Huffington und Co. über 20 Jahre WWW:"Alles andere als tot"

Das Web feiert 20. Geburtstag: Vier Internet-Persönlichkeiten, die es auf ihre Weise geprägt haben, erzählen, was das Web bedeutet und wie es sich entwickeln wird.

Im November 1990 startete der britische Wissenschaftler Tim Berners-Lee am Schweizer Kernforschungszentrum Cern das WWW-Projekt und legte damit den Grundstein für den Siegeszug des Internets. Arianna Huffington, Lars Hinrichs, Leonard Kleinrock und Caterina Fake sind jeder auf ihre Art Teil dieser Erfolgsgeschichte. Für sueddeutsche.de beantworteten sie einen Fragebogen zu den Errungenschaften, Fehlern und der Zukunft des Webs.

Web, Vergangenheit und Zukunft
(Foto: Fotos: AFP, iStockphoto / Grafik: sueddeutsche.de)

Arianna Huffington hat die Medienlandschaft in den USA nachhaltig verändert: Ihre 2005 gegründete Nachrichtenseite Huffington Post wurde nicht nur zur Plattform der schärfsten Kritiker des damaligen US-Präsidenten George W. Bush, die publikumswirksame Mischung aus Kolumnen und Aggregation von Nachrichten aus dem Web ließ eine völlig neue Medienform entstehen. Bewunderer sehen die Ex-Frau des Öl-Millionärs Michael Huffington als Medienunternehmerin neuen Stils, Kritiker führen einen Mangel an eigenen Inhalten sowie den wenig verstecken Versuch an, Politik zu machen anstatt über sie zu berichten.

Frau Huffington, wie war der erste Kontakt mit dem Web und wann war das?

Obwohl ich mich in der Online-Welt seit 1998 herumgetrieben hatte und Informationen zu meinen Büchern und Zeitungskolumnen auf meiner Seite veröffentlichte, wurde ich erst 2002 süchtig nach der Blogosphäre: Der republikansiche US-Senator Trent Lott hatte zum 100. Geburtstag des Politikers Strom Thurmond erklärt, die Welt wäre ein besserer Ort, wenn Thurmond - der sich für die Rassentrennung eingesetzt hatte - sich vor vielen Jahren durchgesetzt hätte.

Die Mainstream-Medien verschliefen die Geschichte und verschiedene Blogger waren es, die aus dem damaligen Mehrheitsführer des Senats einen Ex-Mehrheitsführer machten, einen blutigen Politikerklumpen in einem Haifischbecken. Sie bewiesen, dass man Berge versetzen und mächtige Politiker zu Fall bringen kann und dafür nur eine Interverbindung, die richtigen Fakten und den Mut braucht, konventionelle Weisheiten über Bord zu werfen. Das war ein Aha-Moment.

Was ist die größte Errungenschaft des WWW - und was der größte Fehler?

Die größte Errungenschaft ist ohne Zweifel die Fähigkeit, Menschen miteinander und mit Informationen in Verbindung zu bringen. Auf der anderen Seite kann unser Lebensstil der ständigen Verbindung süchtig machen und sehr viel Macht über unser Leben bekommen. Es ist deshalb wichtig zu wissen, wann wir uns vom Netz trennen, den Stecker rausziehen und uns erholen müssen.

Wie wird sich das Web weiter entwickeln? Was halten Sie von der "Das Web ist tot"-Theorie von Wired-Chef Chris Anderson?

Das Web ist nicht tot. Es entwickelt es sich immer weiter. Vor zehn Jahren hätte niemand den Aufstieg von YouTube, Facebook oder Twitter voraussehen können. Deshalb sind Vorhersagen für die nächsten fünf oder gar zehn Jahre sinnlos. Aber natürlich bezweifle ich nicht, dass die Medien - auf einer steigenden Anzahl von Plattformen - immer sozialer werden und vor allem die Nachrichtenberichterstattung immer interaktiver wird.

Wir konsumieren Nachrichten nicht mehr nur, wir reagieren auf sie, teilen sie. Nachrichten sind ein wichtiges Element für Online-Communities geworden, sie sind etwas, um das wir uns versammeln, mit dem wir in Verbindung treten, über das wir sprechen. Wir sind alle Teil der Evolution einer Geschichte, reichern sie mit Kommentaren und Links zu relevanten Informationen an, steuern Fakten und abweichende Meinungen bei.

Gibt es etwas, was Sie nicht im Web finden oder dort lieber nicht von dort bekommen würden?

Das Internet ist ein Werkzeug. Ein unglaublich nützliches zwar, aber eben nur ein Werkzeug. Es kann niemals die Freude oder Befriedigung eines Abendessens mit meinen Töchtern oder einer Wanderung mit Freunden bringen.

Gibt es eine Webseite, ohne die Sie nicht leben können?

Natürlich besuche ich jeden Morgen erst einmal die Huffington Post - aber ich liebe es immer noch, morgens die Zeitung aufzuschlagen und sie bei einer Tasse Kaffee zu lesen.

Lesen Sie auf den nächsten Seiten, was Xing-Gründer Lars Hinrichs, Flickr-Erfinderin Caterina Fake und Internet-Geburtshelfer Leonard Kleinrock für das Web prophezeien.

Lars Hinrichs: Beamen ist bereits Realität

Als der Hamburger Lars Hinrichs 2003 mit OpenBC ein soziales Netzwerk für Geschäftsleute gründet, trauten ihm nicht viele Beobachter zu, mittelfristig mit dem US-Portal Linkedin konkurrieren zu können. Sie irrten: Mit einem Jahresumsatz von 45 Millionen Euro (2009) hat sich Xing längst etabliert. Hinrichs gilt inzwischen als der deutsche Muster-Unternehmensgründer. Seine Anteile an Xing hat er verkauft und gibt nun mit seinem Unternehmen HackFwd erfolgsversprechenden Start-Ups finanzielle Hilfestellung.

Web, Vergangenheit und Zukunft
(Foto: Fotos: dpa, iStockphoto / Grafik: sueddeutsche.de)

Herr Hinrichs, wie war der erste Kontakt mit dem Web und wann war das?

1989 war ich mit Hilfe eines 300 Baud Akustikkopplers [ganz alte Form eines Modems, die Red.] in einem Hamburger Mailboxsystem namens TECS aktiv - lange, bevor es das Web gab. Yahoo kenne ich noch als Unterverzeichnis bei der Universität Stanford. Damals konnte ich sagen, dass ich alle Webserver kenne.

Was ist die größte Errungenschaft des WWW - und was der größte Fehler?

Die größte Errungenschaft ist, Links auf andere Quellen setzen zu können. Das Web hat eine neue Welt geschaffen, die größer ist als die bestehende reale Welt. Es ist eine Welt, in der Visionen Realität werden. Fehler hat das Web meiner Meinung nach keine.

Wie wird sich das Web weiter entwickeln, im Hinblick auf mobile Endgeräte und neue Standards wie HTML5?

Mobile wird der meistgenutzte Zugang zum Internet werden. 2020 wird es mehr als 50 Milliarden vernetzter mobiler Geräte geben. HTML5 wird die Apps überleben.

Gibt es etwas, was Sie nicht im Web finden oder dort lieber nicht von dort bekommen würden?

Wenn Forscher heute bereits "Geschmack" über das Internet vermitteln können, gibt es wenig, was fehlt. Sich im Internet zu bewegen ist wie Beamen, virtuell kann ich mit einem Klick überall auf der Welt sein.

Was ist die Webseite, ohne die Sie nicht leben können?

Eine Technologie, auf die ich nicht verzichten möchte, ist Skype. Bei den Webseiten ist es Twitter.

Internet-Geburtshelfer Kleinrock: Ein globales Nervensystem

Web, Vergangenheit und Zukunft
(Foto: Fotos: AFP, iStockphoto / Grafik: sueddeutsche.de)

Leonard Kleinrock ist einer der Geburtshelfer des Internets: Bereits in seiner Dissertation 1962 entwarf er eine Theorie des Datenaustausches, die später eine der Grundlagen des Netzes wurde. Im Jahre 1969 übermittelte er die erste Nachricht über das Arpanet, den Vorläufer des Internets. In den folgenden Jahren arbeitete er an der Weiterentwicklung des Netzes mit, 1988 saß er einer Forschergruppe vor, die den US-Kongress die Bedeutung des Internets näherbringen wollte. Die Anhörung überzeugte den damaligen Senator Al Gore, der Anfang der Neunziger ein Gesetz zum Ausbau des Internets in den USA initiierte - und damit auch dem WWW zum Durchbruch verhalf.

Herr Kleinrock, wie war der erste Kontakt mit dem Web und wann war das?

Zum ersten Mal kam ich im Frühjahr 1993 mit dem Web in Kontakt, als der Mosaic Browser auf den Markt kam. Eine der faszinierendsten Seiten damals war die des Louvre, wo ich mir ein Bild der Mona Lisa herunterladen konnte.

Was ist die größte Errungenschaft des WWW - und was der größte Fehler?

Vielleicht die größte Errungenschaft ist diese wunderbar einfache und nützliche grafische Benutzeroberfläche für das Internet. Drei Faktoren trugen zur Verbreitung des Web bei: 1. Die US-Wissenschaftsbehörde National Science Foundation (NSF) hatte in den Achtzigern den Nutzerkreis des Internets von Computer-Wissenschaftlern auf alle Wissenschaftler ausgeweitet. Weil sie E-Mails nutzten, fanden plötzlich auch andere Abteilungen in Unternehmen wie das Management Interesse dran, wodurch sich die kommerzielle Nutzung verstärkte. 2. Al Gore überzeugte den damaligen Präsidenten George Bush 1991 von einem Gesetz zum Ausbau des Datennetzwerks, das die Grundlage für das Internet bildete. 3. Der Web-Browser erschien.

Das alles sorgte dafür, dass die Qualität der Datenübertragung stieg und die grafische Oberfläche ständig neue Nutzer anlockte. Der vielleicht größte Fehler ist, dass mit dem Web proportional auch die dunklen Seiten wie Pornographie und Kriminalität wuchsen.

Wie wird sich das Web weiter entwickeln?

Das Web ist nicht tot. Es geht ihm gut und es manifestiert sich gerade auf viele neue Arten, zum Beispiel beim mobilen Zugang oder bei ortsbasierten Funktionen. Das immer aufrufbare, immer gegenwärtige Internet wird gerade Realität, ob über Smartphones oder andere Geräte in unserer Umgebung. Wir werden einmal in einer Welt leben, in der alle Dinge mit dem Internet verbunden sind. Das Netz wird zu einem alles durchdringendem globalen Nervensystem entwickeln.

Gibt es etwas, was Sie nicht im Web finden oder dort lieber nicht von dort bekommen würden?

Es gibt unglaublich viele Felder, in denen das Internet und das Web von unschätzbarem Wert sind. Aber es gibt vieles in der realen Welt, dass das Web nicht simulieren kann: Sportliche Aktivität, das emotional aufgeladene Wechspiel von Menschen, die sich in einem Raum befinden, die Schönheit der Natur und vieles mehr.

Gibt es eine Webseite, ohne die Sie nicht leben können?

Eine solche Seite existiert nicht.

Flickr-Gründerin Fake: Kultur der Großzügigkeit

Web, Vergangenheit und Zukunft
(Foto: Fotos: AFP, iStockphoto / Grafik: sueddeutsche.de)

Caterina Fake war Artdirektorin beim Online-Portal Salon.com, als Ihr eine Idee zu einer Seite kam, auf der Nutzer Bilder hochladen und teilen konnten. Gemeinsam mit ihrem Ehemann startete sie deshalb im Jahr 2004 Flickr, der sich rasend schnell zum beliebtesten Fotodienst der Welt entwickelte. Inzwischen im Besitz von Yahoo, finden sich heute fünf Milliarden Bilder auf der Seite. Caterina Fake finanziert heute mit der Risikokapitalfirma Founder Collective neue Internet-Ideen.

Frau Fake, wie war der erste Kontakt mit dem Web und wann war das?

Ich hatte einen Zeitvertrag in der IT-Abteilung der Columbia University und einer der Techniker zeigte mir dieses Programm, das gerade herausgekommen war: Den Mosaic-Browser. Das war Ende 1993, Anfang 1994. Ich war fasziniert, und die Technik-Abteilung gab mir großzügigerweise einen Zugang, den ich über Jahre behalten durfte.

Was ist die größte Errungenschaft des WWW - und was der größte Fehler?

Das Erste, was mir im Web auffiel war, dass alle Seiten in ihm von Menschen gemacht werden, Menschen, die etwas teilen wollten. Eine richtige Kultur der Großzügigkeit -jeder konnte eine Webseite ins Netz stellen! Natürlich musste man damals besessen von dem Thema sein, aber die Eintrittsbarriere war so unglaublich niedrig. Das war und bleibt der wichtigste Aspekt.

Wie wird sich das Web weiter entwickeln?

Mobile Endgeräte, also Smartphones, Tablets, das iPad, verändern das Web. Ihr Aufenthaltsort wird alles beeinflussen: Unsere sozialen Netzwerke verändern sich, wenn wir an einen neuen Ort kommen, unsere Websuche verändert sich. Nicht an einen Schreibtisch gebunden zu sein, ist eine geniale Sache. Diesen Fragebogen zum Beispiel fülle ich in einem Flugzeug aus.

Gibt es etwas, was Sie nicht im Web finden oder dort lieber nicht von dort bekommen würden?

Das Internet ist ein Medium, dem es egal ist, was es transportiert - wie bei einem Telefon. Sie können alles im Web finden - ob es ein Groschenroman oder die wahre Liebe ist. Menschen leben online und offline, es gibt gute und schlechte Menschen und das Verhalten verstärkt sich online. So erleben wir dort Großmut, aber auch Hass und Troll-Verhalten, Angriffe auf andere Menschen.

Gibt es eine Webseite, ohne die Sie nicht leben können?

Natürlich Flickr! Die Seite ist wie ein niemals endender Blick auf die Welt.

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