Apple-Technologie Airdrop:So tricksen Hongkongs Aktivisten mit iPhones die Behörden aus

Anti-government protesters react as they standoff with riot police during a demonstration following a government's ban on face masks under emergency law, at Prince Edward, in Hong Kong

Bereit für den nächsten Protestmarsch: Aktivisten in Hongkong

(Foto: REUTERS)
  • In Hongkong tauschen Demonstranten Protestmaterial per Airdrop aus - einer Apple-Technologie zum drahtlosen Übertragen von Daten.
  • Die Funktion des US-Herstellers hat sich zu einem zentralen Kommunikationsmittel zwischen Aktivisten entwickelt.
  • Entscheidend bei der Technologie ist, dass bei der Übermittlung keine Daten des Senders gespeichert werden. So können die Behörden die Absender nicht festnehmen.

Von Lea Deuber

Der Nutzer "Hongkong, Freiheit", will 27 Fotos mit dir teilen. Annehmen? Ein Klick - und die Dateien landen im Fotoordner des eigenen Handys. Dutzende Menschen kriegen in der gleichen Sekunde das Protestmaterial auf ihre Handys gesendet. Sie nehmen an einem Marsch durch die Hongkonger Innenstadt teil. Einer der Demonstranten hat die Bilder geschickt. Nur weiß man nicht, wer.

Versendet wurde das Material per Airdrop, einer Apple-Technologie zum drahtlosen Übertragen von Daten. Seit im Juni in der Sonderverwaltungszone gegen den wachsenden Einfluss Chinas demonstriert wird, hat sich die Funktion des US-Herstellers zum ersten Mal zu einem zentralen Kommunikationsmittel zwischen Aktivisten entwickelt. Eigentlich ist die Technologie dafür gedacht, unkompliziert große Datenpakete zwischen Apple-Geräten zu versenden. Die Übertragung funktioniert über Wlan und Bluetooth. Eine Netzverbindung ist nicht notwendig. Ein Vorteil, weil das Netz bei Massenveranstaltungen häufig zusammenbricht. Jedes Dokument kann zudem beliebig oft und kostenfrei geteilt werden und verbraucht kein Datenvolumen. "Der Empfänger muss sich zudem weder mit Verschlüsselungstechnologie auskennen, noch Apps installieren", sagt Andy Buschmann, der zurzeit an der Universität Michigan und Oxford arbeitet und das Phänomen vor Ort in Hongkong erforscht.

Mehrere tausend Menschen hat der Forscher in den vergangenen Monaten zu der pro-demokratischen Bewegung befragt. Über 500 Hongkonger speziell zum Thema Airdrop. Dabei gaben fast 70 Prozent an, schon einmal einen Protestaufruf über die Technologie erhalten zu haben. 40 Prozent haben auch Material weitergeleitet. Ein Plakat, das der Forscher den Befragten zeigte, hatte rund 43 Prozent zu diesem Zeitpunkt bereits mindestens einmal zugesendet bekommen.

Das Mobilisierungspotenzial durch Airdrop ist aus Sicht des Forschers hoch. Und löst ein Problem der Hongkonger Protestbewegung: Sie ist nämlich führerlos. Es gibt keine zentrale Organisation oder Gruppe, die Veranstaltungen plant oder bekanntgibt. Wichtig sind Apps wie Telegram oder das Online-Forum LIHKG, in denen die nächsten Schritte diskutiert werden. An einigen Tagen laufen dort im Sekundentakt neue Nachrichten ein. "Viele Hongkonger haben aber keine Zeit, diesen Debatten zu folgen", sagt Buschmann. Airdrop ist für sie wie ein Schwarzes Brett, an dem die Ergebnisse verkündet werden. Nur sehr viel nutzerfreundlicher und - es kommt zu ihnen. Sender und Empfänger müssen sich nicht kennen, sondern lediglich in der Nähe voneinander sein. Bis zu 13 Meter reicht der Radius. Wer sein Bluethooth und Wlan angeschaltet hat, kann kontaktiert werden.

In der südchinesischen Megametropole ist Nähe eher die Regel als die Ausnahme. Im Bus, der U-Bahn oder in den Straßen zwischen den engen Häuserschluchten erreichen Aktivisten deshalb meist Dutzende Apple-Geräte gleichzeitig. Wer in Hongkong in diesen Tagen auf dem Laufenden gehalten werden will, muss auf dem Weg zur Arbeit oder beim Einkaufen nur die Funktion aktiviert haben. Gesendet werden Marschrouten, Zeitpläne für Protestwochenenden oder ein U-Bahn-Plan mit alternativen Strecken, wenn bestimmte Stationen kurzfristig geschlossen werden. Die Hälfte der Befragten gaben gegenüber Buschmann auch an, sich aufgrund einer Airdrop-Nachricht für die Teilnahme an einer Aktion entschieden zu haben. Auch bei den Protesten selbst wird die Technologie genutzt: Soll eine Schweigeminute stattfinden, kündigen Teilnehmer diese kurz vorher per Bildnachricht an. Wenn die Polizei anrückt, warnen sich die Demonstranten über die drahtlose Verbindung. Das ist auch deshalb möglich, weil so viele Hongkonger Geräte von Apple besitzen. Über 70 Prozent der Befragten gaben in Buschmanns Umfrage an, ein iPhone zu besitzen.

Entscheidend bei der Technologie ist, dass bei der Übermittlung keine Daten des Senders gespeichert werden. Es wird nur der Name des Sendegeräts angezeigt. Dieser kann beliebig geändert werden. Zuletzt hat die Hongkonger Polizei mehrere Betreiber von Chatforen festgenommen. Diese sind häufig über ihre Internetverbindung und ihre Telefonnummer identifizierbar. Bei Airdrop ist das anders. Da einige Arbeitgeber ihren Mitarbeitern die Teilnahme an Protestmärschen verbieten, ist das Verteilen der digitalen Flugblätter auch ein Weg, sich ohne Gefahr zu engagieren. Airdrop könnte langfristig auch bei anderen Protesten zu einem Vorbild werden, glaubt Buschmann. Nicht in Berlin oder Stuttgart. Aber in dichterbesiedelten Regionen wie Macao, Singapur, Südkorea oder - in Großstädten in Festlandchina.

Apple hat bisher nicht auf die kreative Nutzung seiner Technologie reagiert. Das Unternehmen hat mehrfach dem Druck der Behörden in China nachgegeben und Funktionen für chinesische Nutzer entfernt. Es hat zahlreiche VPN-Anbieter aus den chinesischen App Store entfernt, mit dem die Internetzensur in China umgangen werden kann. Seit Kurzem fehlt auf der Tastatur für Emojis, den kleinen Bildchen fürs Chatten, bei Hongkonger Geräten von Apple die Taiwan-Flagge. In Festlandchina ist die Flagge des Nachbarstaats, auf den Peking immer noch Anspruch erhebt, seit Langem gelöscht. Inzwischen hat Apple auch die Kartenapp "hkmap.live" aus seinem App Store entfernt. Auch diese war bei Demonstranten in Hongkong beliebt.

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