Hochschulfinanzierung:Facebook macht Moral zum netten Accessoire

100 Jahre Volksentscheid

Facebook und die TU München (Symbolbild): eine unheilige Allianz?

(Foto: dpa/AP (Bildbearbeitung: SZ.de))

Ausgerechnet der US-Datensammler möchte an der TU München ein bisschen Taschengeld in Ethik investieren. Dahinter steckt strategisches Marketing.

Kolumne von Carolin Emcke

In beschleunigten Zeiten, in denen Ereignisse medial verbreitet und kommentiert werden, bevor sie wirklich erlebt sind, ist die Entdeckung der Langsamkeit opportun. Nicht immer ist die erste Intuition verlässlich, und nicht immer ist die erste Erregung angemessen. Allzu häufig erweist sich das Skandalisierte beim zweiten Blick als weniger skandalös. Insofern ist es ratsam abzuwarten, ob mit innerer Abkühlung ein Vorgang, der eben noch ungeheuerlich erschien, vielleicht doch harmlos daherkommt. Der umgekehrte Ablauf ist tatsächlich selten geworden: dass einen vor allem die ausbleibende Empörung empört, dass man wartet und wartet und hofft, es läge nur ein Irrtum vor, es gäbe eine Erklärung, die einem einleuchtete - aber nichts.

Ende Januar wurde verkündet, dass das amerikanische Unternehmen Facebook über einen Zeitraum von fünf Jahren eine Initiative der TU München mit 6,5 Millionen Euro fördert, "um die ethischen Implikationen der künstlichen Intelligenz zu erforschen". Wie bitte? Genau. Noch einmal langsam. Facebook spendet an eine deutsche Hochschule, damit die ein Institut für Ethik aufbauen kann. Das könnte ein Witz sein. Es klingt wie eine dieser realsatirischen Meldungen von Andy Borowitz in der US-amerikanischen Zeitschrift The New Yorker, in denen bittere Wahrheiten in lustige Fiktionen verpackt sind: "Trump bietet Nancy Pelosi 130 000 Dollar an, damit sie schweigt" oder "Trump spricht sich gegen Intelligenz aus". Nur sind Facebooks Pläne real. Mit dem Geld des Unternehmens soll wirklich über ethische Fragen geforscht werden. Vielleicht muss man noch einmal erklären, was Ethik heißt. Und wer Facebook ist.

Facebook ist das Unternehmen mit Sitz im kalifornischen Menlo Park, das im Jahr 2018 einen Umsatz von 55,8 Milliarden US-Dollar und einen Gewinn von 22,1 Milliarden Dollar verzeichnete. Auf dem deutschen Markt hat das soziale Netzwerk mit 23 Millionen täglichen Nutzern einen Marktanteil von 95 Prozent. Facebook ist ein dominierendes Unternehmen, dem das Bundeskartellamt gerade nicht nur die Zusammenführung von Daten aus unterschiedlichen Quellen untersagte, sondern auch "Ausbeutungsmissbrauch" bescheinigte. Der Umfang, in dem Facebook Daten ohne Einwilligung der Nutzer sammelt, dem Nutzerkonto zuführt und verwertet, verstoße gegen die europäische Datenschutzverordnung, so die Wettbewerbsbehörde.

Die allzu freizügige Verwendung der persönlichen Daten der Nutzer gehört nicht nur zum Geschäftsmodell, sie ist das Geschäftsmodell. Menschliche Erfahrungen sind der Rohstoff, der abgezogen und verkauft wird. "Ein Teil dieser Daten dient der Verbesserung von Produkten und Diensten", schreibt Shoshana Zuboff in "Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus", der Rest werde mithilfe künstlicher Intelligenz für "Vorhersageprodukte" eingesetzt. "Ergebnis dieses Wandels ist, dass automatisierte Maschinenprozesse unser Verhalten nicht nur kennen, sondern auch in einer wirtschaftlichen Größenordnung auszuformen vermögen." Es wird also mithilfe von Algorithmen persönliches Verhalten nicht nur analysiert und kalkuliert, sondern möglichst - wie bei klassischer Werbung auch - beeinflusst. Dabei stellt sich nicht allein die Frage, ob und wie Persönlichkeitsrechte verletzt werden, sondern auch: nach welchen Kriterien künstliche Intelligenz die Daten von Menschen kategorisiert.

Die TU wird nicht zulassen, dass das Unternehmen in die Wissenschaftsfreiheit eingreift

Algorithmen beeinflussen nicht nur das Kaufverhalten von Konsumentinnen und Konsumenten, sie entscheiden mitunter auch darüber, welche Studierende an welchen Hochschulen angenommen werden, welche Menstruationszyklen als gesund oder ungesund gelten oder wem ein Kredit gewährt wird und wem nicht. Welche rassistischen Vorannahmen, welche Körperbilder, welcher Klassendünkel sich als unreflektierte Normen in die Programme eingeschrieben haben und systematische Diskriminierung betreiben, bleibt intransparent.

Und dann gibt es da noch diese unerfreuliche Cambridge-Analytica-Verwicklung, bei der die persönlichen Daten von 87 Millionen Facebook-Nutzern abgegriffen und zu politischen Zwecken instrumentalisiert wurden. Man kommt ein wenig durcheinander bei dem Versuch, all die Kalamitäten aufzulisten, in die Facebook involviert wurde. Eine Kette aus unglücklichen Zufällen, glaubt man Aussagen von Konzern-Chef Mark Zuckerberg.

Das alles mag als ethische Lappalien gewertet werden im Vergleich zu der Rolle, die Facebook bei der Anstiftung zur genozidalen Gewalt in Myanmar zugeschrieben wird. Nachdem bereits ein UN-Bericht das Unternehmen als zumindest mitverantwortlich erklärt hatte für die Massaker an 25 000 Rohingya, gab auch Facebook selbst noch eine unabhängige Untersuchung in Auftrag. Der Bericht der Organisation Business for Social Responsibility bescheinigte dem Konzern fatale Versäumnisse im Umgang mit ethnischem Hass und Volksverhetzung, die in Myanmar über das soziale Netzwerk mit seiner Logik der Eskalation verstärkt wurden.

Und nun möchte dieser Konzern also in München ein bisschen Taschengeld in Ethik investieren? Man braucht nicht zu unterstellen, dass das Unternehmen in die Wissenschaftsfreiheit eingreift - das werden sie in München nicht zulassen. Beide Seiten haben ausdrücklich versichert, dass die Unabhängigkeit der akademischen Arbeit garantiert sei. Das ist auch glaubwürdig. Aber mindestens ein Ergebnis steht schon fest, bevor das Institut mit der Forschung begonnen hat: Ethik ist als warenförmiges Accessoire durchsichtiger Image-Kampagnen desavouiert. Das ist ein hoher Preis.

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Kolumne von Carolin Emcke

Carolin Emcke, Jahrgang 1967, ist Autorin und Publizistin. Im Jahr 2016 wurde sie mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Alle Kolumnen von ihr lesen Sie hier.

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