Hasskriminalität im Netz:Löschen reicht nicht

Hass-Botschaft

Hass im Netz

(Foto: dpa)

Wer Hasskriminalität im Netz sinnvoll bekämpfen will, muss neue Wege gehen - das NetzDG ist das falsche Mittel.

Gastbeitrag von Tobias Gostomzyk

Facebook, Twitter & Co. sollen strafbare Äußerungen aus dem Netz entfernen, um einer Verrohung der Debattenkultur entgegenzutreten. Das muss innerhalb kürzester Frist geschehen - sonst drohen hohe Bußgelder. So will es das umstrittene deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz, kurz NetzDG. Allerdings missachtet dieses Gesetz nicht nur die Logik der Meinungsfreiheit, sondern auch Besonderheiten der Netzkommunikation. Es bedarf dringend netzwerkgerechter Alternativen.

Der zwischen Union und SPD geschlossene neue Koalitionsvertrag trägt leider nicht dazu bei, dass die Auseinandersetzung zur Ruhe kommt. Darin heißt es, das NetzDG sei "ein richtiger und wichtiger Schritt zur Bekämpfung von Hasskriminalität und strafbaren Äußerungen in sozialen Netzwerken". Am Gesetz soll festgehalten werden. Von rechtlichen Bedenken ist nicht die Rede, obwohl die Kritik aus der Fachöffentlichkeit nahezu einmütig ist.

Gewiss gibt es für die Löschung von rechtswidrigen Inhalten gute Gründe. Gerade wenn sie gegen Strafnormen wie das Verbot der Verleumdung, Volksverhetzung oder Gewaltdarstellung verstoßen. Und zweifelsohne bleibt neben der bloßen Löschung der Inhalte Strafverfolgung möglich. Das Problem bei den Löschungsentscheidungen ist aber, dass sich oftmals selbst bei größter Sorgfalt nicht verlässlich entscheiden lässt, ob ein Inhalt rechtswidrig ist. Schließlich funktioniert das Äußerungsrecht nicht wie Mathematik. Beurteilungen hängen von Interpretationen und Abwägungen ab und können deshalb unterschiedlich ausfallen.

Diese rechtlichen Bedenken ließen sich vergleichsweise leicht beheben. Beispielsweise könnten soziale Netzwerke in offensichtlichen Fällen nach wie vor selbst entscheiden. Bleiben nach sorgfältiger Prüfung allerdings begründete Zweifel, muss ein anderer Schiedsrichter her. Herkömmlicherweise sind das die staatlichen Gerichte. Doch dieser Schritt allein würde der Öffentlichkeitslogik sozialer Netzwerke noch nicht gerecht, die sich von der alten Medienöffentlichkeit deutlich unterscheidet.

Vor dem Aufstieg des Internets war im Wesentlichen öffentlich, was von Massenmedien berichtet wurde. Sie bestimmten als Gatekeeper, was von öffentlichem Interesse ist, gerade auch im Dienste demokratischer Meinungs- und Willensbildung. Deshalb sind sie gesetzlich auf die Einhaltung besonders hoher Sorgfaltsstandards verpflichtet. "Die Presse hat alle Nachrichten vor ihrer Verbreitung mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Inhalt, Herkunft und Wahrheit zu prüfen", heißt es etwa im Landespressegesetz Nordrhein-Westfalens. Schließlich sollen sich die Bürgerinnen und Bürger darauf verlassen können, zutreffend informiert zu werden, beispielsweise über das parlamentarische Geschehen.

Cyber Courts könnten schnell entscheiden und Standards entwickeln

An einzelne Bürgerinnen und Bürger werden dagegen teilweise geringere Erwartungen gestellt. Das gilt vor allem, wenn sie sich privat äußern, aber auch bei öffentlichen Bekundungen. Beispielsweise existiert ein Laienprivileg: Wenn sich ein Einzelner auf Informationen bezieht, die sich seinem Erfahrungs- und Kontrollbereich entziehen, gelten für ihn geringere Prüfpflichten als für Massenmedien. Es wird akzeptiert, dass jeder Einzelne nicht in jeder Situation jede Information prüfen kann. Er verbreitet seine Äußerungen aber auch nicht regelmäßig an Tausende Leser. Und im privaten Raum werden viele Konflikte sozial gelöst. Beleidigungen werden grundsätzlich nur verfolgt, wenn Betroffene einen Strafantrag stellen.

In der Offline-Welt ließ sich für diese unterschiedlichen rechtlichen Erwartungen gut an getrennte Kommunikationsräume anknüpfen: etwa den privaten häuslichen Bereich, den teilöffentlichen Arbeitsplatz, die öffentliche Veranstaltung. Dagegen kennzeichnet Netzkommunikation das Verschwimmen der Grenzen zwischen Öffentlichem und Privatem, zwischen Individual- und Massenkommunikation.

Hasskriminalität im Netz: Tobias Gostomzyk, 43, ist Professor am Institut für Journalistik der TU Dortmund. Seine Schwerpunkte sind das Medien-, Internet- und Datenschutzrecht.

Tobias Gostomzyk, 43, ist Professor am Institut für Journalistik der TU Dortmund. Seine Schwerpunkte sind das Medien-, Internet- und Datenschutzrecht.

(Foto: Privat)

Um ein Beispiel zu nennen: Eine Frau schickte eine private Nachricht an den Facebook-Account von Til Schweiger. Er solle seiner Ankündigung Taten folgen lassen, im Falle von nennenswerten Wahlerfolgen der AfD aus Deutschland auszuwandern. Daraufhin machte Til Schweiger den Inhalt der Nachricht samt Klarnamen der Frau auf seiner Facebook-Seite öffentlich. Das Landgericht Saarbrücken sah das letztlich wegen des sogenannten Rechts auf Gegenschlag als zulässig an. Dabei wurde nicht angemessen berücksichtigt, dass über den Account des Schauspielers mehr als eine Million Abonnenten erreicht wurden.

Der Fall verdeutlicht unabhängig vom Ergebnis, dass ursprünglich getrennte Kommunikationsräume nun nebeneinander existieren oder sich sogar privat-öffentlich verschränken. Dies dürfte im Übrigen den Eindruck verstärken, dass die öffentliche Debatte verrohe. Im Netz steigt die Wahrscheinlichkeit, mit Äußerungen konfrontiert zu werden, denen man sich offline gut entziehen konnte. Diesen digitalen Strukturwandel der Öffentlichkeit ignoriert das NetzDG, indem es auf ein simples Prinzip zurückgreift: Inhalte sollen möglichst schnell - und nicht etwa möglichst sorgfältig - geprüft und bei festgestellter Rechtswidrigkeit gelöscht werden. Es geht dem Gesetz nicht darum, der Offline-Welt vergleichbar nach und nach Kommunikationsstandards herauszubilden.

Eigentlich ist dies insbesondere eine Aufgabe der Rechtsprechung. Nun ist aber auffällig, dass in juristischen Datenbanken und Fachzeitschriften in den letzten Jahren viele Entscheidungen über Äußerungen in klassischen Medien publiziert wurden. Mit Bezug auf alle sozialen Medien waren dies dagegen nur vereinzelte Fälle, obwohl hier wahrscheinlich deutlich mehr Rechtsverletzungen bestehen. Ein wichtiger Grund dafür dürfte sein, dass Betroffene Gerichtsverfahren als zu kostspielig, aufwendig und langwierig einschätzen, um auf rechtsverletzende Posts zu reagieren. Kommunikationsstandards lassen sich so aber nicht entwickeln. Sie brauchen ein hinreichendes Maß an veröffentlichten Entscheidungen, die kommentiert und weiterentwickelt werden können. Weder die Rechtssprechung noch das NetzDG garantieren diese.

Alternative Lösungen werden in der Fachöffentlichkeit diskutiert. So gibt es die Idee, privat-öffentliche Cyber Courts einzurichten. Sie sollen nicht nur schnell und flexibel entscheiden, sondern auch anhand von Einzelfällen Kommunikationsstandards für das Netz herausbilden. Dabei gilt es, ein angemessenes Verständnis für die Besonderheiten der Netzkommunikation zugrunde zu legen - jenseits der bloßen Löschlogik des NetzDG.

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