Süddeutsche Zeitung

Heimliche Werbung im Internet:Das Geschäft mit der gefälschten Meinung

Sie klingen wie unbedarfte, hilfsbereite Nutzer: In Blogs und Internetforen finden sich Tausende scheinbar harmlose Produktbewertungen - die aber teuer bezahlt wurden. Wie Tui, Bayer, Opel und Sigma heimlich die Meinung im Netz manipulieren.

Von Johannes Boie

Diese Geschichte handelt von Lug und Trug, von Bauernfängerei im Internet, von Manipulation und Mogelei, von Irreführung potenzieller Kunden. Es geht um große Firmen mit renommiertem Namen, eingeführten Markennamen. Es geht um Unternehmen wie Opel und Bayer, den Kamerahersteller Sigma und den Reiseveranstalter Tui.

Hunderte Unterlagen beweisen, dass sie die Wiener Agentur Modern Mind Marketing angeheuert haben. Deren bezahlte Mitarbeiter haben unter falschen Namen und mit verschleierten Identitäten Tausende Kommentare und Beiträge in Foren und auf Nachrichten-Webseiten hinterlassen, um die Autos von Opel, die Präparate von Bayer, die Kameras von Sigma und die Reisen von Tui zu bewerben, ohne deutlich zu machen, dass es sich um genau das handelt: um Werbung. Die Blogs und Kommentare lesen sich allesamt wie die Beiträge von Nutzern ohne besondere Interessen. Das Gegenteil ist der Fall, wie das der Süddeutschen Zeitung vorliegende Material belegt. Das österreichische Magazin Datum hat über die Praktiken vergangene Woche berichtet.

Das Vorgehen der Agentur im Namen ihrer Auftraggeber verstößt eindeutig gegen Kodizes für Public Relations und Werbung in Deutschland und Österreich. So heißt es im Kommunikationskodex des Deutschen Rates für Public Relations: "PR- und Kommunikationsfachleute sorgen dafür, dass der Absender ihrer Botschaften klar erkennbar ist." Selbst juristisch könnte die Sache interessant werden, weil die Auftragseinträge im Netz gegen das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb verstoßen könnten. Denn laut Gesetz ist es verboten, "den Werbecharakter von geschäftlichen Handlungen zu verschleiern".

Die Wiener Agentur wurde in der Regel von den österreichischen Tochterunternehmen der Konzerne beauftragt. Tui Österreich berichtet seit Ende 2013 an Tui Deutschland. Doch die Postings, die in Hunderten von Dokumenten akribisch gesammelt vorliegen, sind nicht nur in österreichischen, sondern vor allem in deutschen Foren veröffentlicht worden. Unter den Hunderten Foren und Webseiten sind Spezialseiten, zum Beispiel autoflotte.de oder meinauto.de, aber auch Nachrichtenseiten wie spiegel.de oder focus.de, und auch Unterhaltungswebseiten wie die Videoseite youtube.com oder gutefrage.net. Die Seiten wurden professionell ausgesucht, um möglichst viele Leser mit unterschiedlichen Interessen zu erreichen.

Für die Einträge wurden eigens Hobbys und Haustiere erfunden

Dabei wies Modern Mind Marketing die Mitarbeiter akribisch an, viele Schlagworte zu verwenden, damit die Google-Suche die positiven Berichte der Agentur-Mitarbeiter zum Beispiel bei der Suche nach einer Tui-Reise weit oben listet. Außerdem wurden die Agentur-Mitarbeiter angewiesen, falsche Online-Identitäten anzunehmen, unter denen die Beiträge geschrieben wurden. In einer Anweisung mit dem Titel "Tätigkeiten zu Beginn der Arbeit" wies die Agentur Mitarbeiter im Detail an, "mindestens zwei E-Mail-Accounts" anzulegen. Alle Tarnidentitäten sollen Hobbys haben, wer Werbung für die Tierprodukte des Chemiekonzerns Bayer machte, sollte für seine Identität ein Haustier erfinden. Damit die Schleichwerbung nicht zu auffällig würde, sollte der "Kundenname NICHT öfter als ca. 2 Mal pro Diskussion" genannt werden. Und schließlich: "Bei Verdacht auf Werbung" durch andere Nutzer sei "der Kampagnenleiter + Sprecher sofort zu verständigen". Bloß nicht auffliegen.

Die Sache lief und läuft wohl weiterhin ziemlich erfolgreich. In Tausenden von Beiträgen erscheinen die PR-Leute im Netz wie nette, unbedarfte Nutzer, die aus purer Freundlichkeit oder aus Interesse Gespräche führen. Sie kümmern sich nicht um Rechtschreibung und stellen zum Beginn einer Unterhaltung gerne Fragen, um authentisch zu erscheinen: "was haltet ihr von den sigma objektiven 18-125 oder das 18-200mm. das sind allround opbjektive, die man als immerdrauf nutzen kann?" Eine Farce: In Wahrheit bekamen die Mitarbeiter von den werbenden Unternehmen Produktbeschreibungen, um in ihren Texten besondere Stärken der Produkte zu erwähnen - und Schwächen zu verdecken.

Bedenkenlos geschah dies auch im Fall Bayer. Da bewarben die Agentur-Mitarbeiter nicht nur medizinische Produkte für Tiere, sondern sprachen auch über Nebenwirkungen der Verhütungsspirale Mirena in verschiedenen Foren - im Tonfall besorgter Freundinnen mit eigenen Erfahrungen: "also dany87, ich hab mir vor ein paar monaten eine hormonspirale einsetzen lassen (mirena) und bin mittlerweile echt zufrieden, weil ich nix daovn merke und an nix denken muss."

Die erfundenen Testimonials sind wohl weiterhin Erfolgsgeschäft für die Agentur und manche Auftraggeber. Ein internes Fazit der Agentur nach der Kampagne für Bayer liest sich so: "Grundsätzlich ist zu sagen, dass das Internet eine ideale Plattform zur Verbreitung von Informationen zum Thema Verhütung darstellt." In zahlreichen Fällen zeigten die Reaktionen der Nutzer, dass sie den freundlich-informierten Kommentatoren Glauben schenkten und sich für einen Opel oder die Spirale Mirena zu interessieren begannen.

Der Erfolg basiert auf guter Organisation: Im Fall Opel war Modern Mind Marketing zum Beispiel in der Lage, zwischen zwei und sechs Redakteure einzusetzen. In Angeboten an Opel wird ihre Aufgabe im Detail beschrieben: "Entgegenwirkung von Gerüchten und negativen Aussagen durch Richtigstellung bzw. Hervorheben der positiven Inhalte." Zur Arbeit gehörte auch das "laufende Posten, um die Diskussionen für einen langen Zeitraum attraktiv zu halten". Für die Arbeiten berechnete Modern Mind Marketing den Unternehmen monatlich mehrere Tausend Euro. Ein Angebot an Opel veranschlagt für den Zeitraum vom 20. Juni 2012 bis 19. Dezember 2012 16 600 Euro.

Die Unternehmen erhalten regelmäßig Rückmeldung der Agenturen zum Verlauf der Kampagnen. "Generierte Postings des viralen Marketings" lautet der Titel eines Dokuments, in dem auf 167 Seiten gefälschte Kommentare für das Opel-Fahrzeug Insignia in Blogs, auf Webseiten und in Autoforen gesammelt wurden: "mich persönlich würde rein optisch am ehestn der opel ansprechen. . . . er wirkt sportlich und edel zugleich, gefällt mir." Die einzelnen Beiträge wurden wohl einzeln abgerechnet, wenn freie Mitarbeiter zum Einsatz kamen. So berechnet eine offenbar freie Mitarbeiterin der Agentur im Frühjahr 2012 für "eMeinung Opel" 120 Euro.

Die meisten Testimonials sind schon älter - aber sie stehen weiter im Internet

Die meisten der vorliegenden Beiträge datieren aus den Jahren 2007 bis 2012, allerdings sind einzelne der gefälschten Identitäten nach wie vor online aktiv und schreiben weiterhin Kommentare im Netz. Die Bayer Austria Gesellschaft war nach eigenen Angaben bis Ende April 2014 Kunde der Agentur. Der deutsche Mutterkonzern ließ ausrichten, derartiges Verhalten verstoße gegen "unsere internen und weltweit gültigen Regeln". Den Vorwürfen werde man nachgehen.

Tui Österreich kündigte seine Verträge mit der Wiener Agentur im September 2014. Die Leitung von Marketing und Kommunikation von Tui Österreich sei außerdem neu besetzt worden, sagte ein Sprecher des deutschen Tui-Konzerns, bei dem man nach eigenen Angaben von allem nichts gewusst hat. Sigma und die Agentur Modern Mind Marketing, die früher unter dem Namen eClipping firmierte, reagierten nicht auf SZ-Anfragen. Josef Ulrich, Sprecher von Opel Österreich, versprach, die Vorwürfe prüfen zu lassen.

Doch völlig unabhängig davon, wann und ob die Zusammenarbeit mit der Wiener Agentur gekündigt wurde: Die Beiträge stehen meist weiter im Netz und werden noch immer von Google angezeigt und oft sogar weit oben gelistet, wie eine stichprobenartige Prüfung ergab. Wer sich über Opel, Sigma, Tui oder Bayer im Netz informiert, muss damit rechnen, bestellte Meinungen zu lesen.

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Quelle:
SZ vom 10.11.2014/mahu/dd
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