New Delhi geflogen, wo die "Make in India"-Kampagne von Premierminister Narendra Modi, die Indien als Wirtschaftsparadies und den ganzen Subkontinent als großartiges Investitionsobjekt anpreist, Businessgurus aus der ganzen Welt anzieht. Cook und Apple, beides Giganten des amerikanischen Tech-Sektors, zeigen erst jetzt Interesse an Indien, dem Land, von dem es dauernd heißt, es werde China bald als am schnellsten wachsende Volkswirtschaft der Welt ablösen.

Cook hat sich anscheinend einen sehr klug ausgetüftelten Reiseplan zusammenstellen lassen. Es ging eben nicht nur um Business, Deals und Politikergespräche in New Delhi. Nein, er beschäftigte sich mit den drei Themen, die die indische Öffentlichkeit am meisten umtreiben: Bollywood, Cricket und Religion. Am ersten Tag betete Cook im berühmten Siddhivinayak-Tempel in Mumbai, der dem Hindu-Gott Ganesh geweiht ist. Einem CEO, der gekommen ist, um die indische Businesswelt zu erobern, steht solch ein Besuch gut zu Gesicht, ist Ganesh doch der Gott, den die Hindus dafür verehren, dass er ihnen Hindernisse aus dem Weg räumt.

Ein Bettler bittet um Hilfe. Er möchte sein Handy laden

Dann besuchte er einen "Straßenunternehmer" namens Altaf Bhai, der sich darauf spezialisiert hat, die Handys aus Cooks Firma für gerade mal acht Dollar zu knacken. Um den Tag abzurunden, ging Cook dann noch auf eine der glamourösen Partys des Bollywood-Megastars Shah Rukh Khan in dessen Privatvilla. Am nächsten Tag setzte er seine Charmeoffensive gegenüber einer halben Milliarde potenzieller Kunden fort: Er flog in die Industriestadt Kanpur im Norden des Landes, um sich ein Cricketspiel der ersten Liga anzusehen. Und als Sahnehäubchen obendrauf kündigte er neue Forschungs- und Entwicklungszentren im ganzen Land an, die nach seinen Worten 4000 neue Jobs bringen.

Auf dem Gaffar-Markt, im Zentrum der Hauptstadt, gibt es Läden, in denen man für den Bruchteil des eigentlichen Preises ein täuschend echtes iPhone bekommt, meist zusammengesetzt aus geschmuggelten oder gestohlenen Apple-Teilen. In den engen Straßen dieses chaotisch vor sich hin prosperierenden Bezirks kann jedes beliebige, teure Teil eines iPhones durch ein neues ersetzt werden - natürlich ohne Garantie. Das Viertel ist überlaufen und boomt, schließlich will jeder Jugendliche und Erwachsene ein iPhone oder etwas, was genauso aussieht. Handys sind zu einem der wichtigsten Statussymbole im Land geworden.

Apple ist nicht die erste Firma, die realisiert, was für Potenziale es auf dem indischen Markt gibt. Andere Riesen aus dem Silicon Valley wie Google oder Microsoft sind seit Jahren vor Ort und operieren sehr erfolgreich aus ihren Zentralen in Städten wie Bengaluru oder Hyderabad.

Indien hat auch eine eigene, sehr vitale Start-up-Szene. Es gibt hier 220 Millionen Handybesitzer, der weltweit zweitgrößte Markt. Das sind beeindruckende Zahlen - und doch besitzen erst 30 Prozent der indischen Bevölkerung ein Handy.

Indien ist das nächste große Ding für die IT-Konzerne

Die Auswirkungen, die Handys und ihre Technologien auf unser Leben haben, kann man auf jeder indischen Straße sehen: An einigen Kreuzungen in der Hauptstadt führen einem Bettler vor, was man mit den Produkten aus dem Silicon Valley, mit Handys und Apps wie Whatsapp alles anstellen kann, und dass sie sogar beim Betteln helfen können. Die Bettler senden einander Textbotschaften, welcher Fahrer in welchem Auto Geld spendiert, damit ihre Kollegen zwei Kreuzungen weiter wissen, wen sie gezielt ansprechen müssen.

Auf der einen Seite ist das ein Beispiel für das soziale Versagen einer Stadt und ihrer Gesellschaft, auf der anderen zeigt es, dass Technologie Menschen, die am härtesten ums Überleben kämpfen, unternehmerische Techniken an die Hand gibt. Und das zeigt wiederum, welche Chancen Technologie birgt. All das klingt so vielversprechend, dass Technologiefirmen aus den USA und Europa einander die Klinke in die Hand geben.

Aber in ihrem Wettlauf um Indien als nächstem großen Ding nach China scheinen viele mit der falschen Einstellung ranzugehen. Sie warten auf diesem riesigen, aber auch unfassbar komplexen Markt ungeduldig auf den Erfolg über Nacht. Firmen und Investoren gleichermaßen wollen mit dem Fallschirm ins Zentrum des Geschehens stürzen und morgen Geld machen. Aber so einfach ist das nicht.

Zuckerberg hielt sich wohl für den Messias

"Wenn du den schnellen Erfolg suchst, ist Indien der falsche Ort für dich. Wenn du aber auf langfristigen Erfolg setzt, ist Indien der einzig wahre Ort für dich." So hat ein indischer Diplomat gelegentlich mal interpretiert, um was es Premier Modi mit seinem Claim "Make in India" im Grunde geht.

Das größte soziale Netzwerk der Welt, Facebook, hat unlängst beschlossen, Indien zu "knacken". Mark Zuckerberg, Chef und Gründer des global erfolgreichsten Kommunikationswerkzeugs, war der Meinung, die Millionen Inder ohne Verbindung seien ein Markt, der nur auf einen Eroberer warten würde. Er sah sich offenbar als eine Art Messias und deklarierte das Facebook-Produkt internet.org zu einer Initiative purer Menschenliebe, das unter dem Schlagwort "Free Basics" Millionen Menschen Internet schenken sollte. Aber die Sache hatte einen Haken.

Das größte wirtschaftliche Problem, das Facebook je hatte

Zuckerberg wollte, dass Facebook der einzige Eingang für diese Menschen auf ihrem Weg ins Netz sein sollte; obendrein wollte er kontrollieren, worauf die Menschen im Internet - abgesehen von Facebook - überhaupt zugreifen dürfen. Offenbar dachte er, ein paar Hundert Millionen arme, wenig gebildete Menschen würden sein Geschenk als Segen begreifen. Und nicht verstehen, warum jemand so eine Großzügigkeit jemals ablehnen sollte.

Aber es kam anders. Ein paar wachsame indische Aktivisten und Start-up-Unternehmer sorgten sich und gründeten eine Gegenbewegung zu Facebooks Ideen, mit denen der Konzern seine eigene Marktdominanz auf dem bislang konkurrenzlosen indischen Markt zementieren wollte. Facebook setzte sich zur Wehr. Zeitungsberichten zufolge soll der Konzern 38 Millionen Euro in einen kleinen, zügig geführten PR-Krieg investiert haben. Es half alles nichts: Die indischen Regulierungsbehörden waren längst misstrauisch geworden.

Es ist klar, warum Facebook so großen Druck in Indien ausübt. China ist für westliche Techkonzerne derzeit nicht zu erobern, also wird Indien nach den USA die zweitgrößte Chance für Facebook sein. Auf dem Subkontinent wächst die Begeisterung für Facebook nach wie vor. Täglich registrieren sich viele junge wie ältere Inder. Der britische Guardian schrieb neulich, dass Facebook intern damit rechne, dass 30 Prozent aller neuen Nutzer weltweit im Jahr 2020 aus Indien kommen.

Das ist kein kleines Ziel. Die indische Zivilgesellschaft, Start-up-Unternehmer und Aktivisten nützen Facebooks Stärke gegen Facebook. Sie starteten ganze Kampagnen, um Aufmerksamkeit zu generieren. Dann sprangen indische Youtube-Stars auf das Thema an, wie India Bakchod. (Sein Nachname steht im indischen Slang für einen, der Unsinn redet.)

Selbst eine Webseite der indischen Regierung zu diesem Thema wurde plötzlich extrem beliebt und erhielt fünf Millionen Zugriffe, nachdem dort ein paar Videos gepostet wurden, in denen Experten das Problem mit der Netzneutralität erklärten. Die Videos wurden auch häufig geteilt, vermutlich am häufigsten auf Facebook. In der Folge wurden sie unter indischen Jugendlichen und in den Medien viel diskutiert.

Viele Menschen waren wütend auf Zuckerberg, andere unterstützten Facebooks Initiative mit dem Argument, dass allein der Markt über Erfolg und Misserfolg zu bestimmen habe. Die Debatte wurden nach und nach zum größten wirtschaftlichen Problem, das Facebook je zu lösen hatte. Für die Firma kam das unerwartet.

Die Chefs von Google und Microsoft sind Inder. Aber was folgt daraus?

Zuckerberg reagierte mit einer durchaus unbarmherzigen Charmeoffensive. Vergangenen September lud er den indischen Premierminister Narendra Modi zu einem Live-Interview bei Facebook ein. Zuckerberg begann das Gespräch mit einer Erinnerung an seine eigene Indienreise: "Als wir eine harte Zeit bei Facebook hatten, riet mir Steve Jobs schon vor längerer Zeit, in einen indischen Tempel zu fahren, den er selbst besucht hatte auf der Suche nach einer Vision und Zukunft für Apple." Damit traf er bei Modi den richtigen Ton.

Der Premier ist selbst ein Social-Media-Fan. Sowohl während der Wahl als auch danach verwendet er Social Media mit großem Erfolg. Sein "roségoldenes" iPhone 6 ist wohl das berühmteste aller iPhones. Modi hat mehr als 20 Millionen Follower auf Twitter, mehr als 34 Millionen "Likes" auf Facebook. Auf Twitter wie Faceboook gratuliert er indischen Cricket-Spielern zu ihren Siegen, Politikern zu ihren Geburtstagen und manchmal teilt er Yoga-Übungen. Das alles ist das Ergebnis einer radikalen Social-Media-Kampagne, die sich ein paar junge Profis für Modi ausdenken.

Es ist nicht einfach, in Indien zu investieren. Die indische Verwaltung ist kompliziert. Tech-Konzerne im Silicon Valley haben viele indische Angestellte. Der CEO von Google ist Inder, genau wie der Chef von Microsoft. Eigentlich sollte man im Silicon Valley eigentlich wissen, wie man Indien als Markt, Land und Gesellschaft behandeln muss, um Geschäfte zu machen.

Nach Jahrhunderten der britischen Fremdherrschaft haben die Inder keine Lust mehr, sich von anderen sagen zu lassen, was sie tun oder lassen sollen. Vermutlich war das der Grund, warum Facebook gezwungen war, das "Free Basics"-Programm trotz der gewaltigen Lobby-Bemühungen und einer gut gefüllten Kriegskasse aus Indien zurückzuziehen.

Tatsächlich beruht Indiens aktueller Erfolg darauf, ein IT-Anbieter zu sein. Das bedeutet, dass die Menschen sich ziemlich gut mit Technik auskennen. Sie wissen, was gut und was schlecht für sie als Kunden ist, was sie gerne machen und was sie lieber bleiben lassen. Indien ist chaotisch, eine pulsierende Demokratie, häufig scheinheilig, aber voller Träume und mit einer aufstrebenden Gesellschaft gesegnet, die das nächste Facebook oder Google in ihrem eigenen Land haben möchte. Und in der Tat: Indien hat Erfolg. Vielleicht ein bisschen langsamer, als manche es sich erhofft haben. Aber man darf nicht vergessen, dass die genuine indische Disziplin schon immer eher die Langstrecke war.

Deutsch von Johannes Boie und Alex Rühle

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